Das grosse Demografieproblem: Schaffhausen noch stärker betroffen als der Rest der Schweiz

Iris Fontana | 
Noch keine Kommentare
Die AHV ist derzeit wieder politisches Thema Nummer 1. Bild: Melanie Duchene

Heiss wird derzeit über die künftige Ausrichtung der AHV diskutiert – die einen sehen kein Problem in einem Leistungsausbau mit hohen Mehrausgaben, andere prophezeien dem Sozialwerk den baldigen Untergang, wenn sich beim Rentenalter nichts ändert. Zumindest was die Demografie angeht, steht die AHV definitiv vor riesigen Herausforderungen. Wir vom Zahltag nehmen uns dem Thema an und zeigen die wichtigsten Hintergründe auf. Zudem fragen wir beim Schaffhauser Volkswirtschaftsdirektor Dino Tamagni nach, wie sich die demografische Situation im Kanton präsentiert und welche Anstrengungen der Regierungsrat unternimmt, um die Entwicklung in gesundere Bahnen zu lenken.

Je länger, je unförmiger wird sie – die berühmte Alterspyramide hat sich einen Schwimmring zugelegt. Und das hat grosse Folgen für die Funktionsfähigkeit des AHV-Systems und der Altersvorsorge als Ganzes.


Leider macht diese gesamtschweizerische Entwicklung auch vor dem «Kleinen Paradies» nicht halt, wie Regierungsrat Dino Tamagni erklärt: «Die Situation bezüglich der Altersrenten und der Finanzierung ist in Schaffhausen gleich wie in der ganzen Schweiz, da die AHV national ausbezahlt wird. Angespannter als im Schnitt ist die Situation jedoch in den Bereichen Arbeitskräftemangel und in anderen wichtigen Themenfeldern, da die hiesige Bevölkerung gegenüber dem Schweizerischen Mittel älter ist.» Dies zeigt der im letzten Jahr erschienene Projektbericht «Weiterentwicklung Demografiestrategie Kanton Schaffhausen» klar auf. «Das Fazit des Berichts lautet, dass sich der Kanton noch dringlicher auf die demografischen Herausforderungen ausrichten muss. Denn die Zahlen zeigen ein klares Bild», so Tamagni. Die Grafik spricht eine eindeutige Sprache:

Grafik: Projektbericht «Weiterentwicklung Demografiestrategie Kanton Schaffhausen», 31. März 2022

Doch zurück zur AHV: Um die Quadratur des Kreises zu schaffen, werden in der aktuellen Diskussion unter anderem Ökonomen, Historiker und Wirtschafts-Think-Tanks zu Rate gezogen. Einer der Experten ist HSG-Versicherungsökonom Marius Brülhart, der in einem in den «Schaffhauser Nachrichten» abgedruckten Interview erklärt, dass es zur Behebung des AHV-Lochs nur drei denkbare Lösungsansätze gibt: Länger arbeiten, mehr einzahlen oder Renten kürzen. Dabei umfasst das Spektrum an Vorschlägen im Bereich der höheren Einzahlungen neben den Lohnbeiträgen auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer oder der Erbschaftssteuer sowie die Erhebung einer Finanzmarkttransaktionssteuer. Natürlich ist auch eine Kombination verschiedener Ansätze denkbar.

Entwicklung der AHV und deren Finanzierung

Wie aber ist es zum heutigen AHV-«Malaise» gekommen? Die NZZ hat dazu spannende Fakten zusammengetragen: 1948, bei der Einführung der AHV, waren lediglich neun Prozent der Schweizer Bevölkerung über 65 Jahre alt, 60 Prozent befanden sich in erwerbsfähigem Alter – ein Verhältnis von 1:6. Die AHV-Rente betrug 40 Franken, was heute (inflationsbereinigt) 194 Franken entspricht. Die Lebenserwartung nach der Pensionierung lag bei zwölf (Männer) beziehungsweise 14 Jahren (Frauen). Um die Pensionierten zu finanzieren, mussten lediglich vier Prozent Lohnbeiträge einbezahlt werden.

Grosser Ausbau der AHV durch Wohlstandszunahme

Das grossen Wirtschaftswachstum der 1950- und 1960-er Jahre, gekoppelt mit dem medizinischen Fortschritt, führten bis 1975 zu einer Zunahme der Lebenserwartung von drei Jahren. Die Renten wurden um satte 80 Prozent erhöht, bei gleichzeitiger Senkung des Rentenalters für Frauen von 65 auf 62 Jahre. Finanziert wurde das Ganze vom Eintritt der Babyboomer ins Arbeitsleben sowie den steigenden Löhnen. Das Pensionierte/Erwerbstätigen-Ratio lag nun bei 1:4. Gleichzeitig sank die Geburtenrate pro Frau von 2,5 auf 1,7 und fiel damit unter den Wert, der zum Erhalt der Bevölkerung nötig ist. Bis ins Jahr 2000 verstärkte sich die Entwicklung: Die Lebenserwartung von Rentnern stieg um 17 beziehungsweise 21 Jahre, die Geburtenrate sank auf 1,5.

Der Schaffhauser Wirtschafts-Newsletter

Erhalten Sie jeden Freitag unseren kostenlosen Newsletter «Zahltag».

Mit der Anmeldung akzeptieren Sie unsere AGB und Datenschutzerklärung.


Zuwanderung finanziert das bestehende System

Es zeichnete sich immer klarer ab: Die Finanzierung konnte angesichts der aktuellen Demografie nicht mehr gesichert werden. Um der Situation zu begegnen, wurde die Mehrwertsteuer um ein «Demografie-Prozent» erhöht, was aber langfristig bei weitem nicht zur Stabilisierung ausreichte. Dass die AHV heute noch funktionsfähig ist, haben wir allein der Zuwanderung zu verdanken: Das Durchschnittsalter von Migranten liegt fünf Jahre unter demjenigen von Schweizern, die meisten sind im erwerbsfähigen Alter. Trotzdem: Das Pensionierte/Erwerbstätigen-Ratio sinkt immer weiter und liegt heute noch bei 1:3. Deshalb wurden weitere Bemühungen unternommen: 2021 trat eine Reform in Kraft, die die AHV-Finanzierung für sechs Jahren sichert. Dafür wurde die Mehrwertsteuer um 0,4 Prozent erhöht und das Rentenalter der Frauen wieder auf die ursprünglichen 65 Jahre angehoben. Doch die Lebenserwartung steigt weiter an.

Zukunftsszenarien sind unbequem

Wie präsentieren sich die Zukunftsaussichten? Ist eine Trendumkehr absehbar? Nicht wirklich. Ohne Reformen prognostiziert der Bund bis 2050 ein Budgetdefizit der AHV von 140 Milliarden Franken, das Verhältnis Pensionierte/Erwerbstätige läge dann bei 1:2.
 

Finanzierung AHV

Könnte eine weitere Zuwanderung Abhilfe schaffen? Die NZZ führt aus, dass, um den Status Quo zu sichern, 84‘000 Migranten im erwerbsfähigen Alter pro Jahr nötig wären. Die Schweiz hätte mit diesem Szenario 2050 eine Wohnbevölkerung von 13 statt zehn Millionen.

Düstere Aussichten also für die AHV. Wie präsentiert sich nun aber die Zukunft in Schaffhausen? Ist hier eine demografische Wende zum Besseren in Sicht? Leider nein. Laut Bundesamt für Statistik (BFS) steigt der Anteil der Personen über 65 Jahren in Schaffhausen bis 2050 weiter an, wie folgende Grafik zeigt:

Prozent Altersstruktur
Grafik: Projektbericht Weiterentwicklung Demografiestrategie Kanton Schaffhausen, 31. März 2022

 

Was jedoch bleibt und sich gar noch weiter verstärken wird, ist das Bevölkerungswachstum: Gemäss BFS-Szenario werden die in der Demografiestrategie 2017 für Schaffhausen angenommenen Bevölkerungszahlen für 2030 rund zehn Jahre früher erreicht werden als gedacht.

Bev Entwicklung SH bis 2050
Grafik: Projektbericht Weiterentwicklung Demografiestrategie Kanton Schaffhausen, 31. März 2022

 

Das löst nicht alle Probleme, hilft jedoch der Finanzierung des Kantonshaushalts. Tamagni erklärt: «Die interkantonale Zuwanderung von Arbeitskräften oder bedarfsgerechte Zuwanderung von ausländischen Fachkräften ist neben der Finanzierungsleistung ein notwendiger Hebel, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken wie auch um die steigenden Anforderungen im Bereich Gesundheitsversorgung bewältigen zu können.» Weiter werden im Bericht stärkere Massnahmen in den Bereichen Bildung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Siedlungsentwicklung und Mobilitätsangebot empfohlen – Faktoren also, die die Lebens- und Standortattraktivität des Kantons weiter stärken sollen. «Diese sind essentiell, um hoch- und qualifizierte Arbeitskräfte in den Kanton zu bringen», erklärt Tamagni.

Ein Wunsch, den der Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartementes zudem noch anbringt, ist, dass das Verständnis für die demografische Entwicklung und die politische Akzeptanz für damit verbundene Entscheidungen weiter zunehmen: «Es ist wichtig zu verstehen, dass dies für die wirtschaftliche Entwicklung, aber auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, wesentlich ist.» Will heissen, es braucht Massnahmen.

Smartphone_Zahltag
 
Alle Inhalte aus dem Zahltag-Newsletter finden Sie hier.

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren