Importierte Erdbeeren: Freude dank Freihandel oder unausgereiftes Angebot?

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In den Supermärkten sind sie ­derzeit ­prominent ­anzutreffen: importierte ­Frühlingsboten wie Erdbeeren oder Spargeln. Doch soll man sie essen, bevor sie in der Schweiz reif sind?

Pro

Von Alfred Wüger, Redaktor Region

Natürlich ist es ziemlich verrückt, wenn man mitten im Winter in die Gemüse- und Früchteabteilung kommt und dort anmächelige Kistchen mit Erdbeeren sieht. Röter als rot und einen Duft verströmend, der einen an einen Fruchtgarten im Sommer erinnert. Da schiesst einem dann die Gretchenfrage durch den Kopf: Die Erdbeeren kaufen oder nicht kaufen? Denn die Vernunft sagt einem ja, dass sie voraussichtlich nach nichts schmecken werden. Oder mindestens nicht nach an­mächeligen roten Erdbeeren, wie man sie im Sommer aus dem Garten holen könnte. Nun ist es aber mit der Vernunft so eine Sache. Die ­Vernunft wird nämlich schnell von den Gefühlen übertönt, und vernünftig ist folglich, was das Gefühl befriedigt, und das Gefühl ist in diesem Fall, dass mir die roten Erdbeeren gefallen. Und schwups, sind sie gekauft. Zu Hause erfüllen sich alle die aufgrund der Vernunft gemachten Überlegungen: Die Küche duftet nach Erdbeeren, die Früchte schmecken aber nach nichts, und die Röte hört wie mit dem Lineal gezogen dort auf, wo der grünlich-weisse ­Bereich anfängt um die Blättchen­rosette, die daran erinnert, dass die Erdbeere einst tatsächlich an einer echten Pflanze hing. Soll ich nun die Früchte einfach in den Grünmüll kippen und mich einen unverbesserlichen Trottel schimpfen? Nein, wieso auch? Lieber die Früchte zerschneiden, zuckern, essen – Genuss ist, wenn man trotzdem geniesst. Am nächsten Tag sehe ich im ­Laden Spargeln und Weintrauben. Na, jetzt habe ich ja schon die Erdbeeren gekostet, also kann ich auch die Spargeln posten und die Weintrauben. Dass überhaupt Früchte und Gemüse «zur Unzeit» in die ­Läden kommen, liegt daran, dass die Produkte aus dem Ausland stammen. «Agrarfreihandel gefährdet einheimische Nahrungsmittelproduktion», «Agrarfreihandel führt ins Verderben», «Öffnung der Schweiz statt Abschottung?» Das sind Schlagzeilen, die man in diesem Zusammenhang lesen konnte und kann. Das heisst, dass Schweizer Produkte oft politisch geschützt werden. Das nennt man Protektionismus. Dadurch werden die Handelsfreiheit und damit auch die Freiheit von Konsumentin und Konsument eingeschränkt. Das kann nicht der Weg sein. Gewiss, man kann fundamentalistisch argumentieren und sagen: Es ist ethisch wertvoller, nur saisongerechte Produkte ein­zukaufen. Mag sein. Letztlich entscheidet jedoch der Verbraucher mit seinem Bauch: Erst wenn mir nicht schmeckt, was angeboten wird, widerstehe ich der Versuchung.

Contra

Von Isabel Heusser, Redaktorin Region

Prall, saftig, knallrot, aromatisch, nach Sommer duftend: Das macht eine ordentliche Erdbeere aus. Was aktuell in den Läden verkauft wird, hat die Bezeichnung Erdbeere nicht verdient: blasse Früchte, abgepackt in einer Plastikschale, bestenfalls säuerlich, schlimmstenfalls nach gar nichts schmeckend. Das ist nur logisch, schliesslich wurden die Dinger in Spanien unreif geerntet und danach heruntergekühlt, damit sie den fünfzehnstündigen Transport in die Schweiz überhaupt überleben. Erstaunlich, dass es Menschen gibt, die freiwillig so etwas essen und erst noch so tun, als wäre es ein Genuss. Dasselbe gilt natürlich für alle anderen Gemüse- und Fruchtsorten, die ausserhalb der Saison verkauft werden. Heidelbeeren aus Peru, Spargeln aus Mexiko – das findet tatsächlich Absatz. Warum nur? Selbstverständlich hängen einem die immer gleichen Birnen, Äpfel und Rüebli zum Hals raus, wenn der Frühling kommt. Selbstverständlich sehnen wir uns nach dem Geschmack von Sonne auf der Zunge, denn genau das ist es, was eine zuckersüsse Himbeere im Mund auslöst. Aber seien wir ehrlich: Zumindest importierte Beeren genügen den Qualitätsansprüchen nicht. Früchte und Gemüse schmecken am besten, wenn der Weg von der Produktion zum Kunden möglichst kurz ist. Das wissen auch die Grossverteiler. Mit Importware können sie nicht punkten. «Herkunft siehe Verpackung» steht dann etwas verschämt ganz unten auf dem Preisschild statt in grossen Lettern «Aus der Region». Schliesslich sollen sich die Kunden nicht ­damit beschäftigen müssen, dass mexikanische Spargeln eine miese CO2-Bilanz haben oder von schlecht bezahlten Arbeitern geerntet werden. Oder mit Mittelchen gespritzt wurden, deren Inhaltsstoffe man nicht kennt. Es gibt gute Gründe, warum ausländische Spargeln nur halb so viel kosten wie diejenigen aus der Schweiz. Schon klar: Für die meisten Gemüse- und Fruchtsorten kann der Markt in der Schweiz niemals die Nachfrage abdecken. Gemäss dem Schweizer Obstverband Swissfruit werden über zwei Drittel der in der Schweiz gegessenen Erdbeeren importiert, 90 Prozent davon vor der Ernte in der Schweiz. Kein Wunder, wenn der Konsument schon im Februar nach Himbeeren schreit. Dabei gibt es eine Alternative zu Importware: Tiefkühlprodukte. Die haben nicht nur eine einigermassen akzeptable Umwelt­bilanz, sondern schmecken auch gut, weil die Ware direkt nach der Ernte eingefroren wird. Auch ein No-Go? Dann hilft nur eins: warten, bis die Saison anfängt.

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