Firmen auf Sinnsuche: Mehr als ein Marketingtrick?

Iris Fontana | 
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Der «Purpose»-Ansatz muss glaubwürdig sein und auf profitable Weise mit den Ressourcen der Organisation erreicht werden können. Bild: pexels.com

Das passt perfekt zum heutigen Zeitgeist: Unternehmen sollen nicht mehr nur Produkte verkaufen und Geld verdienen, sondern gesellschaftlichen Sinn stiften und sozial sein. Und ein perfekter Arbeitgeber noch dazu. Was steckt hinter dem aktuellen Hype um «Purpose» in der Management-Welt? Was macht tatsächlich Sinn und wo driftet die Sache ab in reines Marketing? Im Gespräch mit Albena Björck gehen wir dem Thema auf den Grund. Björck, die an der ZHAW im Bereich strategisches Management mit Fokus «Purpose oriented Organisations» forscht, sieht die Chancen der neuen Ansätze ebenso wie die Gefahren. Ihr ist klar: Nur wer zu seinem Wort steht, kann letztlich profitieren. Wer nicht, fliegt gnadenlos auf.

Frau Björck, «Purpose» wird in der Management-Welt aktuell von vielen schon fast zu einer Art heiligem Gral verklärt – ist das nicht etwas übertrieben?

Albena Björck: Klar, es gibt immer wieder Modethemen – sowohl in der Wirtschaft als auch in der Gesellschaft. An sich ist «Purpose» nicht etwas Neues, sondern eigentlich ein altes Konzept, das heute ein Revival erlebt. Meiner Ansicht nach ist sie eine Antwort auf unsere Zeit, die sehr komplex, unsicher und mit vielen Krisen, polarisierenden Meinungen und Fake News behaftet ist. Dies alles verstärkt die Suche nach Sinnhaftigkeit und Werten, die nicht noch weiter teilen, sondern vereinen.

Steckt hinter der «Purpose Orientation» nicht auch eine Menge heisse Luft und vor allem viel Marketing?

Björck: Wenn der «Purpose»-Ansatz nicht mit Taten untermauert, sondern nur ein Lippenbekenntnis bleibt, dann ist es in der Tat nur eine vergebliche Marketingübung. In den letzten Jahren haben wir leider in nicht zu geringer Zahl «Purpose-Washing»-Beispiele erlebt: Organisationen definieren einfach einen marketingtechnisch schönklingenden Satz, der jedoch gar nicht mit den wirklichen Fähigkeiten und Strategien der Organisation übereinstimmt. Dies führt zu Verlust an Vertrauen und weiteren negativen Auswirkungen.

Was passiert, wenn die Kunden dahinterkommen?

Björck: In Zeiten der Sozialen Medien und des Drucks nach totaler Transparenz ist es eine Illusion zu meinen, ein solches «Purpose-Washing» über längere Zeit aufrecht erhalten zu können.

Und wie erkennt man, ob der Ansatz ehrlich gemeint ist?

Björck: Organisationen, die «Purpose»-Orientation ins Zentrum stellen, müssen nicht nur einmal, sondern ständig den Beweis erbringen, dass sie ihre Worte in Taten umsetzen. Um diesen neuen Anforderungen von Mitarbeitern und Kunden gerecht zu werden, sind auch neue Managementfähigkeiten gefordert. Es reicht nicht mehr, das Geschäft «nur» operativ im Griff zu haben. Die Führungskraft muss auch kommunizieren, inspirieren und die Stakeholder überzeugen können. Natürlich machen auch Organisationen Fehler, deren Motive rein sind. Der «Purpose»-Ansatz, bei dem Transparenz ein wichtiger Wert ist, führt jedoch dazu, dass sich eine Fehlerkultur entwickelt, also offen mit Fehlern umgegangen wird. Und dies erhöht die Resilienz.

Wo ist denn die Grenze zwischen wirkungsvoller Strategieentwicklung und blossen Lippenbekenntnissen?

Björck: Schlicht und einfach dort, wo die Strategie mit konkreten Programmen und Projekten im Alltag umgesetzt wird.

Albena Björck

Albena Björck

Die gebürtige Bulgarin Albena Björck promovierte an der Universität St.Gallen im Bereich Transformation und Geschäftsmodell-Evolution der Pharmaindustrie und -distribution. Als langjähriges Direktionsmitglied in der Finanzbranche wie auch als Beraterin und Executive Coach konnte sie viel Praxiserfahrungen sammeln. Aktuell doziert und forscht sie an der ZHAW School of Management and Law im Bereich strategisches Management mit Fokus «Purpose-oriented Organisations», Transformation, Krisen und Erneuerung. Sie initiiert und leitet dort strategische Projekte internationaler Unternehmen im Bereich Forschung und Bildung – so auch eine Forschungszusammenarbeit zwischen Johnson & Johnson, Erdmann Solutions und der Stanford University. Weiter ist Björck Innosuisse-Expertin, Vorstandsmitglied der Initiative Go Circular in Life Science und nimmt Führungspositionen in internationalen akademischen Verbänden wie der Europäischen Akademie für Management ein.

Ganz kurz und möglichst einfach erklärt: Für was steht «Purpose-Oriented Strategy»?

Björck: Wie jede Person hat auch jede Organisation ihre eigene DNA und definiert für sich ihren Existenzgrund oder Zweck. Dieser Zweck wird dann im Verhalten, in den Werten und in der Kommunikation sichtbar. «Purpose» ist auch ein innerer Treiber und eine starke Motivation, ein Problem zu lösen. Damit diese «Leitidee» in konkrete Ziele und Aktionen übersetzt wird, braucht es einen Plan, eine Strategie.

Worin liegen die Schwierigkeiten bei der Umsetzung?

Björck: Für viele Organisationen ist nur schon die Definition ihres «Purpose» eine Herausforderung. Dabei besteht immer das Risiko, diesen nicht authentisch, zu vage oder einfach unrealistisch zu formulieren. Oft ist das Purpose-Verständnis nur in den Köpfen vorhanden. Um es dann zu Papier zu bringen – beziehungsweise neu zu interpretieren, ohne sich in oberflächlichen Allgemeinplätzen zu verlieren – braucht es einen gemeinsamen Effort an Reflexion und Diskussion. Hat man es soweit geschafft, geht es dann erst richtig los, den Purpose in konkrete, messbare Ziele umzuwandeln. Ein Prozess, der auch Zeit zum Einüben braucht.

Gibt es wissenschaftliche Beweise, dass sich dieser Ansatz für Firmen tatsächlich lohnt?

Björck: Wir sind immer noch im Lernprozess und kennen noch nicht alle Wirkmechanismen des Ansatzes. Es gibt aber wissenschaftliche Studien, die sowohl positive als auch negative Auswirkungen zeigen. Zu den positiven zählen zufriedenere Mitarbeiter und loyale Kunden, höhere operative Effizienz, mehr Innovation aber auch höhere Resilienz. Als negative Folgen können eine fehlende Work-Life-Balance, Zynismus oder Desillusionierung erwähnt werden.

Was fasziniert Sie an Ihrer Arbeit?

Björck: Ganz klar die Forschungszusammenarbeit mit Unternehmen wie Logitech, Johnson & Johnson oder Clariant, die sich seit Jahren intensiv mit dem Thema beschäftigen. Mit ihnen diesen Weg zu gehen und schliesslich die konkreten Ergebnisse mitzuerleben: Eine klare Orientierung, eine positive, vereinende Kraft, kanalisierte Energie und grössere Innovationskraft.

Ist der Hype um das Thema auch der Generation Z geschuldet, für die angeblich Sinnhaftigkeit und nicht Geld im Mittelpunkt steht?

Björck: Heute sind Organisationen in der Tat sowohl von aussen als auch von innen einem grösseren Druck nach mehr Sinnhaftigkeit ausgesetzt. Dies ist durch viele Studien belegt. Beispielsweise bilden die Millenials und die Generation Z momentan die Mehrheit der Arbeitnehmer und einen steigenden Anteil der Konsumenten. Hinzu kommt der regulatorische Druck. Der Anstoss muss jedoch nicht zwingend immer als Reaktion auf äusseren Druck kommen. Es gibt auch viele Beispiele, bei denen der Entschluss zur «Purpose Orientierung» aus eigener Überzeugung und Ambition kam.

Der Zweck eines Unternehmens im Kapitalismus besteht letztlich darin, zu wachsen und dazu braucht es Gewinne – warum soll es nun auch noch deren Aufgabe sein, die Gesellschaft zu verbessern?

Björck: Diese Frage wird in der Forschung heiss diskutiert. Meiner persönlichen Meinung nach sind «Purpose» und Gewinn keine Gegensätze. Es ist vielmehr eine Win-win-Situation. Ein Unternehmen muss Sinnhaftigkeit auf eine profitable Weise erreichen können. Zentral ist letztlich, dass die Strategie gegenüber den Anspruchsgruppen glaubwürdig und mit den Ressourcen der Organisation nachhaltig umsetzbar ist.

Wird die Diskussion nicht auch schnell politisch?

Björck: Die Diskussion um «Purpose» wird immer wieder mit gesellschaftlichen Trends verbunden, die zum Teil kontrovers diskutiert werden. «Purpose» ist dabei eine Definitionsfrage und meiner Meinung nach umfasst der Begriff viel mehr als nur die gerade modernen gesellschaftlichen Themen. In einer Studie weltweit führender Unternehmen haben wir drei Kategorien von «Purpose» identifiziert – funktional (Produkte und Leistungen mit bester Qualität), sozial (Nachhaltigkeit, ökologischen und gesellschaftlichen Standards entsprechend) und inspirierend (schaffen emotionale Erlebnisse und Beziehungsnähe). Die befragten Konsumenten haben keine dieser Kategorien als besonders wichtig eingestuft – wichtig war, dass sie authentisch war.

Zum Schluss: Wohin geht die Reise in Sachen «Purpose Oriented Strategy»?

Björck: Bislang haben wir in der Forschung hauptsächlich die Definition und Aspekte der Nachhaltigkeit betrachtet. Nun gehen wir einen Schritt weiter und fokussieren uns auf die effektive Umsetzung – das Herzstück des Ansatzes mit den grössten Herausforderungen. Zudem widmen wir uns auch Themen wie Innovation und Resilienz in Krisen. Kurz der Frage: Wie kann «Purpose» die Organisation effektiv stärken und nach vorne bringen.

Neuhausen als Konferenzort

Kürzlich organisierten Sie auf dem SIG-Areal in Neuhausen eine Konferenz zum Thema «Purpose Oriented Strategy» mit führenden wissenschaftlichen Teams aus Europa. Was war das Ergebnis der Konferenz?

Björck: 26 Forschende aus 18 verschiedenen Hochschulen aus ganz Europa, die sich dem Thema «Purpose» widmen, kamen anfangs Monat in Neuhausen zusammen. An der Konferenz wurden Studien zu den unterschiedlichsten Perspektiven aufs Thema präsentiert wie beispielsweise: Strategiedefinierung, Rolle der Organisationsführung, Einfluss von «Purpose Orientation» auf das Mitarbeiterengagement und die -motivation, Fragen der Messbarkeit und weiterem. Die Konferenz war sehr interessant und aufschlussreich, da alle Forscher mit Unternehmen aus der ganzen Welt zusammenarbeiten. So wurden neben europäischen auch empirische Studien aus Indien und Lateinamerika präsentiert.

Warum wurde die Konferenz in Neuhausen, und nicht wie gewöhnlich, an einer renommierten Hochschule durchgeführt?

Björck: Die Konferenz findet im Rahmen der Europäischen Akademie für Management statt. Wir wählten Neuhausen aus, da die Erforschung des Themas aktuell nur in direkter Zusammenarbeit mit Unternehmen möglich ist, die den «Purpose»-Ansatz verfolgen. Im Zuge meiner Forschungszusammenarbeit im Bereich «Purpose Orientation» und Kreislaufwirtschaft mit Johnson & Johnson sprach das Team die Einladung aus, nach Neuhausen und damit nahe ans reale Geschehen, quasi auf das Industriegelände selbst zu kommen. So war ich auch schon mit Forschern der Stanford University und Universität Graz zum Thema Kreislaufwirtschaft in Schaffhausen auf Besuch.

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