Soll Computer-Spielsucht als Krankheit anerkannt werden?

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Die WHO will Video- und Onlinespielsucht erstmals als eigene Krankheit anerkennen. Aber ist diese Ein­stufung sinnvoll oder völlig übertrieben?

Pro

Von Alexa Scherrer, Leitung Online

Eines vorneweg: Wer ein ­Wochenende mit Bier, Chips und Gleichgesinnten, ohne Körperhygiene, Tageslicht und frischer Luft durchzockt, ist nicht krank. Wer sein Leben und ­seinen Alltag aber konsequent seiner Konsole oder seinem Computer unterordnet, braucht Hilfe.

Derzeit tagt die Weltgesundheits­versammlung und beschliesst einen überarbeiteten Katalog der Gesundheitsstörungen. Unter anderem soll Video- und Onlinespielsucht erstmals als eigene Krankheit anerkannt werden. Die Argumente derjenigen, die sich dagegen aussprechen – weil sie behaupten, dass dann urplötz­licher jeder, der auch nur einen ­Controller berührt, eine Therapie aufgezwungen bekomme – sind ­lächerlich. Und verwerflich wird es, wenn man Computerspielsucht weniger ernst nimmt als etwa Heroinsucht. Wonach man süchtig ist, spielt eine untergeordnete Rolle. ­Allerdings ist es bei Heroin einfacher zu definieren, wo die Sucht anfängt. Geht es um Onlinegames, kommt die Abhängigkeit schleichender. Die virtuelle Unbeschwertheit, die so rein gar nichts mit den Problemen der Realität zu tun hat, nimmt ­immer mehr Platz ein, bis die Welt vor dem Fenster ganz mit der hinter dem Bildschirm ersetzt wird.

Süchtige können sich selbst und ihrer Sucht nicht entkommen. Das körperlich Abhängigen zuzugestehen, Computerspiel-Süchtigen aber Charakterschwäche zu unterstellen, ist schlicht falsch. Eine Krankheit anzuerkennen, wenn sie vorhanden ist, hat nichts mit der Pathologisierung der Gesellschaft zu tun. Um überhaupt definieren zu können, ab wann etwas als Sucht einzustufen ist, braucht es Kriterien – allgemeingültige. Wie soll sich ein Arzt ansonsten für eine passende Therapie einsetzen können? Wie soll die ­Forschung vorangetrieben werden, wenn es etwas offiziell gar nicht gibt? Und zu wissen, dass das, was mit einem passiert, einen Namen hat, hilft auch den Betroffenen.

Laut WHO müssen übrigens während eines Jahres alle Aspekte des Lebens – soziale Kontakte, Job, Schule oder auch Essen und Schlafen - dem Spiel untergeordnet werden, um als krank zu gelten. Wer da widerspricht, sollte seine Realität wohl selber mal genauer unter die Lupe nehmen.

Contra

Von Alfred Wüger, Redaktor

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) möchte die Computerspielsucht in den Status einer Krankheit erheben, wie es etwa mit der Alkohol- oder Drogensucht schon geschehen ist. Daran, dass bereits in diesem ersten Satz drei verschiedene Ausformungen eines Suchtverhaltens als Krankheitsbilder angesprochen werden, zeigt es sich, dass diese Krankheitsbilder eine gemeinsame Basis haben, nämlich eine Abhängigkeit. Eine Abhängigkeit, die der Volksmund als Sucht bezeichnet. Die drei genannten Süchte unterscheiden sich voneinander. Abhängigkeiten von Drogen jeglicher Art betreffen legale oder illegale Substanzen, die der Betroffene seinem Körper zuführt. Anfänglich, um sein Wohlbefinden – vornehmlich in ­belastenden Situationen – zu steigern, später womöglich, weil er nicht mehr anders kann. Eine andere Art Abhängigkeit ist das Ausgeliefertsein an bestimmte Verhaltensweisen, zum Beispiel das Spielen. Die Computerspielsucht gehört zu den Verhaltenssüchten. Wenn man nun die Computerspielsucht als Krankheit definiert, dann kann diese Krankheit nach objektiven Kriterien diagnostiziert werden. Dann kann man sagen: Jugendliche, die überaus viel Zeit mit dem Computer verbringen, sind krank. Dann müssten sie eigentlich behandelt und ­therapiert werden. Wie? Und was, wenn die Sucht stärker ist als die Therapie und der durch die WHO-Richtlinien als süchtig Gebrandmarkte sich ­allen Versuchen, ihm zu helfen, ­entzieht? Die, die ihn betreuen möchten, ­verlieren dann sein Vertrauen, das Vertrauen, das nötig wäre, um den Brückenschlag zum ­Betroffenen zu schaffen. Denn die Wurzel aller Süchte liegt im Empfinden derer, die abhängig werden. Weil sie meinen, sich auf diese Weise etwas Gutes zu tun. Das mag ein Irrtum sein. Aber ­irren ist menschlich und keine Krankheit. Suchterkrankungen dürfen nicht verharmlost werden, ­Abhängigkeiten stehen der Freiheit entgegen. Wir sollten daher unsern Kindern frühzeitig fürsorglich nahe sein und sie nicht mit immer neuen Namen für Verhaltensweisen weiter und weiter pathologisieren. Ein liebevolles Umfeld, wo Menschen Zeit ­füreinander haben, kann sich als gute Prävention erweisen.

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