Zwischen Naturparadies und Geschichte

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Auf einer Reise mitten in den Ostafrikanischen Graben, dort, wo Afrika langsam auseinanderbricht, gibt es allerhand Interessantes zu unternehmen: die Beobachtung von Gorillas aus nächster Nähe oder ein schwindelerregender Blick in das Kraterloch des Nyiragongo.

Von Theo Kübler

«Schaut ihnen ja nicht zu tief in die Augen, das erzeugt Spannungen und kann zum Angriff führen. Hört, wie sie von Zeit zu Zeit ein Brummen von sich geben, und macht das auch, das bedeutet ‹alles bestens, kein Grund zur Unruhe›», erklärt der Guide seiner achtköpfigen Gruppe. Eine Stunde später stapft die Gruppe mit ihren Trägern auf schmierig-schlammigen Dschungelpfaden die Vulkanhänge des Virunga-Nationalparks hoch. Sie durchdringen dichten Urwald, durchsetzt mit riesigen Lobelien und unglaublich stark nesselnden und stacheligen Pflanzen.

Gorillas nur wenige Meter entfernt

Eine frische Losung! Letzte Hiebe des Frontmannes mit der Machete und dann, das fast Unglaubliche: Nur wenige Meter vor uns sitzt eine Gorilladame mitten im Grünzeug. So ganz nebenbei schaut sie kurz herüber und frisst weiter, als wäre nichts geschehen. Uns Besuchern aber pocht das Herz. Erst recht, als ein gewaltiges Tier auftaucht. Der Chef der Gorillagruppe, mit grauem Fellfleck am Rücken, ein sogenannter «Silberrücken», der gut und gerne 200 Kilogramm an die Äste hängt. Wir können uns den Menschenaffen bis auf zwei, drei Meter nähern, ohne dass sie uns speziell beachten. Erhebt sich der Riese, denkt man instinktiv an Flucht. Das sei nicht nötig, versichert der Guide, doch sicherheitshalber brumme ich mal.

An Menschenkontakt gewöhnt

Schon seltsam, wie einen diese Tiere innerlich berühren. Ist es, weil wir ihnen so ähnlich sind? Wir teilen mit den Gorillas bis auf 1,75 Prozent dasselbe Erbgut. Es tauchen laufend neue Familienmitglieder auf. Bald hält sich eine Gruppe von neun Berggorillas vor uns auf. Sie liegen herum, lausen sich gegenseitig, während ein kleiner Sprössling am Boden und an Sträuchern herumtollt. Im Virunga-Nationalpark leben etwa 20 Gruppen Berggorillas, in einer Höhe von 2200 bis 4000 Metern. Neun Gruppen sind an den Kontakt mit dem Menschen gewohnt. Sie erhalten fast täglich Besuch.

Bedeutender Wirtschaftsfaktor

Die Gorillas sind die grosse Tourismusattraktion und somit einer der bedeutendsten Wirtschaftsfaktoren für das am dichtesten besiedelte Land Afrikas. Mit Einnahmen von 42,3 Millionen US-Dollar im Jahr 2007 war diese zum ersten Mal an der Spitze der Deviseneinnahmequellen, vor den Erlösen aus Kaffee, Tee und Bergbauprodukten.


Auf einer Fläche von 26 338 Qua­dratkilometer leben 12,4 Millionen Menschen, das ergibt 468 Einwohner pro Quadratkilometer. Zum Vergleich: In der Schweiz leben rund 203 Einwohner pro Quadratkilometer. Da etwa 85 Prozent der Bevölkerung direkt von der Landwirtschaft leben, ist der Druck auf die Umwelt – und damit auf die Naturparks – enorm. Doch das Land ist sauber. Wohin man auch schaut, keine Abfälle – im Gegensatz zur Schweiz. Das wahrscheinlich nicht nur, weil der Gebrauch von Plastiktaschen verboten ist.

Nach dem fürchterlichen Genozid von 1994, dem eine Million Menschen zum Opfer fielen, und dem damit verbundenen wirtschaftlichen Zusammenbruch machte das Land eine unglaubliche Entwicklung durch, zu einem im kontinentalen Vergleich vorbildlich modernisierten Staat. Die Hauptstadt Kigali soll in Zukunft zu einem «Convention Centre» werden, die notwendige Infrastruktur wird bereits erstellt. Dennoch ist Ruanda für seinen Staatshaushalt zu 40 Prozent von der internationalen Gebergemeinschaft abhängig.

Gedenkstätten zum Völkermord

Wer Ruanda besucht, kommt um den Völkermord von 1994 nicht herum. Vielerorts im Land können Gedenkstätten besucht werden. Da wird dem Besucher klar, dass dieses grauenhafte Ereignis nur als Folge der kolonialen Geschichte interpretiert werden kann, in der eine abstruse ethnische Differenzierung der Ruander konstruiert wurde. Erst auf der Fahrt nach Süden machen die bunt gekleideten, elegant gehenden Frauen mit ihren Lasten auf dem Kopf und die vielen Männer, die mit schweren Transportlasten überladene Fahrräder durch das hügelige Ruanda schieben, und Hunderte von fröhlichen Kindern, die auf dem Schulweg die Strassen säumen, die bedrückenden Gefühle wieder etwas vergessen, die der Besuch der Mahnmale hervorgerufen hatte.

Im Nachbau des Königspalastes in Nyanza konnten wir uns davon überzeugen, dass ein grosses, nur aus Stroh konstruiertes Kuppenhaus jedem Klimakomfort eines Steinhauses bei Weitem überlegen ist. Mutara III Rudahigwa war zwischen 1931 und 1959 König von Ruanda und wohnte bis in die 1930er-Jahre in einem derartigen «Strohpalast», um dann in ein von einem Belgier gebautes luftiges Steinhaus umzuziehen.

Weiter in ein Quellgebiet des Nils

Unsere Reise führt weiter durch den Bergregen- und -nebelwald des ­Nyungwe-Forest-Nationalparks in einem Quellgebiet des Nils, wo auch Schimpansen leben. Von da ist es nur ein Katzensprung zum Kiwusee. Wir fahren entlang dem See, der rund fünfmal so gross wie der Bodensee ist und mitten im ostafrikanischen Grabenbruch liegt, also da, wo der afrikanische Kontinent langsam auseinanderbricht. Nicht umsonst steigen der Salzgehalt und die Temperatur des Gewässers mit der Tiefe, die bis auf 485 Meter reicht. Da unten sind Unmengen von CO2 und etwa 60 Kubikkilometer Methan gelöst. Da die Sättigung laufend ansteigt, könnte gegen Ende dieses Jahrhunderts für die Seeanwohner eine äusserst gefährliche Situation entstehen, falls das tödliche CO2, das schwerer ist als die Luft, in grossen Mengen entweicht. So die Befürchtungen der Wissenschaftler. Die Gewinnung des Methans zur Stromerzeugung läuft bereits versuchsweise und soll demnächst gewaltig ausgebaut werden.

Am nördlichen Ende des Sees liegt die kongolesische Stadt Goma. Beim Durchfahren erleiden wir – aus dem sauberen Ruanda kommend – einen «Kulturschock». Staub liegt in der Luft, es riecht penetrant nach verbranntem Plastik, auf der schwarzen Vulkanerde stehen Holzhütten, deren Eingänge oft nur mit Tüchern verhängt sind, als wären sie nur notdürftig errichtet worden.

Die Stadt mit einer turbulenten Geschichte ist Ausgangspunkt für … … einen zweitägigen Besuch des Vulkans Nyiragongo, der das letzte Mal 2002 ausgebrochen ist, wobei dessen Lavastrom in der Stadt 147 Menschen tötete.


Da sich in dieser Ecke der Demokratischen Republik Kongo immer wieder Rebellengruppen herumtreiben, können wir den Berg nur in Begleitung von bewaffneten Rangern besteigen. Der Pfad ist trocken und führt durch verschiedene Waldstufen hinauf, bis auch der Vegetation der «Schnauf» ausgeht und die Pflanzen die obersten Lavahalden nur noch kümmerlich überwachsen können.

Schwindelerregende Tiefe

Endlich, auf 3470 Metern über Meer, der Kraterrand! Der Blick in das Riesenloch ist schwindelerregend. Fast senkrecht stürzt die Kraterinnenseite in die Tiefe. Ein Deckel aus erstarrter Lava schliesst den riesigen Schlund. In der Mitte, in einem kreisrunden Loch von 200 bis 300 Meter Durchmesser, brodelt um die 1000 Grad Celsius heisse, rot-gelb glühende Lava. Diese durchbricht in wechselnden, faszinierenden Mustern eine dünne, laufend erstarrende und wieder schmelzende Lavaschicht, die wie ein schwarzer «Niedel» auf der Lava schwimmt. Mit der einsetzenden Dämmerung scheint das Feuerspektakel immer näher zu kommen. Märchenhafte Stimmungen entstehen, es faucht und zischt. Lavafetzen werden in die Höhe geschleudert und fallen langsam wieder in die heisse Hölle zurück. Schliesslich leuchtet der ganze Horizont kräftig rot, und rosafarbene Rauchwolken steigen in den schwarzen Nachthimmel. Die Einheimischen nennen den Berg «Nyiragongo»: der Mann, der täglich raucht. In festgeschraubten Polyesterhütten am Rande des Kraters verbringen wir die Nacht.

An der Grenze zu Tansania

Ein letzter Ausflug gilt dem Akagera-Nationalpark im Osten, an der Grenze zu Tansania. Dieser Park besticht durch seine wunderbare, sehr abwechslungsreiche Landschaft. Grosse Vogelkolonien, Nilpferde und Krokodile bevölkern die Ufer der zahlreichen Seen. Ein Elefant wagt sich hinein in einen der ausgedehnten Papyrussümpfe. Ein Nilpferd, das überraschend aus dem nahen Gebüsch auftaucht, lehrt uns das Fürchten und vertreibt uns mit ziemlich ernst gemeinten Scheinangriffen, dabei zeigt es uns die rötlich-braunen Schleimhäute der Nüstern. Eine hundertköpfige Kaffernbüffelherde, schön in Einerkolonne unseren Weg querend, bringt Ernst, meinen Reisekollegen, beinahe aus dem Häuschen. So wie mich die goldgelben Jacksonweber-Männchen mit ihren orangefarbenen Augen, die eben daran sind, ihre hängenden Kugelnester zu bauen.


Zurück in Kigali, dürfen wir erneut bei Marius logieren, dem Sohn von Ernst Herrmann. Er arbeitet seit einem Jahr in Ruanda für das Deza und war mit uns auf dem Nyiragongo.

Schulkinder säumen Strasse

Auf der Fahrt in die Stadt säumen wieder Hunderte Schulkinder die Strasse – die Zukunft Ruandas. Hoffen wir, dass die Regierung es schafft, die Bevölkerung Ruandas nachhaltig zu einen, um gemeinsam das Land in eine hoffnungsvolle Zeit zu führen.


Mit der einsetzenden Dämmerung scheint das Feuerspektakel immer näher zu kommen. Märchenhafte Stimmungen entstehen, es faucht und zischt.

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