Verlorene Tradition: Was früher an Silvester und Neujahr Brauch war

Ralph Denzel | 
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Viele Silvestertraditionen sind mittlerweile in Vergessenheit geraten. Bild: Pixabay

Viele Traditionen und Bräuche in der Region sind über die Jahrhunderte verloren gegangen. Einige davon hatten mit Silvester zu tun. Wir blicken zurück.

Könnten Sie sich vorstellen, am Neujahrsmorgen aufzustehen, noch ehe die Sonne richtig aufgegangen ist? Vielleicht denken Sie gerade: Um diese Uhrzeit gehe ich da eigentlich erst ins Bett. Früher war es in Schaffhausen jedoch Gang und Gäbe, dass man auch am Silvestermorgen so früh wie möglich aus den Federn kam. Jeder wollte schliesslich der «Stubenfuchs» sein, also die Person, die am Neujahrsmorgen als erster auf der Matte steht. Derjenige, der als letzter auf die Beine kam, wurde zum «Neujahrskälbli», und musste aus einem Kälberkübel Milch trinken. Heute ist sowas weitestgehend undenkbar, früher war es vollkommen normal. Aber nicht nur diese Tradition hat die Zeit nicht überlebt: Viele Silvesterbräuche aus der Region verschwanden im Laufe der Jahre. Wir stellen Ihnen hier einige vor.

Prosit: Der Pfarrer gibt einen aus

Prost! Am 31. Dezember öffnete der Pfarrer seine Weinvorräte für die Bevölkerung. Bild: Pixabay

Eine Tradition, die der eine oder andere sicher auch gerne wieder eingeführt haben möchte, gab es bis Mitte des 19. Jahrhunderts im Reiat, vor allem in Lohn. Aufzeichnungen von damals zeigen, dass es wohl Tradition war, dass der Pfarrer zum Jahresende seiner Gemeinde Wein spendierte – im Gegenzug wurde er dafür auch von seiner Gemeinde beschenkt. Die Besoldung von Pfarrern war zur damaligen Zeit anders, als sie es heute ist. So wurden die Geistlichen oft auch mit «Naturalleistungen» entlohnt - unter anderem mit Wein. Ob dieser Wein der Bevölkerung mundete, ist hierbei nicht überliefert. Sicher ist hingegen, dass der damalige Pfarrer Beck sich am 2. Januar  1844 an die Gemeindeversammlung wandte und darum bat, dass man doch in Zukunft auf diese Gabe verzichten solle. Stattdessen wolle er jedes Jahr 10 Gulden und 48 Kreuzer «zu einem Fonds für eine Näheschule» beisteuern. Die Bevölkerung stimmte sofort zu und so kam es, dass im Jahr 1844 kein Wein mehr, zumindest nicht vom Pfarrer, ausgeschenkt wurde.

Schlemmen für die Kinder

In der «Bächtelistube» wurden die gesammelten Nahrungsmittel verzehrt. Symbolbild: Pixabay

Auch der 2. Januar, der Bächtelistag war in der Region ein ganz besonderer Tag – vor allem für Kinder. Denn diese zogen dann gruppenweise, als «Bächtelibütz» verkleidet, von Haus zu Haus. Dort sangen sie Lieder, sagten Gedichte auf und wünschten den Leuten ein gutes neues Jahr. Im Gegenzug bekamen die «Bächtelibütze» dafür leckere Dinge wie gedörrte Birnen, Äpfel, oder Zwetschgen, vielleicht auch ein Stück Neujahrswecken oder eine Wurst.

Die gesammelten Naturalien wurden dann später in die sogenannte «Bächtelistube» verzehrt. Dort wurde geschmaust, gespielt und die Leckereien des Tages bewundert. Warum verschwand dieser, eigentlich sehr schöne Brauch dann aber aus dem kollektiven Gedächtnis? Die Antwort liefert Bernhard Kummer, Autor von «Volkskundliches im Reiath» aus dem Jahr 1945/46: «Dieser fröhliche Kinderbrauch ist verschwunden, weil die Kinder in der Bächtelistube so ausgelassen waren und lärmten, dass anständige Eltern sie nicht mehr hingehen ließen.»

Die «Läuter» von St. Johann

Man brauchte viel Kraft (und Schweiss) um die Glocken im St. Johann zum Läuten zu bringen. Bild: SHN-Archiv

Eine weitere Tradition, die heute nicht mehr gelebt wird, gab es in der Stadt Schaffhausen: So wurden im Kirchturm des St. Johann die Kirchturmglocken geläutet um das alte Jahr aus- und das neue Jahr einzuläuten. Dafür stiegen mehrere Männer nachts gegen 23.30 Uhr auf den Turm.

1964, in dem Jahr, in dem diese Tradition ihr Ende fand, folgten die Schaffhauser Nachrichten den Läutern die engen Stufen zum Glockenturm hinauf. «Fast wie Maschinen arbeiteten die Läuter droben im alten Turm. Ihre Rücken krümmten sich, wenn sie die Seile bis zum Boden hinunterzogen, wobei die Seilende den rohen Turmboden klatschend peitschten.» Die Arbeit war anstrengend, schweisstreibend, aber trotzdem: «Von viertel vor 12 Uhr bis kurz vor Mitternacht läuteten die Männer das alte Jahr aus und die ehernen Glockenstimmen schwebten hinaus über die dunklen Giebel und Dächer der Stadt, hinaus in die kalte Silvesternacht.» Eine Pause gab es für die Männer nur um Mitternacht, denn «in dieser Minute wünschten sich die schweissbedeckten Männer gegenseitig Glück zum neuen Jahr. Von 24 Uhr bis 0.15 erklangen die Glocken erneut und jubelnd begrüssten sie das neue Jahr, das Jahr mit verschlossenen Siegeln.»

Wie viel Liebe hat das neue Jahr wohl für einen parat?

Kommt es im neuen Jahr zur Hochzeit, oder nicht? An Silvester gibt es viele Möglichkeiten, das herauszufinden. Bild: Pixabay

Bleigiessen gehört für viele traditionell zu Silvester dazu. Früher gab es jedoch noch ganz andere Bräuche, vor allem in ländlichen Gegenden. In der Neujahrsnacht wurde dann fast alles als Eheorakel benutzt. So wurden halbe Nussschalen mit kleinen brennenden Kerzen besteckt und in einer Wasserschüssel zum Schwimmen gebracht. Wenn Die Kerzen sich berührten, sah es gut aus für das Liebespaar, trieben sie auseinander – nicht so gut.

Aber nicht nur Nussschalen waren damals Boten von Amor, sondern auch Stroh und Heu: So dreschten Bauemmädchen Stroh, welches sie aus dem Hausdach gezogen hatten. Wenn es noch Körner darin hatte, deutete das auf eine Hochzeit mit einem Bauern hin. Waren die Ähren jedoch leer, so würde «sich nur ein armes Knechtlein als Freier einstellen». Es gab sehr viele Bräuche, die letztlich zeigen sollten, wie die Zukunft der jungen Bäuerinnen aussehen sollte. Auch das zukünftige Leben konnte mit alten Bräuchen vorausgesagt werden: So setzte man das Bauernmädchen mit verbundenen Augen vor zwei Becher. Einer war mit Wein, der andere mit Wasser gefüllt. Tunkte es einen Finger in den Weinbecher, so sollte das Bauernmädchen einmal einen wohlhabenden Haushalt führen, im anderen Falle musste es sich mit einem bescheidenen Leben begnügen.

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