Die grossen Sorgen der Fahrlehrer

Iris Fontana | 
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Fahrschulen in der Krise. Bild: Melanie Duchene

Seit 2021 müssen aufgrund einer Gesetzesänderung alle 17- bis 19-Jährigen ein Jahr lang den Lernfahrausweis besitzen, bevor sie die praktische Fahrprüfung ablegen dürfen. Ziel des Gesetzes war es, mehr Fahrpraxis für die jungen Lernenden zu ermöglichen – doch aus der Branche hagelt es Kritik. Der Schuss sei nach hinten losgegangen, monieren Fahrlehrer. Wir vom Zahltag haben uns bei Branchenvertretern aus dem Kanton Schaffhausen umgehört.

Rund 1100 bis 1300 Lernfahrausweise in der Kategorie B seien bis vor zwei Jahren in Schaffhausen jährlich beantragt worden, erklärt Fahrlehrerin Danijela Malnar. «Letztes Jahr waren es bloss noch 800». Alle vier befragten Fahrlehrer bestätigten zudem, dass sie eine Reduktion der gebuchten Fahrstunden von 30 bis 40 Prozent hinnehmen mussten.

Zwei Gründe für den Rückgang

Weshalb dieser krasse Einbruch? Aus dem Gespräch mit den Fahrlehrern kristallisieren sich zwei Gründe heraus. Laut Melissa Manzano und Danijel Slivar warten nun einfach viele Jugendliche bis zum 20. Geburtstag mit der Beantragung des Lernfahrausweises, um der Jahresfrist zu entgehen. Auch Markus Trösch fehlt die Kundschaft der unter 20-Jährigen. Von ihnen hört er gelegentlich, dass sie aufgrund ideologischer Gründe gar nicht mehr Autofahren lernen wollen. «Irgendwann merken sie dann aber, dass das Billett doch noch wichtig ist und kommen dann einfach später zu mir» – eine klassische Altersverlagerung also.

Für Schüler und Akademiker geht das auf. Malnar erlebt aber, dass beispielsweise Handwerklehrlinge ein echtes Problem bekommen, wenn sie das Fahrenlernen auf später verschieben. Denn für ihren Job ist ein Führerschein essentiell. Besonders schlimm trifft es dabei die 18- und 19-Jährigen, welche die Gesetzesänderung verpasst haben. Nach der Lehrabschlussprüfung suchen sie einen Job, für den aber der Führerschein Voraussetzung ist. Dann wollen sie diesen so schnell als möglich ergattern und werden mit der einjährigen Wartefrist konfrontiert. Schädlich also für die Jugendlichen, aber auch ein Problem für die Gesamtwirtschaft.

Üben ohne Fahrlehrer

Mit mehr als der Hälfte fällt der Anteil der 17-Järhigen, die einen Lernfahrausweis beantragen, trotz der Gesetzesänderung hoch aus. Bringen nicht wenigstens sie den Fahrlehrern zusätzliche Aufträge? Danijel Slivar verneint und erklärt den nächsten Grund für die Einbussen: «Kamen früher 18-Jährige einmal pro Woche in die Fahrstunde, um den Führerschein so rasch als möglich in Händen zu halten, ist das Verhalten der 17-Jährigen nun aufgrund der einjährigen Wartefrist ein völlig anderes.» Vierhielten sie sich gleich wie ihre Vorgänger, müssten sie ja rund 50 Mal kommen, bevor sie die Prüfung ablegen können: «Logisch macht das keiner.»

Vielmehr üben die 17-Jährigen oftmals, ohne eine Stunde Fahrschule absolviert zu haben, mit den Eltern oder anderen unausgebildeten Begleitpersonen. «Und dann kurz vor der Prüfung kommen sie zu mir, mit völlig falsch antrainiertem Verhalten und ich muss dann diese Fehler in zwei Wochen wieder korrigieren» berichtet Slivar. «Oder sie kommen ohne richtige Fahrpraxis zwei Wochen vor dem 18. Geburtstag und wollen bis zum grossen Tag unbedingt prüfungsreif sein, was dann für alle ein riesiger Stress ist.» Dasselbe erleben auch Malnar und Manzano.

Verändertes Berufsbild

Aufgrund des neuen Gesetzes und mit der daraus folgenden Entwicklung hat sich auch das Berufsbild der Fahrlehrer verändert. Die Mehrheit der Befragten erklärt, dass sie sich inzwischen mehr als Prüfungsvorbereiter denn als Fahrlehrer fühlt. Alles müsse einfach schnell gehen. Und wenn das nicht funktioniere, sei der Fahrlehrer schuld.

Kritik an der Politik

Laut Malnar steht die Branche vor einer wirtschaftlichen Katastrophe, da nun drei Jahrgänge fehlten: «Wir stehen also erst am Anfang der Durststrecke.» Als selbständiger Fahrlehrer sei dies existenzbedrohend bei einem Lohn, der aufgrund der grossen Konkurrenz sowieso nicht kostendeckend sei. «Mit über 40 Fahrlehrern in der Region geht die Rechnung einfach nicht mehr auf.» Sie bemängelt dabei insbesondere die Rolle der Politik, die Entscheide treffe, ohne die Folgen wirklich abzuschätzen. Alle in letzter Zeit verabschiedeten Gesetzesänderungen hätten den Fahrlehrern geschadet. So sei auch der Vorstoss, dass, wie in andern europäischen Ländern, vor der Fahrprüfung 15 obligatorische Fahrstunden absolviert werden müssen, bachab geschickt worden.

Lösungsvorschläge aus der Branche

Aber was für eine Lösung wünschen sich die Fahrlehrer? Slivar sieht zwei Lösungsansätze. Entweder zurück zum früheren Status: Lernfahrausweis erst mit 18 Jahren. Oder, wie es auch in anderen Ländern praktiziert wird: Die Fahrprüfung kann bereits mit 17 Jahren abgelegt werden, den Führerschein erhält man aber erst am 18. Geburtstag. Alle vier befragten Fahrlehrer können sich auch den ursprünglich anvisierten Ablauf, welcher dann im Gesetzesprozess verwässert wurde, vorstellen: Zuerst werden in einigen Lektionen beim Fahrlehrer die Grundkenntnisse erlernt, dann gibt es Hausaufgaben und dazwischen müssen regelmässig Stunden mit dem Fahrlehrer absolviert werden. So wird es auch in Frankreich und in Österreich praktiziert.

Fazit: Alle vier Fahrlehrer finden das neue Gesetz – milde ausgedrückt – kontraproduktiv. Ob das Gesetz, wie eigentlich beabsichtigt, sicherheitstechnisch einen Vorteil bringt, ist zu bezweifeln, da nun 17-Jährige ohne professionell vermittelte Grundkenntnisse mit einer nicht ausgebildeten Person herumfahren. Der Bundesrat will das Gesetz 2024 nochmals überprüfen.

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