Schlaf, Teenie, schlaf

Eva-Maria  Brunner Eva-Maria Brunner | 
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Eva-Maria Brunner schreibt in dieser Kolumne über die Auswirkungen des durchgeplanten Alltags von Teenagern.

Das Feuer erhellt die Gesichter der drei Jugendlichen. Es ist ihre Aufgabe, darauf zu achten, dass die Flammen nicht ausgehen, während die Kinder und Erwachsenen der Sippe unter den Rentierfellen schlafen. Es ist Mitternacht, ihre Schicht dauert noch zwei Stunden. Dann werden sie abgelöst und dürfen schlafen, bis die Sonne hoch am Himmel steht. Wie so oft, wenn wir menschliches Verhalten zu verstehen versuchen, blicken wir zurück auf unsere Vorfahren in der Steinzeit. Feuer, das kostbarste Gut, musste rund um die Uhr bewacht werden. Die hormonellen Umstellungen, die im Körper von Heranwachsenden vor sich gehen, nutzten sie geschickt.

«Das Programm, welches ein Jugendlicher tagtäglich absolvieren muss, steht dem eines Managers in nichts nach.»

Wenn unsere Teenager im Jahre 2023 also die Nacht zum Tag machen, um 22 Uhr noch mit der Freundin telefonieren, um halb elf noch Lust auf ein Butterbrot haben, uns morgens nach dem dritten Weckruf aber nur dumpf unter der Decke angrunzen, dann können sie dies auf die Hormone und die Steinzeit schieben. Sie können nichts dafür. Hinzu kommt, dass das Programm, welches ein Jugendlicher tagtäglich absolvieren muss, einem Manager in nichts nachsteht. Unterrichtsbeginn um 7.30 Uhr, bis zu sieben verschiedene Schulfächer. Über Mittag in der Gruppe den Vortrag vorbereiten, nach dem Unterricht in die Gitarrenstunde, ins Leichtathletiktraining, Hausaufgaben, Prüfungsvorbereitungen. Kein Wunder, verschieben sich die Aktivitäten der Teenager zwangsläufig in die späteren Abendstunden.

Gute Gespräche im Pyjama

Eine gesunde Schlafhygiene zu pflegen ist auch für Erwachsene heutzutage nicht einfach. Informationen sind jederzeit verfügbar und die Zeiten vom «Schneesturm» auf dem Bildschirm zu Sendeschluss sind längst passé. Blaulicht vom Bildschirm statt Kerzenlicht; mit den Hühnern schlafen geht heut keiner mehr. Es geschieht oft, dass ich vor meinen Kindern schlafen gehe; das Plätschern der Dusche oder gedämpfte Stimmen am Telefon sind meine Geräuschkulisse beim Einschlafen. Ärgerlich, wenn dann die Schlafzimmertüre aufgerissen wird, weil die Wanderschuhe für die morgige Exkursion unauffindbar sind oder dringend noch Geld für den auswärtigen Lunch «getwintet» werden muss. Fragen zum Römischen Reich oder dem Layout der PowerPoint-Präsentation beantworte ich aber grundsätzlich nicht mehr nach 21 Uhr. Wenn aber die richtig guten Gespräche nach dem Zähneputzen entstehen, die ganz grossen Fragen im Pyjama erörtert werden müssen – dann wäre ich schön blöd, auf die Uhr zu verweisen. Das Leben hält sich nun einmal nicht an einen Stundenplan.

Späterer Schulbeginn wäre sinnvoll

Im Kanton Basel-Stadt wurde ein späterer Schulbeginn getestet und von der Uni Basel evaluiert. Während sich nämlich die Einschlafphase von Teenagern nach hinten verschiebt, bleibt ihr Schlafbedürfnis unverändert bei über acht Stunden. Wie sich das auf die Leistungsfähigkeit von Jugendlichen auswirkt, kann jede Lehrperson, die frühmorgens einer komatösen Schulklasse den subjonctiv näherbringen will, eindrücklich schildern. Die Basler Studie zeigte eindeutig auf, dass ein späterer Schulbeginn positive Auswirkungen auf Wohlbefinden, Motivation und Leistungen hat. Ich höre diejenigen, die gerne «Ja, aber …» schreien, nun laut aufheulen. Lektionen abbauen? Unterricht bis 19 Uhr? Gohts no? Ruhig Blut: Der Unterrichtsbeginn wurde lediglich um 20 Minuten nach hinten geschoben. Dass sich bereits eine so kleine Verschiebung auswirkt, verblüffte selbst die Forscher.

Seien wir gnädig mit verpeilten Teenies. Voci pauken um halb acht ist für sie etwa so, wie wenn wir uns nachts um drei an Englischvokabeln erinnern müssten.

Und wer weiss, vielleicht prüfen künftige Schulleitungen, ob ein späterer Unterrichtsbeginn nicht im Sinne von allen wäre: Jugendlichen, Lehrpersonen, Eltern.

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