Frische Ideen für das Musik-Collegium

Mark Liebenberg | 
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Zur Saisoneröffnung mit der Sinfonietta Basel wird Annedore Neufeld «The Journey» dirigieren. So heisst die 8. Sinfonie des zeitgenössischen finnischen Komponisten Einojuhani Rautavaara (1928–2016).Bild Selwyn Hoffmann

Das altehrwürdige Musik-Collegium Schaffhausen (MCS) wird unter neuer Leitung und unter dem neuen Label «Schaffhausen Klassik» Sinfoniekonzerte veranstalten. Und Programmchefin Annedore Neufeld hat eine ganze Reihe weiterer Ideen in petto.

Die Reise begann ja eigentlich vor 362 Jahren: Seit 1655 gibt es in Schaffhausen eine Institution mit Namen Musik-Collegium (MCS). Einen neuen Abschnitt der langen Reise des MCS nimmt ab der Spielzeit 2017/18 ein neuer Vorstand mit Raphaël Rohner als Präsident und der Dirigentin ­Annedore Neufeld als künstlerischer Leiterin des Klassikveranstalters in Angriff.

Eine Zeit des Umbruchs? «Nicht nur», sagt Neufeld. «Wir fühlen uns stark der Tradition und den Wünschen des Stammpublikums verpflichtet. Gleichzeitig muss man gewisse Dinge verändern, wenn man in der heutigen Zeit einen solchen Konzertbetrieb aufrechterhalten will.» Kontinuität nach der prägenden, fast vier Jahrzehnte umfassenden Ära Heini Stamm und sanfte Erneuerung stünden im Vordergrund. «Viele Konzertgänger zeigen sich offen für Neues. Es heisst dann: Ich bin gespannt, was ihr macht. Aber gleichzeitig auch: Ich hoffe nicht, dass nun alles ganz anders wird.»

Familien- und After-Work-Konzerte

Fakt ist: Die Konzertsaison 2017/18 steht fast. «Ich stelle nun bereits die übernächste zusammen», sagt Neufeld. Termine finden, Programme und Honorare aushandeln benötigt gerade bei grossen Orchestern einige Vorlaufzeit.

Ein paar Veränderungen sind bereits jetzt spruchreif: «Unseren Vereinsnamen ändern wir natürlich nicht, aber die Abkürzung MCS-Konzerte werden wir über kurz oder lang ersetzen. Und zwar mit dem prägnanteren Label Schaffhausen Klassik – da weiss man sofort, worum es geht.»

In einer Retraite habe sich der neue Vorstand eingehend mit den Herausforderungen befasst. «Die Abonnentenzahlen sind rückläufig. Wir verstärken deshalb unsere Marketingmassnahmen in Richtung Winterhur/Zürich ­sowie im Thurgau, aber auch im süddeutschen Raum», erklärt Neufeld. Am Rahmen ändert wenig: Zwölf Konzerte davon fünf mit grossen Sinfonieorchestern. Dazu die Gratis-Kammermusikreihe «Kulturelle Begegnungen».

«Interessant ist, dass sich viele ältere Konzertbesucher Sorgen machen und sich wünschen, dass mehr jüngere Menschen ins Konzert kommen», so Neufeld weiter. Fix eingeplant ist für die kommende Saison deshalb ein Kinderkonzert ums Thema «Winterreise», in Zusammenarbeit mit den Schulen. Ebenfalls eingeführt wird ein neues Jugendabo. «Und zudem gibt es neu ein Familienkonzert, wo Eltern mit Kindern die klassische Musik kennenlernen können.» Auch das Angebot von After-Work-Konzerten ist angedacht, wo wieder ein anderes Publikum angesprochen werden könnte.

«Beim Repertoire haben wir schon den Anspruch, neben den Unverzichtbaren Beethoven und Mozart Akzente zu setzen und auch mal modernere Komponisten zu Gehör zu bringen oder zum Beispiel ein Programm nur mit französischen Werken zu gestalten», sagt Neufeld. Der Gestaltungsfreiraum sei indes begrenzt. «Gerade bei grossen Orchestern kann man kaum à la carte ein Programm bestellen, oft muss man nehmen, was sie am konkreten Datum im Angebot haben.»

Mut zum Neuen – den Beweis dafür will Neufeld gleich selber antreten. Und zwar bei der Saisoneröffnung im Oktober. Da das Schweizer Jugendsinfonieorchester – das für gewöhnlich die Schaffhauser Konzertsaison eröffnet – dieses Jahr anderweitig gebucht war, hat das MCS eine Alternative gefunden. Neufeld, die vertraglich verpflichtet ist, mindestens ein Konzert pro Spielzeit selber zu dirigieren, hat mit der Sinfonietta Basel ein Programm zusammengestellt, das ambitioniert ist. «Wir werden im ersten Teil die grossartige, im Jahr 2000 uraufgeführte 8. Sinfonie des im letzten Jahr leider verstorbenen finnischen Komponisten Einojuhani Rautavaara spielen.» Das Werk für grosses Sinfonieorchester erinnert an Bruckner und Sibelius und ist in einer recht tonalen Klangsprache gehalten. Im zweiten Teil gibt’s Rachmaninows drittes Klavierkonzert. «Das ist eine Paarung, wie sie mir ideal scheint: Neue Klänge öffnen die Ohren, und dann kann man im Rachmaninow schwelgen und geniessen!»

Konzerte mit Eventcharakter

Weitergeführt wird die lose Zusammenarbeit mit hiesigen Chören und lokalen Klangkörpern, wie der Sinfo­nietta. Einladen will die in Diessenhofen lebende Musikerin in erster Linie die in Schaffhausen wohlbekannten Schweizer Orchester oder solche aus dem süddeutschen Raum. «Man muss es sagen, unsere finanziellen Mittel sind limitiert, gerade im Vergleich zu Konzertveranstaltern in Winterthur oder Zürich.» 159 000 Franken erhält das MCS pro Jahr von Stadt und Kanton. Neufelds Stelle ist auch keineswegs eine Intendanz, sondern ein pauschal entschädigtes Nebenamt. Der übrige Vorstand arbeitet ehrenamtlich.

«Es gibt sehr viele neue Ideen. Wir können aber nicht alles gleich in der ersten Saison in Angriff nehmen.» Ein starkes Bedürfnis sei etwa jenes nach einem Angebot in den Pausen. «Die Leute wollen sich in der Pause austauschen, etwas trinken.» Im St. Johann geht das nicht. Noch ist keine Lösung in Sicht. «Aber wir suchen nach Wegen, dem Konzertbesuch einen grösseren Eventcharakter zu verleihen.»

Und wer weiss – vielleicht lässt sich ja in Schaffhausen eines Tages doch eine zeitgemässe Konzerthalle verwirklichen? «Lugano hat das soeben vorgemacht», sagt Neufeld. «Und ich kann mir gut vorstellen, dass eines fernen Tages eine Rhy-Philharmonie viele Leute nach Schaffhausen locken kann, so wie die Elbphilharmonie derzeit nach Hamburg.»

MCS Die Institution und ihre künstlerische Leiterin

1655 erstmals erwähnt,ist das Musik-Collegium der wichtigste Veranstalter von klassischen Orchesterkonzerten in Schaffhausen, vorwiegend in der Stadtkirche St. Johann. Das MCS engagiert Orchester aus aller Welt und wird von Stadt und Kanton unterstützt.In Tübingen geboren,studierte Annedore Neufeld zunächst Dirigieren, Schulmusik und Kirchenmusik in Stuttgart und Tübingen. Anschliessend studierte sie Orchesterdirigieren in Berlin und an der Zürcher Hochschule der Künste. Ab 2002 war sie Kirchenmusikerin in Kopenhagen. Seit 2006 ist sie Dirigentin des Kammerorchesters des Musik-Collegiums Schaffhausen. An ihrem Wohnort Diessenhofen gründete sie die Konzertreihe «Musik am Rhein». Neufeld ist zudem musikalische Leiterin des Oratorienchors Kreuzlingen und der Basler Münsterkantorei.

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