Da waren es noch drei

Eva-Maria  Brunner Eva-Maria Brunner | 
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In ihrer Kolumne «Kind und Kegel » schreibt Eva-Maria Brunner über Familienausflüge mit einem Teenager.

Wahrscheinlich existiert eine mathematische Formel, welche präzise berechnen kann, was sich bei uns beinahe jeden Sonntagmorgen abspielt. Destination mal Wetter, geteilt durch die Dauer des Ausflugs, aufgerundet mit der Menge an Hausaufgaben hoch Tagesform. So wie Zopf und Gomfi gehört die Frage, wer am sonntäglichen Ausflug teilnimmt, seit einiger Zeit zum Wochenendprogramm. Alle möchten das Optimum aus der freien Zeit herausholen, nur sieht dies individuell verschieden aus; bei den einen sind Sattel und Zahnkranz unverzichtbar, eine richtet am liebsten das Zimmer neu ein, und eine möchte ins Museum oder einen ausgedehnten Spaziergang machen.

Die Vorstellungen, was in der gemeinsam verbrachten Familienzeit alles abgedeckt werden sollte, sind vielfältig und sprengen nicht selten den zeitlichen Rahmen. Wenn dann noch ein Teenager in die Gestaltung von Freizeitaktivitäten einbezogen werden soll, wirds richtig knifflig. Vielleicht würde die oben genannte Formel oder ein Zufallsgenerator die Entscheidung, ob Pünktchen am sonntäglichen Ausflug teilnehmen soll, erleichtern. Letzthin hatten wir wieder einmal darauf bestanden, dass die Wanderung übers Zelgli im Kollektiv stattzufinden habe. Meine Argumente bezüglich Frischluft und Naturschönheiten wurden mit einem missmutigen «Jeden Sonntag auf den Randen …» quittiert, und die ersten paar hundert Meter ignorierte ich geflissentlich alles Gebrummel. Ich wies auf besonders hübsche Raureifformationen hin, zeigte enthusiastisch, welche Gipfel föhnseidank am Horizont auszumachen seien und genoss penetrant Szenerie, Luft, Fauna und Flora. Der Teenie klagte derweil über kalte Füsse. Dass Stoffsneakers bei Temperaturen um den Nullpunkt und Jeans, die über den nackten Knöcheln enden, eventuell nicht die richtigen … ich biss mir auf die Zunge und stellte eine heisse Schokolade in Aussicht. Vielleicht gilt auch in Sachen Familienaktivitäten «Weniger ist mehr?» Weniger Teilnehmer. Dafür solche, die auf freiwilliger Basis dabei sind und nicht den Charme von «Dienst nach Vorschrift» versprühen. «Weniger ist mehr» bedeutet für uns auch: Wenn Pünktchen nicht mehr bei allen Ausflügen dabei ist, erwarten wir dafür bei denjenigen, an denen sie teilnimmt, einen Grundpegel an guter Laune. Nichts ist so ansteckend wie Übellaunigkeit.

Das heisst jetzt nicht, dass wir nur noch dreimal im Jahr zu viert unterwegs sein wollen. Oder dass die einzig akzeptierten Destinationen zwischen Glattzentrum und Europapark abwechseln. Nur zu gut erinnere ich mich an meine Teenagerjahre mit zwei kulturaffinen Eltern. Ich besuchte gefühlt jede Kathedrale Mitteleuropas, und im Museum wusste mein Vater meist Ausführlicheres zu berichten als jeder Faltprospekt. Fand ich das manchmal ätzend? Ja. Bin ich heute froh, dass sie mir so viel mitgegeben haben an Wissen, an unmittelbarem Erleben kultureller Errungenschaften? Oh ja. Und sie waren wohl mit dem gleichen Aushandeln konfrontiert wie wir jetzt. Ich erinnere mich nämlich haargenau daran, wie ich ihnen in Ostfriesland tagelang in den Ohren lag, bis sie mit mir zu jenem Modegeschäft fuhren, dessen T-Shirts mir für mein Seelenheil essenziell erschienen.

Ich spüre, dass dieses Aushandeln ein wichtiger Teil der Ablösung ist. Ich hoffe, indem wir Verständnis signalisieren, dass unsere Kinder dafür immer noch ab und zu mit Freude mit uns Dinge unternehmen. Mir entspricht ein Rausschleichen, ein langsamer Rückzug mehr als ein Zwang, auf den unweigerlich komplette Verweigerung folgt. Ich wünsche mir, dass es nicht als Strafe empfunden wird, Zeit mit uns Eltern zu verbringen. Und ganz eigennützig: Ich möchte die ersten Leberblümchen mit stiller Freude entdecken, ohne die Hintergrundgeräusche der Pubertät.

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