«Ausgestorbene Berufe in der Region»: Der Gaslampenanzünder

Ralph Denzel | 
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Eine Gaslampe in der Vordergasse. Früher wurden diese noch von Hand «belichtet». Bild: Ralph Denzel

In unserer Serie «Ausgestorbene Berufe» blicken wir auf Berufe, die es heute aus verschiedensten Gründen nicht mehr gibt. Heute: Der Gaslampenanzünder.

Jakob Akerets Arbeitstag beginnt gegen Abend, wenn die Dämmerung sich langsam über die Munotstadt legt. Dann zieht er los. Er kennt die Plätze und Orte, an die er muss. Und er weiss, dass die Polizei penibel kontrollieren wird, ob er seiner Aufgabe auch nachkommt. Es gibt leider einige schwarze Schafe in seiner Zunft, welche die wichtige Aufgabe, die er hat, nicht ernst nehmen.

Auf dem Fronwagplatz hat er wie immer am meisten zu tun. Dort kann er sein Fahrrad am Mohrenbrunnen abstellen. Seine «Arbeitsplätze» sind nicht weit voneinander entfernt. An seinem Gürtel klimpert sein Arbeitswerkzeug. Hammer, Zange, Bohrer, Kabel, Ersatzkohlen – alles, was man braucht, damit der langsam zur Ruhe kommenden Stadt ein Licht aufgeht und die Lampen auf dem Fronwagplatz, eine nach der anderen, leuchten. Auf die typischen Kommandos und Warnungen während seiner Arbeit verzichtet er. Die sind ansonsten immer nötig, vor allem, wenn man mit unerfahrenen Kräften zusammenarbeitet. Immerhin hantiert er hier mit hochentzündlichem Gas.

Sein Lehrling ist aber heute krank - und er alleine.

Ein Holzstich eines Laternenanzünders in Amsterdam.
Bild: SHN-Archiv

Er weiss, was er tut, schliesslich ist er der Gaslampenentzünder der Stadt Schaffhausen und hat knapp 306 Leuchten im Stadtgebiet zu versorgen. Diese Arbeit wird ihn eine Weile beschäftigen. Dann geht er nach Hause, isst eine Kleinigkeit und legt sich hin. Er wird morgen, mit der ersten Dämmerung, wieder aufstehen und die Lampen allesamt wieder löschen müssen.

Jetzt aber kann er zufrieden sein. Die letzte Lampe auf dem Fronwagplatz leuchtet – der Platz ist in «Voll-Licht», wie es in seiner Fachsprache heisst. Er kann weiterziehen. Dabei muss er sich jedoch beeilen. Die Dunkelheit zieht immer weiter auf.

Wie Schaffhausen zu Gaslampen kam

Vorneweg: Jakob Akerets gab es wirklich und er war wirklich im Jahre 1897 Laternenanzünder der Stadt. Ob er ein Fahrrad und einen Lehrling hatte, ist hingegen nicht überliefert. Sicher ist jedoch, dass die Geschichte der Gaslampen in Schaffhausen eine bewegte ist – eng verbunden mit denen, die sie zum Leuchten brachten.

Eine Stellenanzeige in den «Schaffhauser Nachrichten» aus dem Jahr 1898.

Der heute ausgestorbene Beruf des Gaslampenanzünders erlebte seine Blütezeit mit der industriellen Revolution. So kamen die ersten Gaslaternen ungefähr 1817 nach Schaffhausen. Man fand diese auf dem Gelände der Kammgarn, damals noch eine Wollspinnerei. Wirklich gross kam die Gaslaterne aber erst raus, als eine Karlsruher Firma dem Stadtrat Schaffhausen diese regelrecht aufdrängte: Das Unternehmen stellte auf eigene Kosten die Lampen zur Verfügung und die Stadt nahm diese an. Am 12. Dezember 1859 genehmigte die Schaffhauser Bürgerversammlung den Konzessionsvertrag. Keine zehn Monate später, am 1. Oktober 1860, waren das Gaswerk im Lindli und das Leitungsnetz betriebsbereit und die ersten 120 Lampen erstrahlten in der Stadt.

Irgendjemand musste diese Lampen aber auch pflegen und erleuchten: Hier kam der Gaslampenentzünder ins Spiel. Hätte man Akerets aber gesagt, er würde Laternen «anzünden», wäre dieser wohl etwas beleidigt gewesen. In der Fachsprache der Laternenanzünder «gibt man Licht», wenn die Laterne zum Leuchten gebracht wird – und das an jedem Tag.

Sturm und Regen, Winter, Heilig Abend und Sonntage – die Lampen mussten leuchten. Der Beruf war daher nichts für Menschen, die nicht gerne im Freien waren und sich bei schlechtem Wetter lieber nicht vor die Tür begaben.

Und ganz ungefährlich war der Beruf auch nicht. Die Männer mussten sich immer im Klaren sein, dass sie mit einem hochentzündlichen Stoff hantierten. Unglücke waren selten, aber wenn, dann verehrend, wie das Beispiel aus den «Schaffhauser Nachrichten» vom 12. Januar 1916 zeigt:

Gestern Abend ereignete sich hier ein recht bedauerlicher Unglücksfall. In der Abortanlage unterhalb der Beckenstube wurde von bübischer Hand ein Gashahn abgeschraubt. Als abends der Laternenanzünder (…) das Licht anzünden wollte, erfolgte eine sehr heftige Explosion. Das Dach der Abortanlage flog in die Luft, auch Fensterscheiben in der Nachbarschaft wurden zertrümmert. Der Laternenanzünder Keller erlitt bedeutende Verletzungen an der Hand, die wahrscheinlich eine Amputation erfordern wird. Auch zwei Knaben wurden verletzt. Der ernstlich verletzte Mann, nachdem er von Herrn Dr. Joos die erste Hilfe erhalten, wurde sofort in das Spital überführt. Die Explosion wurde in weiter Runde gehört; sie glich einem starken Kanonenschuss und war so heftig, dass die umliegenden Gebäude erzitterten.

Mit den Jahren verlor der Beruf doch immer mehr und mehr an Bedeutung – und mit ihm auch seine Lebensgrundlage. Die Strassenlampen wurden jetzt mit elektrischem Strom versorgt, sodass keiner mehr «anlichten» musste. Nach und nach verschwanden die Gaslampen aus dem Stadtbild - bis zum Jahr 2006.

Eine Anzeige des Laternenanzünders in Herblingen, ca. 1900

Bis heute Gaslaternen in der Stadt

Noch heute leuchten in Schaffhausen Gaslaternen. 2006 spendete Cilag AG mehrere Gaslampen an die Stadt. Trotz einiger Kritik stehen diese noch heute auf dem Fronwagplatz und in der Vordergasse und geben ihr sanftes Licht ab. Heute zündet sie allerdings kein Gaslampenentzünder mehr an: Dies geschieht automatisch. Vielleicht würde sich Jakob Akerets trotzdem darüber freuen, dass sein alter Arbeitsplatz, der «Froni» sowie Teile der Vordergasse, noch heute jeden Abend in «Voll-Licht» ist.

Gaslampen auf der Vordergasse. Bild: Ralph Denzel 

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