Geteilte Freude ist doppelte Freude

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Eva-Maria Brunner über den «Zeigitag»

Ein Kindergarten in der Stadt Schaffhausen. Die wiederkehrende Blockflötenmelodie ist für die Kinder das Zeichen, sich nacheinander in Bewegung zu setzen und den sitzenden Mitschülern ihren mitgebrachten Gegenstand zu zeigen. Die Stimmung ist andächtig: Plüscheinhörner werden gestreichelt, Sammelfiguren bewundert, dem Miniatur-Keyboard eine schiefe Interpretation von «Alli mini Entli» abgerungen. «Zeigitag» – ein Ritual, das sich Woche für Woche wiederholt. Betrachte ich die mitgebrachten Spielsachen und den Umgang der Kinder damit, werde ich nachdenklich. Oft wissen die Kinder gar nicht, wie sie die elektronischen Geräte bedienen müssen. Die Kuscheltiere wirken austauschbar und auf die Frage, wie die Puppe denn heisse, kommt die immer gleiche Antwort: «Weiss nid.» Viel Elektronik, wenig Beziehung.

Die Schreibende, deren eigene Kindergartenzeit gute vierzig Jahre zurückliegt, wundert sich. Meinen Tieren sah man an, dass sie treue Begleiter waren: das Fell fadenscheinig, die Augen eigenhändig mit Filzstift nachkoloriert. Sie hatten Namen, Persönlichkeiten und eine grosse Bedeutung für mich. So manche Nacht, die ich nicht im eigenen Bett verbrachte, überstand ich nur dank dem Support von Cordula, einem Zwitter aus Bär und Hund.

Weg von der Klischee-Mottenkiste

Ich schmunzle bei der Vorstellung, wie so ein «Zeigitag» unter Erwachsenen wohl aussehen würde. Mittelalte Investmentbanker im Stuhlkreis, die einander den neuen Golfschläger, die Rolex oder den Porsche-Schlüssel zeigen. Die Damenrunde, bei der jede den mitgebrachten Lippenstift ausprobieren oder an der Duftkerze schnuppern darf. Weg von der Klischee-Mottenkiste, hin zu ernster gemeinten Ideen.

«Ich schmunzle bei derVorstellung, wie so ein ‹Zeigitag› unter Erwachsenen wohl aussehen würde.»

Als Mutter von Teenagern erlebe ich immer wieder, dass ich über Dinge, die ihnen etwas bedeuten, auch etwas über ihre Persönlichkeit erfahre, dass sie mir vielleicht nicht direkt kommunizieren würden. Das eben gelesene Buch, das etwas exzessiv verwendete Eau de Toilette, der Controller fürs Game. Alles Ausgangspunkte für Gespräche.

Warum also nicht einmal einen «Zeigitag» auf der Oberstufe durchführen? Gerade für scheue, wenig redegewandte Jugendliche eine Möglichkeit, etwas von sich preiszugeben. Und für die Lehrperson eine Möglichkeit, in die Beziehung zu gehen.

Ich spinne den Gedanken weiter: Was würde passieren, wenn wir die Schülerinnen und Schüler eine Fähigkeit zeigen lassen würden? Fatma kann den Spagat, Leon Wörter blitzschnell rückwärts aufsagen, Lina kennt alle asiatischen Staaten und Ruben kann beatboxen. Wer hätte das gedacht? Es geht also um mehr als nur um reines Prahlen mit Konsumgütern.

Was ich schön finde, womit ich mich umgebe, ist immer auch ein wenig Selbstoffenbarung. Gegenstände können eine emotionale Bedeutung haben, welche deren materiellen Wert bei Weitem übersteigt. Der durchschnittliche Europäer soll 10'000 Gegenstände besitzen. Und doch gibt es einzelne, die uns besonders nah am Herzen sind.

Zeigen Sie, was Sie haben

Den Fingerring von meiner Grossmutter hätte ich nie im Laden ausgesucht. Der Weihnachtsbaumschmuck, der allen Mitgliedern meiner Herkunftsfamilie ein Lächeln ins Gesicht zaubert, lässt die Angeheirateten nur mit den Schultern zucken. Den Stein vom Strand am Pazifik hätten die Einheimischen liegen lassen. Ja, und Cordula, ich denke hier auch an dich. Manchmal merke ich schon im Laden, dass ich diese Bluse, dieses Buch oder jene Gewürzmischung gerne meiner Schwester, einer Freundin zeigen möchte. Und tue es dann natürlich nicht und hoffe nur still darauf, dass sie später bemerkt, wie umwerfend gut mir das neu erworbene Stück steht.

Schade eigentlich. Geteilte Freude ist doch doppelte Freude. In diesem Sinne – zeigen Sie, was Sie haben. Und freuen Sie sich gemeinsam darüber. Am nächsten «Ich-zeige-mich-Tag».

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