Ode an die Badi

Eva-Maria  Brunner Eva-Maria Brunner | 
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Eva-Maria Brunner schreibt über die Herausforderungen an heissen Tagen.

Es riecht nach frisch gemähtem Rasen, Sonnencreme und Chlor, man hört das Kreischen von Kindern, gefolgt von einem Platscher, wie ihn nur ein Ränzler vom Dreimeterbrett verursachen kann. Ich befinde mich im natürlichen Habitat meiner Kinder in diesen heissen Tagen. Und gleichzeitig bin ich wieder zwölf Jahre alt. Nichts transportiert mich schneller in meine eigene Kindheit zurück wie ein Nachmittag im Freibad. Zugegeben, die Details haben sich verändert: wir scheuerten uns wund am rauen Beton, heute umschmeicheln uns glatte Plastikfolien. Wir hauten unser Sackgeld für Schüümli und fettige Pommes frites auf den Kopf, heute trinkt der Nachwuchs Slushies und Mama genehmigt sich eine Buddha Bowl. Unser Melkfett ist euer LSF 50. Aber gewisse Dinge ändern sich nie: Die Badi ist die kleine Flucht aus dem Alltag. Meditativ seinen Gedanken nachhängen beim Bahnen ziehen, jeder Sonnencremefleck im Buch eine Erinnerung an ein paar Stunden Nichtstun, die man der Agenda abgerungen hat. Und ob die leichte Bräune vom Otterstall oder der Côte d’Azur stammt, kann keiner erraten. Für kleinere Kinder ist die Badi ein Spielplatz, angereichert mit dem besten Spielzeug, das man sich wünschen kann: Wasser! Für grössere Kinder ist die Badi einer der wenigen Freiräume, die sie heutzutage von uns Erwachsenen zugestanden bekommen.

Hier werden Herausforderungen vielleicht zum ersten Mal selbstständig bewältigt: Muss ich mit dem Wespenstich zum Bademeister? Wie entschuldige ich mich bei der Dame, deren Dauerwelle Opfer meiner Wasserschlacht wurde? Reicht das Sackgeld für eine Rakete? Pünktchen und Anton sind nun oft mit Freunden in der Badi. Bin ich dabei, versuche ich mich dezent im Hintergrund zu halten. Ich bin die Basisstation auf der Picknickdecke und meist nur noch als Sponsor gefragt. Keine Flügeli zum Aufblasen, keine aufgequollenen Schwimmwindeln. Sogar das Eincremen erfolgt freiwillig. Ich habe Zeit für mich und ich tue, was ich in der Badi am liebsten tue: meine Mitmenschen beobachten. Geht ja nicht anders, so Tüechli an Tüechli. Die Typologie ist seit Jahren unverändert. Da sind einmal die Mütter: diejenige mit der kurzen Zündschnur, die Klein-Dustin wegen Glace-Kleckern, Sonnenhut-Verweigerung oder Weglauf-Tendenzen so laut ankeift, dass alle anderen Kinder den Tränen nahe sind. Dustin schaufelt derweil seelenruhig weiter Sand auf den Kopf seiner Schwester. Oder diejenige, die ihr Amt demonstrativ pädagogisch ausübt. Sie hat ganz viele Tupperdosen dabei, wirft sich im engagierten Rollenspiel als Haifisch in die Fluten des Nichtschwimmerbeckens oder übt mit Anna-Luna den Hundeschwumm mit einer Begeisterung, die einfach nicht echt sein kann. Es gibt die Männer und Frauen, welche beim Schaulaufen über den Rasen Blicke ernten, für welche sie einen Winter lang im Fitnessstudio gelitten haben. Strategisch klug platziert, dort, wo sie alles im Blick haben, lagern die Alteingesessenen auf ihren Liegestühlen, neben sich den Aschenbecher in den Rasen gerammt, vor sich ein Sudokuheftli. Schatten ist für Weicheier; Kosename «Lederstrumpf». Und in jeder, wirklich jeder Badi gibt es diesen einen Jungen mit Saisonabo, der auf dem Dreimeter-Sprungturm lebt. Er kennt alle, alle kennen ihn. Die Badehose hängt immer ein bisschen zu tief und er macht – ich kanns nicht anders nennen – «Arschbomben», bei denen alle Gleichaltrigen vor Neid erblassen.

Badi ist zutiefst demokratisch, hier interessiert niemanden, was die Mitbadenden jenseits des Drehkreuzes Tag für Tag machen. In der Badi lernen Kinder auf vielen Ebenen Dinge. Sie bewegen sich, sind aktiv und im Kontakt mit anderen. Es braucht keine grosse Ausrüstung, keine weite Anreise. Gerade auch Familien mit geringem Einkommen oder wenig Zugang zu gängigen, deutschsprachigen Bildungsangeboten erfahren Teilhabe in der Badi. Die Initiative, welche Schaffhauser Kindern kostenlosen Zutritt in Freibäder ermöglichen will, unterschreibe ich bestimmt. Mit wasserfestem Stift.

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