Demokratische Wirtschaft

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Zeno Geisseler von den Schaffhauser Nachrichten
Zeno Geisseler. Bild: Selwyn Hoffmann

Zeno Geisseler zum Parteiprogramm der SP, einer Wirtschaft im Dienst der Menschen und Konjunktur als Armutbekämpfer.

Eigentlich muss man sich wundern, warum der Sozialismus in der Schweiz nie so erfolgreich war wie in anderen Ländern. Viele Forderungen der Arbeiterschaft waren nämlich durchaus nachvollziehbar. So ging es beim Landesstreik von 1918 unter anderem um die Einführung des Frauenstimmrechts. Auch das aktuelle Parteiprogramm der SP könnten Bürgerliche wohl zu gefühlten 70 Prozent unterschreiben. «Demokratie und Rechtsstaat stärken» steht da, oder «gerechte und friedliche Weltordnung»: Wer kann schon gegen Demokratie und Weltfrieden sein? Und ein Anspruch wie «öffentliche Sicherheit für alle» würde selbst an der Parteiversammlung der Jungen SVP ohne ­Gegenstimme durchkommen.

Wer gegen fremdbestimmte Arbeit ist, sollte Unternehmer werden

Es sind die anderen 30 Prozent im Parteiprogramm, die einen die Stirn runzeln lassen. So natürlich die «Überwindung des Kapitalismus» durch eine «Demokratisierung der Wirtschaft». Was das heisst? «Wir wollen, dass nicht der Mensch im Dienst der Wirtschaft steht, sondern die Wirtschaft im Dienst des Menschen. Wir wollen die Menschen aus entfremdeter, fremdbestimmter Erwerbsarbeit befreien», schreibt die SP im Parteiprogramm. Jenem von 2010, nicht dem von 1888. Der Gedanke selbst ist aber 19. Jahrhundert pur. Schon der Vater des Kommunismus, Karl Marx, beklagte die «Entfremdung des Arbeiters von der Arbeit».

Die SP, das sei fairerweise gesagt, trifft mit ihrer marxistischen Forderung nach mehr Mitsprache durchaus einen Punkt. Grossunternehmen haben schon lange erkannt, dass Mitarbeiter auch Mitbesitzer sein sollten. Sie bieten ihren Angestellten Aktien und Optionen zu Vorzugspreisen. Wer nicht nur Lohnempfänger ist, sondern auch Anteilseigner, setzt sich stärker für das Unternehmen ein. So gesehen, ist die Aktiengesellschaft direktdemokra­tische Wirtschaft in Reinkultur: jeder Aktie die gleiche Stimme! Jeder Aktie der gleiche Anteil am Gewinn!

Ganz nach der marxis­tischen Tradition fordert die SP mehr Mitsprache der Arbeiter in der Wirtschaft. Damit liegt sie nicht daneben. Nur zieht sie die falschen Schlüsse.

Aber das ist natürlich nicht das, was die SP unter demokratischer Wirtschaft versteht. Sie will lieber Betriebe verstaatlichen, was ironisch ist, weil die Mitarbeitenden im Staatsdienst systembedingt am wenigsten zu sagen haben. Strategie, Stellenplan und Lohn werden politisch vorgegeben. Wer partout gegen «fremdbestimmte Erwerbsarbeit» ist, der sollte also vielleicht nicht nach dem Staat rufen, sondern seine eigene Firma gründen.

Wirtschaft im Dienst des Menschen? Ziel erreicht

Doch geht es den Arbeitern überhaupt so schlecht, wie die SP meint? Kommt darauf an. Die Zeiten sind jedenfalls längst vorbei, in denen Patrons aus dem Überfluss an billiger Arbeitskraft einen hübschen Profit schlagen konnten. Ausser natürlich in Staaten wie China, wo die Arbeiter unter dem Banner von Hammer und Sichel hemmungslos geknechtet werden. Im liberalen Schweizer Arbeitsmarkt hingegen liegt die Kraft in vielen Branchen schon längst bei den Arbeitnehmenden, weil die Unternehmen auf hoch qualifizierte Leute angewiesen sind und der Arbeitsmarkt ausgetrocknet ist. Die Folge: Die Löhne in der Schweiz zählen zu den höchsten weltweit. Und weil die Steuern zu den tiefsten gehören, bleibt der grösste Teil der Wertschöpfung bei den Arbeitnehmern. Wirtschaft im Dienst des Menschen? Ziel erreicht.

Konjunktur, nicht Umverteilung befreit Menschen aus der Armut

Weil vom heimischen Proletariat also niemand mehr vom Joch der Besitzenden befreit werden muss, ist die Sozialdemokratie mit ihren Forderungen internationaler geworden. Da liest man dann von der wachsenden Ungleichheit zwischen Arm und Reich. Allerdings geht die Schere ausgerechnet in bejubelten sozialistischen Musterländern wie Venezuela besonders auf. Weltweit gesehen ist die Armut sowieso seit Jahren auf dem Rückzug. Seit 1990 sind nach Berechnungen der Weltbank weit über eine Milliarde Menschen der extremen Armut entflohen. Und dies nicht wegen Almosen von Nord nach Süd, sondern weil viele Staaten in Asien und Afrika seit Jahren kräftig wachsen. Eine robuste Konjunktur ist immer noch das beste Rezept gegen Armut.

Braucht es also die SP gar nicht mehr? Doch, natürlich. Den geerdeten Genossen auf kantonaler und kommunaler Ebene muss man sowieso nicht mit Grundsatzdiskussionen über entfremdete Arbeiter und das Ende des Kapitalismus kommen. Schade nur, dass auch die Schaffhauser Sozialdemokraten in Fragen der Umverteilung und der Kritik am Kapital nur allzu gerne zu vergessen scheinen, wer denn das viele Geld erwirtschaftet, das unseren bestens ausgebauten Sozialstaat finanziert. Vielleicht wäre das mal ein Thema für die nächste 1.-Mai-Rede?

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