Eine Schaffhauser Uhr für Jugoslawien

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Jugoslawiens Staatschef Josip Broz Tito (Mitte) spricht an der Zagreber Herbstmesse 1967 mit dem Schweizer Botschafter Hans Keller (r.). Bild: Diplomatische Dokumente der Schweiz, Online-Datenbank Dodis, http://dodis.ch/35823.

Zwischen der Schweiz und Jugoslawien herrschten im Kalten Krieg ausgezeichnete Wirtschaftsbeziehungen und auch eine enge politische Zusammenarbeit.

von Thomas Bürgisser

Es herrschte an jenem Abend des 18. April 1986 eine fest­liche Stimmung im hinteren Mühlental. «Bei bester Laune, umrahmt von verschiedenen musikalischen und tänzerischen Darbietungen und begleitet von einem guten Essen», so berichtete die «Arbeiterzeitung», feierte der Jugoslawische Verein Schaffhausen damals in seinem Clubhaus sein zwanzigjähriges Bestehen. Mit dem Gründungsjahr 1966 gehört die Schaffhauser Vereinigung zweifellos zu den ältesten Gesellschaften dieser Art. Zwar zog es bereits in den 1950er-Jahren zahlreiche jugoslawische Fachkräfte, Ingenieure und Ärzte in die Schweiz. Aber erst 1964 begann der Schweizerische Bauernverband als Erstes mit Kollektivrekrutierungen jugoslawischer Landarbeiter. Bald folgten grosse Anwerbeaktionen weiterer Branchenorganisationen, etwa des Verbands Schweizerischer Krankenanstalten und des Hoteliervereins. Die meisten Gastarbeiter rekrutierte ab 1970 dann der Baumeisterverband.

Stocki «made in ­Yugoslavia»

Die wachsende Arbeitsmigration aus Jugoslawien in die Schweiz ist das Resultat besonders gearteter Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Zwar wurde Jugoslawien von einer kommunistischen Partei beherrscht. An deren Spitze stand Marschall Josip Broz Tito, dessen Partisanenarmeen im Zweiten Weltkrieg den Vielvölkerstaat von der deutschen Besatzung befreit hatten. Kurz nach Kriegsende kam es jedoch zum offenen Konflikt zwischen Tito und dem sowjetischen Diktator Josef Stalin. Im Gegensatz zu den anderen «Volksdemokratien» Osteuropas beschritt Jugoslawien fortan einen unabhängigen, dritten Weg zwischen den Ideologien. Sozialistische Marktwirtschaft wurde das System genannt, in dem die Unternehmen, weitgehend von staatlichen Planvorlagen befreit, auch mit dem ­kapitalistischen Ausland wirtschaften konnten. Die Schweizer Elektro-, die Maschinen- und die chemische Industrie entdeckten das Land bald als wichtigen Absatzmarkt.

Anders als die sowjetisch kontrollierten Staatshandelsländer verstand sich das sozialistische Jugoslawien auch explizit als Konsumgesellschaft. Der Zugang zu bekannten westlichen Brands war ein Prestigeobjekt des ­jugoslawischen «Coca-Cola-Sozialismus». Dazu gehörten auch bekannte Schweizer Marken. 1969 schloss die Knorr Nährmittel AG in Thayngen einen der ersten Lizenzverträge mit einem jugoslawischen Unternehmen, der Firma Kolinska in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana. Dort wurden in einer eigens errichteten Knorr-Fabrik fortan Instantsuppen für den heimischen Markt produziert. Bereits 1972 wurde im nahen Mirna ein zweites Werk für die Herstellung von Knorr-Kartoffelpüree eröffnet: Stocki «made in Yugoslavia». Das marktorientierte und vergleichsweise liberale Jugoslawien wurde zum mit Abstand bedeutendsten Kunden der Schweizer Exportwirtschaft in Osteuropa. Gleichzeitig verbrachten jährlich über hunderttausend Touristen ihre Sommer­ferien an der jugoslawischen Adriaküste.

Bringolfs Engagement für Skopje

Im Sommer 1963 nahm eine schweizerische Delegation an einer Tagung der Interparlamentarischen Union in Belgrad teil. Damals ereignete sich in der mazedonischen Hauptstadt Skopje ein schreckliches Erdbeben, das 80 Prozent der Stadt zerstörte. Die drei Nationalräte, darunter Walther Bringolf, zeigten sich bei einem Besuch vor Ort erschüttert. Der langjährige Schaffhauser Stadtpräsident war in der Folge die treibende Kraft bei einer Hilfsaktion für Skopje. Mit Spendengeldern und der Unterstützung des Bundesrats wurde dort die Heinrich-Pestalozzi-Grundschule errichtet. Der erdbebensichere Kubusbau, das «modernste Schulhaus des Landes», konnte 1969 an die Skopjoter Stadtbehörden übergeben werden. Die schweizerische Solidaritätsaktion mit den Erdbebenopfern sorgte für viel Goodwill auf jugoslawischer Seite.

Ende der 60er-Jahre begannen sich auch die politischen Kontakte zwischen der neutralen Schweiz und dem blockfreien Jugoslawien zu intensivieren. Zu einer Zeit, als eidgenössische Magistraten noch kaum ins Ausland reisten, besuchte mit Aussenminister Willy Spühler 1969 erstmals ein Bundesrat die jugoslawische Hauptstadt. In Bern und in Belgrad sah man sich sicherheitspolitisch in einer vergleichbaren Situation und verfolgte ähnliche Strategien. Insbesondere im Rahmen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) entwickelte sich so eine enge Partnerschaft. Wichtige Anknüpfungspunkte zwischen den beiden föderalistisch verfassten Staaten war die Vielfalt an Sprachen und Religionsge-meinschaften. Von linker Seite wurde dem jugo­slawischen Modell der Arbeiterselbstverwaltung viel Sympathie entgegengebracht. Diese eigentliche «Wahl- verwandtschaft» zum Balkanland ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten.

Eine IWC-Uhr für Tito

Die repressive Seite des jugoslawischen Regimes, das trotz seiner demokratischen Ambitionen jede offene Opposition gegen die Herrschaft der Partei oft auch gewaltsam unterdrückte, blendete man in Bundesbern gerne aus. Eine Anekdote aus dem Jahr 1972 belegt eindrücklich, welche Bedeutung die Landesregierung der Pflege guter Beziehungen beimass. Marschall Tito feierte damals seinen 80. Geburtstag. Diverse Regierungen aus Ost und West liessen dem charismatischen Staatspräsidenten Geschenke zukommen. Auch Hans Keller, der schweizerische Botschafter in Belgrad, äusserte gegenüber der Zentrale in Bern die Idee, Tito ein Präsent zu überreichen. Auch diese Spur führt nach Schaffhausen. Keller schlug dem Bundesrat nämlich vor, dem bekennenden Uhrenliebhaber Tito ein Modell aus dem Hause IWC zu schenken.

In Bern war man zunächst skeptisch. Der Protokolldienst im Aussendepartement berief sich auf die traditionelle Zurückhaltung der Landesregierung. Bisher hatte der Bundesrat erst zwei Päpste und den Fürsten von Liechtenstein mit einem Geburtstagsgeschenk bedacht. Sollte man nun wirklich den Diktator eines kommunistischen Staates mit einer Luxusuhr beglücken?

Ja, entschied der Bundesrat. Tito war von der elektronischen Goldquarzuhr, Modell Da Vinci, die die Landesregierung ihm schenkte, begeistert. Der IWC liess er ein signiertes Porträtbild zukommen, auf dem er vermerkte: «Ich bin für dieses Geschenk dankbar und halte diese für die beste Uhr, die ich je gehabt habe.» Auch gegenüber Botschafter Keller äusserte sich Tito überschwänglich. Er kaufte später mehrere Exemplare der IWC-Uhr und beschenkte damit auch hochrangige Besucher oder auf Auslandsreisen seine Gastgeber wie den sowjetischen Parteichef Leonid Breschnew. Für die Uhrenindustrie jedenfalls hatte sich die bundesrätliche Investition gerechnet.

Schwere Schuldenkrise

Man kann die Episode um die Luxusuhr auch als Menetekel dafür sehen, wie sich die jugoslawische Wirtschaft mit ihren ausgedehnten Einkäufen gegenüber den westlichen Industrienationen immer stärker verschuldete. Immer wieder wurden grosszügig neue Kredite gewährt, und die Schweizer Grossbanken mischten ganz vorn mit. Nicht nur weil das Geschäft boomte, sondern auch um zu verhindern, dass Jugoslawien wieder in Abhängigkeit zur Sowjetunion geraten könnte, stützte der Bundesrat diese Defizitpolitik mit staatlichen Garantien für Exporte und Darlehen. Derweil rutsch- te Jugoslawien immer tiefer in eine schwerwiegende Schuldenkrise hinein. Als zu Beginn der 80er-Jahre ein eigentlicher Kollaps drohte, war es die Schweizer Diplomatie, die in Bern eine internationale Konferenz der Gläubigerstaaten einberief, um ein grosses Finanzhilfepaket für das Land zu schnüren.

Das Ende kam dennoch für viele überraschend. Nach 1991 zerbrach der jugoslawische Vielvölkerstaat gewaltsam. Von der einstigen Wahlverwandtschaft blieb die Migration als nachhaltigster Faktor der schweizerisch-jugoslawischen Beziehungen. Über 300 000 Bosnier, Kosovarinnen, Kroaten, Mazedonierinnen, Montenegriner, Serbinnen und Slowenen leben heute in der Schweiz. Dazu kommen Zehntausende, die in den letzten Jahrzehnten das Schweizer Bürgerrecht erhalten haben. Einer von zwanzig Menschen im Land hat seine familiären Wurzeln im ehemaligen Jugoslawien. Trotz anhaltender Vorurteile und Stereotype prägen Tausende von «Jugos» auch in der von Dieter Wiesmann besungenen «chliine Stadt» schon lange Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Ganz wie weiland «d Italiäner».

Der Historiker Thomas Bürgisser ist Autor der Studie «Wahlverwandtschaft zweier Sonderfälle im Kalten Krieg» über die Beziehungen zwischen der Schweiz und dem sozialistischen Jugoslawien. Diese gibt es hier als Gratis-Download

 

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