«Unsere Angestellten sind zu 100 Prozent systemrelevant»

Iris Fontana | 
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Die Pflege von Angehörigen kann als gewinnträchtiges Geschäft betrieben werden, seriöse Anbieter legen hingegen Wert auf Qualität – und nicht auf das grosse Geld. Archivbild: Roberta Fele

Private Unternehmen, die Personen anstellen, die ihre Angehörigen zuhause pflegen, stehen immer wieder in der Kritik. Der happigste Vorwurf: Sie würden das grosse Geld auf dem Buckel der pflegenden Angehörigen verdienen. Was ist dran an den Anschuldigungen? Wir sprachen mit Co-Geschäftsführer Sven von Ow von der Firma AsFam Schaffhausen, einer solch privaten Spitex-Firma, die sich auf die Angehörigenpflege fokussiert.

Herr von Ow, weshalb braucht es AsFam?

Sven von Ow: Es braucht uns, da es bislang keine andere zufriedenstellende Lösung für Angehörige gibt, die Familienmitglieder zuhause pflegen. Denn mit dem Status quo landen nicht wenige dieser Familie schlussendlich auf dem Sozialamt. Wenn beispielsweise eine Mutter ihr Kind zuhause pflegt, muss sie dafür ihre Arbeit aufgeben oder ihr Arbeitspensum reduzieren. Damit verbunden sind Lohneinbussen und gleichzeitig auch der Wegfall von Einzahlungen in die AHV und die Pensionskasse. Die Frau wird doppelt bestraft: Einerseits sofort, da Einkommen wegfällt, vor allem aber auch im Pensionsalter. Diesem Missstand wollen wir entgegenwirken.

Wie hilft Ihr Unternehmen konkret?

von Ow: Da wir über eine Spitex-Bewilligung verfügen, können wir die Person, die zuhause die Pflege übernimmt, anstellen und entlöhnen. Wir bieten ihr zudem auch ausserordentlich gute Sozialleistungen – so zahlen wir jedem Mitarbeitenden Pensionskassenbeiträge, egal wie hoch sein Lohn ist und übernehmen 60 Prozent des Betrags. Neben der finanziellen Unterstützung kümmern wir uns auch um die Aus- und Weiterbildung unserer Mitarbeitenden.

Und wie funktioniert die Finanzierung?

von Ow: Für diese Arbeit bekommen wir Beiträge von der Krankenkasse sowie eine Restkostenfinanzierung der Wohngemeinde, die diese zusammen mit dem Kanton trägt.

Geld für pflegende Angehörige

Laut Bundesgerichtsentscheid kann ein pflegendes Familienmitglied (ohne notwendige medizinische Ausbildung) von der Krankenkasse Geld für die sogenannte Grundpflege wie Hilfe beim Aufstehen, Anziehen, Waschen, Essen oder dem Toilettengang beantragen. Die Entlöhnung ist jedoch nur möglich, wenn die Person bei einer Spitex-Organisation oder einem Unternehmen mit spezieller Spitex-Bewilligung angestellt ist. In den vergangenen Jahren wurden viele Firmen gegründet mit dem Ziel, eine solche Spitex-Bewilligung zu beantragen und pflegende Angehörige als Mitarbeitende anzustellen. Einer der Hauptkritikpunkte am Konzept betrifft den Anteil und die Höhe der Gelder, die solche private Spitex-Firmen von den Krankenkassen und der öffentlicher Hand selbst einbehalten, beziehungsweise den Stundenlohn, den sie den betreuenden Angehörigen zahlen.

Kritiker werfen Ihrer Branche vor, Mehrkosten für Versicherungen und Kantone zu generieren. Was erwidern Sie auf diesen Vorwurf?

von Ow: Schon zu Beginn unserer Geschäftstätigkeit lud ich Ständerat Hannes Germann, der im BLICK mit diesem Vorwurf zitiert wurde, zu mir ins Büro ein. Es ist nötig, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und das grosse Ganze zu sehen. Ja, eine Gemeinde und der Kanton muss die Restkostenfinanzierung von 19.50 Franken übernehmen, und ja, dies sind Kosten, die bislang nicht angefallen sind.

Aber…?

von Ow: Aber auf der anderen Seite wird durch unsere Tätigkeit die Sozialhilfe entlastet, beispielsweise wenn ein Sozialhilfebezüger von uns angestellt wird und damit nicht mehr auf Sozialhilfe angewiesen ist. Ausserdem besteht eine viel grössere Sicherheit, dass die pflegebedürftige Person zuhause bleiben kann und nicht in eine Institution eintreten muss. Damit werden Kosten gespart, die alle sehr viel höher liegen als jene, die die öffentliche Hand uns bezahlt. Die Gemeinden sind für uns sehr wichtige Partner und wir arbeiten mit diversen Gemeinden zusammen, die diese Rechnung verstanden haben und unsere Arbeit schätzen.

Sven von Ow

Sven von Ow

Der 60-jährige Sven von Ow ist gelernter Versicherungsbroker. Seit 25 Jahren ist er im Vorstand von Diabetes Schaffhausen tätig, die letzten 20 Jahre davon als Präsident. In dieser Funktion entwickelte er das «Gesundheitszentrum» in der Stahlgiesserei - das «Huus 84» - mit, in dem auch die Büroräumlichkeiten von AsFam Schaffhausen untergebracht sind. Auch auf nationaler Ebene ist von Ow im Gesundheitsbereich aktiv. So nimmt er Aufgaben für Diabetes Schweiz wahr und ist Stiftungsrat der Schweizerischen Diabetesstiftung. In Neuhausen geboren, wuchs von Ow in Flurlingen auf und lebt nun seit 35 Jahren in der Stadt Schaffhausen.

Ein weiterer happiger Vorwurf lautet auf Bereicherung, beziehungsweise eine ungerechte Verteilung von Geldern…

von Ow: Wenn man Gelder von der Krankenkasse oder der öffentlichen Hand bekommt, muss man meines Erachtens sehr transparent sein und als AsFam Schaffhausen können wir dies guten Gewissens. Natürlich kann das Unternehmenskonzept auch extrem gewinnorientiert betrieben werden. Bei AsFam Schaffhausen betreut eine fallführende Pflegefachfrau, die 100 Prozent arbeitet, 18, maximal 20 Familien. Betreibt man das Konzept so, wirft es einen Gewinn ab – jedoch in einem total vertretbaren Rahmen, mit dem niemand ein Problem hat. Natürlich kann man als Unternehmer auch die Betreuung von 50 Familien fordern, wie einige Mitbewerber dies auch tun. Damit steigt der Gewinn natürlich extrem an – die Qualität ist aber natürlich katastrophal.

Sie verdienen sich also keine goldene Nase?

von Ow: Seit der Gründung vor über einem Jahr teilen mein Geschäftspartner Marcel Kohler und ich uns die Geschäftsführung und beziehen dafür keinen Lohn, vielmehr reinvestieren wir den Gewinn wieder. Wir haben beide Geld in die Firma investiert und es ist uns wichtig, zuerst genug Reserven zu schaffen, damit wir unsere Erstinvestition auch sichern können. Unser langfristiges Ziel ist es, einmal fünf Prozent des Umsatzes als Gewinn erwirtschaften zu können – ein bescheidener Gewinn für ein Unternehmen. Aber momentan sind wir noch nicht am Ziel. Zuerst brauchen wir Sicherheit, insbesondere die Sicherung der Löhne unserer Mitarbeitenden.

Steckbrief AsFam Schaffhausen

Aktiv seit: 1. Juli 2023

Grösse Ende April 2024: 43 angestellte pflegende Angehörige unterstützt durch zwei Personen in der Administration (Teilzeit) und vier Personen, welche die Pflegeleitung und Fallführung übernehmen (total 320 Prozent).

Betreuung von Menschen der folgenden drei Gruppen:

Menschen mit Geburtsgebrechen in unterschiedlichen Altersstufen
Menschen, die im Verlauf ihres Lebens erkrankt sind oder einen Unfall erlitten
Alterspflege

In der Schweiz ist AsFam in 15 Kantonen aktiv.

Ein weiterer Kritikpunkt ist das Thema Qualität. Wie stellen Sie als AsFam Schaffhausen die Qualität in ihrem Unternehmen sicher?

von Ow: Für eine gute Qualität sind vor allem drei Punkte wichtig: Eine sehr gute Pflegeleitung. Gut ausgebildete Pflegefachfrauen, welche die pflegenden Angehörigen professionell unterstützen können. Dabei stellen wir nur Personen mit der Ausbildung Fachfrau Gesundheit FH oder HF (Höhere Fachschule (HF) oder Fachhochschule (FH)) ein, die wir zudem noch weiterbilden und auf ihre konkrete Aufgabe vorbereiten. Der wichtigste Aspekt ist der Betreuungsschlüssel: Mit der Betreuung von 20 pflegenden Angehörigen bleibt genug Zeit für eine qualitative Betreuung, mit 50 nicht. 

Und wie stellen Sie sicher, dass die pflegenden Angehörigen ihre Familienmitglieder gut versorgen?

von Ow: Auch hier ist die Ausbildung das A und O: Jeder pflegende Angehörige hat die Pflicht, innerhalb eines Jahres die Ausbildung zum zertifizierten Pflegehelfer zu absolvieren. Dafür erhält er ein Zertifikat, das gleichwertig mit demjenigen der klassischen Spitex für den Bereich Grundpflege ist. Dies ist zentral, bedeutet es doch Sicherheit für den pflegenden Angehörigen.

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Können Sie das an einem Beispiel erläutern?

von Ow: Wenn eine Mutter ihren behinderten Sohn dreissig Jahre lang zuhause gepflegt hat – und irgendwann geht es nicht mehr und der Sohn muss in eine Pflegeinstitution eintreten – steht sie oft mit leeren Händen da, ohne richtige Ausbildung oder Berufserfahrung. Mit unserem Pflegezertifikat kann sie sich in einem Altersheim oder Spital bewerben und dreissig Jahre Berufserfahrung aufweisen.

Damit leisten Sie auch einen Beitrag gegen den Fachkräftemangel?

von Ow: Ja, das ist ein weiterer sehr zentraler Punkt. Schweizweit haben wir als ganze AsFam-Gruppe rund 750 pflegende Angehörige unter Vertrag. Wenn diese Leute die Betreuung ihrer Familienmitglieder nicht mehr leisten würden, würde unser Gesundheitssystem kollabieren. Die «klassischen» regionalen Spitex-Organisationen könnten diese Zahl an zusätzlichen Pflegebedürftigen gar nicht bewältigen. Deshalb bin ich von unserem System auch so überzeugt. Unsere Angestellten sind systemrelevant.

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