Ein Tag als Samichlaus: Wenn Kinderaugen einen anstrahlen

Ralph Denzel | 
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Quizfrage: Erkennen Sie den SN-Reporter unter den Samichläusen? (Auflösung: Der Dritte von rechts). Bild: zVg

In der ersten Adventswoche ist er oft zu sehen: Der Samichlaus. Ich durfte für einen Tag in das Kostüm schlüpfen und beim «Auszug der Nikoläuse» in Neuhausen dabei sein. Ein Erlebnis, welches mir so viel mehr gab als eine schöne Geschichte.

An diesem Sonntagabend geht die Sonne besonders schön unter und taucht die hohen Türme der katholischen Kirche «Heilig Kreuz» in Neuhausen in ein warmes, oranges Licht. Auf den Stufen, die zum Hauptgebäude hochführen, ist schon ein Mikrofon aufgestellt, welches nachher seinen Einsatz haben wird.

Mein Ziel ist aber der Pastoralraum, direkt nebenan. Hinter einer roten Tür sind fleissige Hände noch dabei, letzte Tütchen mit Nüssen, Schokoladen und Mandarinen zu füllen. Auf zwei zusammengeschobenen Tischen steht eine Schachtel mit Grittibänz und Lebkuchen.  

Die Kostüme sind bereit. Bild: Ralph Denzel

Ich werde heute zum Samichlaus, zumindest für einen Abend, und werde zusammen mit anderen beim «Auszug der Nikoläuse in Neuhausen» dabei sein. Zu diesem Zeitpunkt weiss ich noch nicht, mit was für einem Hochgefühl ich in einigen Stunden wieder hier stehen werde.

Kampf mit dem Kostüm

Mein «Obernikolaus» ist Martin Bischof. Er ist die perfekte Verkörperung des Samichlaus, gross, mit einer tiefen, warmen Stimme und freundlichen Augen. Er begrüsst mich herzlich und führt mich in den Keller, wo in zwei grossen Schränken mehrere Samichlaus- und Schmutzli-Kostüme warten. «Wir haben hier ungefähr 15 Stück», erklärt er mir. Einige «Mit-Chläuse» schnappen sich zielstrebig ihre, sind doch einige angeschrieben. Ich bekomme eines, welches laut Aussage von Bischof «schon länger» nicht mehr benutzt wurde, in einem roten Karton.

Martin Bischof kontrolliert mein Kostüm für den Abend. Alles vorhanden. Bild: Ralph Denzel

Das merkt man allerdings nicht, als ich ihn öffne. Fein säuberlich ist dort fast alles drin, was man als Samichlaus braucht: eine rote Bischofsmütze, ein rotes Gewand, ein schöner, wallend-weisser Bart und eine weisse Perücke. Nur das Goldkreuz muss ich aus einer anderen Schachtel nehmen.

Bischof erklärt und hilft mir beim Anlegen, denn das ist gar nicht so einfach, wie ich feststelle. Bei ihm, der das schon lange macht, geht es binnen weniger Minuten, ich verzweifle schon an einem simplen Seil, das ich mir um den Bauch binden soll.

Nach einer Weile bin ich dann aber so weit und spüre, wie sich etwas in mir verändert. Es ist plötzlich klar, dass meine weiss behandschuhten Hände nicht einfach nur schlapp an meiner Seite herunterhängen können, sondern ich falte sie fast unmerklich von meinem Bauch. Als ich meinen Bischofsstab bekomme, beginne ich, mich wie ein alter Mann darauf abzustützen.

«Das Kostüm macht etwas mit einem», erklärt mir ein andere Samichlaus. Jakob «Jaki» Spörndli ist seit vielen Jahren in den Klettgaugemeinden als Samichlaus unterwegs. Gelernt hat er das Handwerk bei einem Samichlaus, der laut seiner Aussage 50 Jahre lang das rote Kostüm trug.

Lehrjahre als Samichlaus

Der Weg eines Samichlaus geht meistens, so erklären Spörndli und Bischof mir, über die Kirche als Ministrant, dann zum Schmutzli und dann irgendwann zum Samichlaus. «Wenn man in dieses Kostüm schlüpft, verändert man sich, in der Gestik und auch in der Art», so Spörndli. Er erzählt mir von Erlebnissen, bei denen der Samichlaus zu guten Freunden kam. Der Samichlaus war nicht mehr der gute Freund, sondern der Samichlaus, und genauso wurde er auch von den Freunden behandelt – ganz automatisch, ohne dass einer der Beteiligten es bemerkte.

Der Samichlaus hilft seinem «Schmutzli» in sein Kostüm. Bild: Ralph Denzel

Ich hingegen merke, dass diese Figur mehr als nur ein Mann mit einem Bart ist, er ist Erinnerung, ein Symbol. Ja, das Kostüm macht etwas mit einem. Spörndli erzählt mir von Erlebnissen in Altenheimen, fast um mein Gefühl zu unterstützen: «Es kommt sehr oft vor, dass bettlägerige Bewohner, die gar nicht mehr reden, plötzlich lachen und Gedichte zitieren, wenn ich vorbeikomme.» So tief ist diese Figur und ist die Erinnerung daran in den Menschen drin.

Es wird ernst

Ein ganz schöner Ballast, den ich also mit mir trage, als ich durch die Sakristei in die Kirche gehe und dort, hinter dem Hauptportal warte. Draussen auf dem Vorplatz haben sich schon die ersten Menschen aufgestellt und warten auf die Chläuse, darunter viele Kinder. Durch die dicken Türen hören wir lautes Murmeln und Lachen. Ich halte mich an Bischof, damit ich nichts falsch mache.

Dann geht die Tür auf und wir kommen raus. Jeder von uns läuft ein bisschen gebückt, älter, als würde das Kostüm uns in den alten Mann verwandeln, den wir darstellen – ganz automatisch.

Ein kleines Mädchen ruft laut, «Samichlaus!», als es uns sieht, und winkt begeistert.

Es ist kalt an dem Abend und ich bin froh um den Mantel, die Perücke und den Bart, die mich wärmen. In der Vorbereitung habe ich darunter geschwitzt, jetzt bin ich dankbar dafür.

An der frischen Luft gibt es Wärme, in Innenräumen sind der Bart und die Perücke sehr warm … Bild: Ralph Denzel

Ein Samichlaus hält eine Rede über Dankbarkeit. Die Kinder schauen zu, aber man merkt ihnen an, dass sie vor allem dem Samichlaus, den Chläusen, endlich richtig «Hallo» sagen wollen. Als die Rede beendet ist, sagen einige ihre Gedichte auf und singen uns Samichlauslieder vor. Dafür gibt es einen Grittibänz oder einen Lebkuchen.

Dann beginnt unser Auszug. Wir laufen über die Rheinfall- in Richtung Zentralstrasse, wo wir zum «Platz für Alli» gehen. Hinter uns geht eine ganze Schar Kinder mit ihren Eltern mit. Die Kinder beginnen zu singen, aus vollem Herzen, so laut sie können. In diesem Moment finde ich es schade, dass der Bart fast mein ganzes Gesicht verdeckt, sonst könnten sie sehen, wie sehr ich lächeln muss.

Strahlende Augen

Als wir ein Hochhaus passieren, sehe ich Bewegung hinter einem Fenster. Eine Frau öffnet es gerade und hebt ihr kleines Kind hoch. Das Mädchen schaut uns mit grossen Augen an und ich winke ihm. Selten habe ich so strahlende Kinderaugen gesehen und eine solche Freude über diese kleine Geste.

Am Platz für Alli platzieren wir uns um einen Brunnen.

Unsere Gaben für die Kinder. Bild: Ralph Denzel

«Wichtig ist, dass man auf die Kinder zugeht», hatte mir Bischof als Tipp mitgegeben. Das mache ich auch. Ein kleines Mädchen, vielleicht drei Jahre alt, steht vor mir und schaut mich lächelnd an, aber traut sich nicht näher heran. Auch die Mutter, die hinter dem Kind steht, schafft es nicht, das Mädchen dazu zu bewegen, dass es sich dem Samichlaus nähert. Also gehe ich in die Hocke. Unter meinem Bart lächle ich, was das Kind zwar nicht sieht, aber vielleicht spürt.

«Hallo du, wie heisst du denn?», frage ich.

Das Mädchen lächelt schüchtern, aber strahlt mich glücklich an.

Ich versuche es noch mal und irgendwann sagt sie mir zaghaft ihren Namen.

«Das ist aber ein schöner Name. Hast du vielleicht ein Gedicht oder einen Reim für mich?» Das Kind schüttelt nur den Kopf und streckt mir die Hand hin. Ich ergreife sie, schüttle sie sanft und das Strahlen und Lachen im Gesicht des Kindes wird noch breiter. Eigentlich sollten Kinder ein kleines Gedicht aufsagen, wenn sie was von uns wollen, so hat man es mir im Vorfeld eingetrichtert, aber hier ist es mir egal. Ich beuge mich zu meinem Schmutzli und bitte ihn um ein Päckchen mit Gaben. Das Mädchen drückt es an sich, als wäre es ein Goldschatz. Leise sagt es «Danke» und schaut mich noch eine ganze Weile dankbar von unten an.

Eine ungekannte Hochstimmung

So geht es eine ganze Weile. Jedes Kind schenkt mir ein Lächeln, freut sich an mir, und diese kindliche Freude und das Strahlen übertragen sich auch auf mich. Ich fühle mich in Hochstimmung, bin, ganz nach der Rede meiner Samichlauskollegen in einer «dankbaren» Stimmung. Mit jedem weiteren Kind, das mir Hallo sagt, dem ich die Hand schütteln darf, das ich für sein Gedicht oder sein Liedchen loben kann, fühle ich mich erfüllter.

Ein Samichlaus ruht sich nach getaner Arbeit aus. Bild: Ralph Denzel

Ich bin enttäuscht, als plötzlich keine Kinder mehr da sind. Martin Bischof gibt mir daraufhin zu verstehen, dass unserer «Arbeit» hier getan ist, und wir und die anderen Samichläuse, zusammen mit den Schmutzlis, ziehen wieder ab.

«Wie war es?», fragt mich Bischof danach.

Mir fehlen die Worte. «Das war ein so unglaubliches Erlebnis, so wunderschön» – ich komme aus dem Schwärmen kaum heraus. Bischof lächelt daraufhin. Es ist ein wissendes Lächeln, das Lächeln eines Menschen, der weiss, wie wunderschön es ist, wenn man der Samichlaus sein darf.

Ich verräume vorsichtig und sorgfältig wieder meine «Uniform», andere «Chläuse» bleiben direkt in ihren: Sie müssen weiter, haben noch andere Termine als Gabenbringer an diesem Abend. Es ist schliesslich die erste Adventswoche – eine der arbeitsreichsten Zeiten für einen Samichlaus.

Nach diesem Abend und diesem Hochgefühl, das ich hatte, beneide ich sie darum.

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