Sündiger Spass oder Untergang des Abendlandes?

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Reality-TV: Psychologisch reizvolle Unterhaltung oder allerunterste Schublade? Darüber streiten sich Anna Kappeler und Maria Gerhard

Seit vorgestern läuft «Die Bachelorette» wieder im Fernsehen – diesmal mit Schaffhauser Beteiligung. Darf man sich solche Sendungen ansehen? Zwei Autorinnen, zwei Meinungen.

Pro

Von Anna Kappeler, Redaktion Inland

Ich gebe es zu: Das Format «Der Bachelor» und sein weibliches Pendant «Die Bachelorette» ist mein «guilty pleasure», meine heimliche Leidenschaft, die mir etwas peinlich ist. Denn: Ich bin ansonsten ein cinephiler Snob. Arthouse- und Reprisen-Kinos sind meine zweite Stube, jahrelang arbeitete ich dort an der Kasse und stand hinter der Bar, bis heute entzücken mich alte 35-Milli­meter-Kopien mit ihrem unvergleichlichen Rotstich. Grosse Popcorn-Blockbuster in Multiplex-­Häusern dagegen boykottiere ich.

Und dann aber doch: Beim TV-Schauen schlägt mein Herz für den Trash. Neben hochstehenden BBC- oder SRF-Dokumentationen schaue ich leidenschaftlich gerne Sendungen wie «Der Bachelor». Nur schon die Ausgangslage ist so wunderbar absurd, dass sie einem Monty-­Python-Sketch entspringen könnte. 20 paarungswillige Singles buhlen um einen «Bachelor» oder eine ­«Bachelorette». Wer die letzte Rose bekommt, hat gewonnen. Der Preis ist nicht etwa Geld, nein, hier ist der Einsatz nichts Geringeres als das Herz des «Bachelors» oder der «Bachelorette». Allein für diese grossartige Idee würde ich einen Preis verteilen – stünde das denn in meiner Macht. Das Konzept ist nicht hochstehend, dafür aber umso unterhaltsamer. Und die beste Zerstreuung nach einem Arbeitstag. Das ist zwischendurch vollkommen legitim. Das Geheimnis von Realitv-TV: Es bedient das Urbedürfnis, andere Menschen zu beobachten. Das ist, wie mit Freunden in einem belebten Strassencafé zu sitzen und die Vor­übergehenden zu beäugen und über sie zu urteilen. Köstlich, wenn auch zugegeben nicht immer sehr charmant. Kein Wunder, erreicht der Privatsender 3+ damit Traumquoten.

Zudem birgt die Sendung Situationskomik à gogo. Da erzählt ein Kandidat der «Bachelorette» etwa von seinem Herzfehler, und sie schmachtet danach in die Kamera, dass er ganz tief in sich wirklich ein grosses Herz habe. Wie gesagt, beste Unterhaltung. Ob die Sendung nun gescriptet ist, die Dialoge also vorgeschrieben sind oder nicht, ist letztlich zweitrangig. Auch muss mit den Kandidaten niemand Mitleid haben, schliesslich wissen sie haargenau, worauf sie sich einlassen. Und sie tun es freiwillig. Also bitte an dieser Stelle keine falsche Moralpredigt.

Ich jedenfalls habe nicht nur sämt­liche Schweizer Staffeln gesehen – es sind immerhin fünf «Bachelors» beziehungsweise seit gestern Abend vier «Bachelorettes» –, sondern auch viele Folgen des deutschen Pendants. Und, Trash ahoi, ich freue mich auf jede weitere.

Contra

Von Maria Gerhard, Redaktion Stadt Schaffhausen

«Optisch wie ein Model, Charakter von ’ner Dicken.» – «Ich bin schon sehr oberflächlich. Die muss schon gut aussehen.» – «Alex hat den besten Platz, der kann richtig in die ­Melonen gucken.» – «Ich dachte die ganze Zeit, das ist die Frau, aber das ist eine Mülltonne.» – «Wenn ich mir morgens einen Pickel ausdrücke, dann hat das mehr Power als deine Stimme.» – «Du bist wie eine mässige Mahlzeit: ganz lecker, aber ziemlich fad!»

Und wie fühlen Sie sich jetzt, nachdem Sie diese Sprüche aus «Die ­Bachelorette», «Deutschland sucht den Superstar» und «Germany’s Next Topmodel» gelesen haben? Haben Sie etwas gelernt? Wurde Ihre Seele für einen Moment gestreichelt? Oder Ihre Fantasie ein kleines Quäntchen angekurbelt? Nein? Dann willkommen im Reality-TV! Es funktioniert so: Hinter der Mattscheibe machen sich ein paar Menschen zum Deppen, die davor lachen sie dafür aus. Um wenigstens einmal – Pardon – mit Dieter Bohlen zu sprechen: «Zum Kotzen ist das doch!»

Es ist ja nicht so, dass ich nach einem arbeitsreichen Tag nicht auch gerne einfach mal mein «Hirn ausschalten» und mich bespassen lassen möchte. Doch bisher habe ich mich erfolgreich dagegen gewehrt, Reality-TV zu schauen. Eine gewisse Anziehung gibt es da nämlich schon, das muss man sagen, denn sonst wären diese Formate wohl auch nicht so erfolgreich.

Aber da ist etwas, das sich tief in mir ganz entschieden sträubt … oder ich habe einfach Angst um meine Gehirnzellen. Denn haben Sie schon einmal in einen tiefen Brunnenschacht geblickt? Gähnendes Nichts. Und genauso fühlt es sich an, wenn man nach über zwei Stunden «Die Bachelorette» den Ausknopf drückt. Eigentlich werden die Kandidaten darin nur vorgeführt: je banaler die Zitate, umso mehr jauchzen die Macher. Da stellt sich zum Beispiel in der letzten Staffel ein Kandidat vor: «Ich bin Kundenberater, und ich berate Kunden.» Oder ein anderer sagt: «Ich freu mich, dich kennen­zulernen.» Sie sagt: «Ich freu mich natürlich auch, dass du dich freust.» Zoom aufs Gesicht.

Was ist es bitte, das die Zuschauer an diesen Formaten so anziehend finden? Der Humor kann es eher nicht sein. Dann ist es wohl doch die Schadenfreude. Bei «Bauer sucht Frau»wird zum Beispiel der sanfte Schweinebauer Uwe (41) vorgestellt. Er ist auf der Suche nach der grossen Liebe. Und ob er jetzt selber daran schuld ist, dass andere über ihn ­lachen, weil er sich ja freiwillig gemeldet hat, ist irrelevant – eigentlich ist das doch traurig.

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