Als die Welt plötzlich stillstand

Iris Fontana | 
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Nichts geht mehr: Restaurants und viele andere Geschäfte blieben im Lockdown geschlossen. Bild: Melanie Duchene

Fast surreal erscheinen im Rückblick die riesigen Einschränkungen, die wir Mitte März 2020 auf uns nehmen mussten. Nichts ging mehr oder fast nichts – je nach Branche. Wir haben bei Wirtschaftspersönlichkeiten aus verschiedenen Bereichen angeklopft und nach Erinnerungen, Massnahmen und Nachwirkungen gefragt. Entstanden ist eine Sammlung von Antworten, die einen mit einem Schlag zurück in die Corona-Krise katapultiert.

Welche Erinnerungen haben Sie an den ersten Lockdown?

Jonas Sulzberger
Jonas Sulzberger, CEO Reisebüro Sulzberger GmbH

Es war völlig surreal. Wo wir doch darauf spezialisiert sind, Leute wegzuschicken, mussten wir sie nun zurückholen. Reisende im Ausland glaubten uns zum Teil gar nicht, dass sie jetzt nach Hause zurückkehren müssen. Als einer der ersten Schritte stellten wir eine Tafel im Büro auf, auf der wir die Namen von Kunden notierten, die noch im Ausland waren. Jeden, der «back home» war, konnten wir durchstreichen. Die Rückholaktionen waren sehr aufwendig, da die Luftbrücken sukzessive verschwanden. So mussten wir teilweise mitten in der Nacht den Wecker stellen, um Tickets rechtzeitig ausstellen zu können und in einem Fall mussten wir die Boardingkarten sogar per Fax schicken.

Markus Höfler
Markus Höfler, CEO Brauerei Falken

Für uns war es ein Schock, obwohl wir frühzeitig ein Pandemie-Team gegründet hatten. Da wir hauptsächlich in der Gastronomie tätig sind, war es ein sehr harter Schlag für uns. Wir mussten unsere Kapazitäten praktisch von heute auf morgen von 100 Prozent auf maximal 20 Prozent anpassen. Positiv in Erinnerung bleibt uns die grosse Loyalität und Solidarität aller Mitarbeitenden und Konsumenten. Ich würde sagen: Es war die lehrreichste Zeit in der jüngeren Geschichte der Brauerei.

Renato Pedroncelli
Renato Pedroncelli, Präsident Gastro Schaffhausen

Eindrücklich war für mich, wie man auf einen Schlag eine ganze Branche sperrte. Wir dachten immer: Das ist nicht möglich, das kann nicht passieren. Und dann, auf einen Schlag, war es Realität. Besonders hart waren für uns auch die später folgenden Einschränkungen, die der Gastronomie in jenem Jahr das ganze Weihnachtsgeschäft zunichtemachten.

Beat Moretti
Beat Moretti, Geschäftsführer Moretti Maler AG

Da kommt mir nur ein Wort in den Sinn: Ausnahmezustand. Dabei hatten wir als Baubranche noch sehr viel Glück. Wir kamen quasi mit einem blauen Auge davon. Aber auch wir mussten umdisponieren. Wenn einer unserer Mitarbeitenden positiv getestet wurde, fielen er, vor allem aber auch alle anderen Mitglieder seines Teams, von einer Stunde auf die nächste aus. Aber verglichen mit der Gastrobranche ging es uns immer noch gut. Wir konnten weiterarbeiten, vor allem im Aussenbereich. Im Innenbereich waren wir mit der Herausforderung konfrontiert, dass gewisse Auftraggeber einen Impfausweis unserer Mitarbeitenden einforderten. Ganz generell gingen die Aufträge von Privatkunden zurück, weil sie niemand Fremdes in ihren Wohnungen oder Häusern haben wollten.

Welche Massnahmen mussten Sie ergreifen?

Jonas Sulzberger: Wir setzten die üblichen Massnahmen um, die in Ladengeschäften vorgeschrieben waren wie beispielsweise Maske tragen und Desinfektion des Arbeitsplatzes. Wenn immer möglich unternahmen wir eigene Rekognoszierungsreisen, um aufzuzeigen, dass Reisen immer noch möglich ist. Anfangs eher in Europa, aber auch bald schon in ferneren Destination wie etwa Uganda, die Dominikanische Republik, Kenia oder die Antarktis. Irgendwann hörte ich auf zu zählen, wie viele Corona-Tests ich schon gemacht hatte.

Markus Höfler: An erster Stelle galt es, unsere Mitarbeitenden zu schützen. Dann die Kapazitäten um zirka 80 Prozent zurückzufahren, ebenso die Lagerbestände sinnvoll zu reduzieren. Mitarbeitereinsatzpläne mussten neu gemacht werden und wir mussten mit unseren Gastronomie-Liegenschaftspächtern Lösungen suchen wie auch mit den involvierten Behörden in allen betroffenen Bereichen. Stichwort: Kurzarbeit versus Zeiterfassung. Rasch folgten Rohstoff-Lieferengpässe, auch im Zusammenhang mit unseren Kunden im Lohnfüllgeschäft. Im Weiteren galt es, bereits initiierte Projekte zu stoppen und Verträge neu zu verhandeln

Renato Pedroncelli: Das Schutzkonzept und die verordneten Hygienemassnahmen waren natürlich sehr hart und kostspielig für die Gastronomie: Beschränkung der Anzahl Gäste, Zertifikatspflicht, Abstandsregeln, entfernen von Tischreihen, schliessen von Toiletten, Installation von Plexiglasscheiben und Desinfektionsspendern, Maskenpflicht auch in der Küche. Es stellten sich plötzlich seltsame Fragen: Wie probiert man da als Koch seine Speisen mit einer Maske?

Beat Moretti: Wir waren vor allem organisatorisch herausgefordert und mussten die Lage Tag für Tag neu beurteilen. Trotzdem konnten wir reduziert weiterarbeiten. Im Aussenbereich war die Abstandsregel von zwei Metern eigentlich kein grosses Problem. Im Innenbereich oder bei der Anfahrt zur Baustelle stellte sich dann die Frage der Maske. Wir bestimmten, dass die Mitarbeiter entweder separat fahren oder im Auto nur mit Maske unterwegs sein durften.

Sind in Ihrem Betrieb/Ihrer Branche noch Nachwirkungen der Corona-Krise spürbar?

Jonas Sulzberger: Tatsächlich war es für unser Business-Model grösstenteils positiv. Für Beratungsgespräche werden wieder vielmehr Termine vorab vereinbart. Wir haben viele Neukunden gewonnen, denn der Mehrwert eines lokalen und gut vernetzten Reisebüros ist vielen wieder klar geworden. Dafür haben wir uns auch stark engagiert, so waren wir rund um die Uhr erreichbar und kommunizierten laufend über Massnahmen vor Ort. Der Nachholbedarf in Sachen Reisen hält immer noch an und die Buchungskurve zeigt nach oben.

Markus Höfler: Das Niveau von 2019 haben wir noch nicht ganz erreicht. Das liegt auf der einen Seite sicher am Umdenken, das in der Gesellschaft stattgefunden hat und sicher auch an dem unsäglichen Krieg in der Ukraine. 2022 war zumindest teilweise wieder «normal». Das Training, das es zu absolvieren galt, war hart, und die Lerneffekte gross. Aktuell gehen wir davon aus, dass es sich gelohnt hat und wir für die Saison 2023 gut gerüstet sind. Aber Garantien gibt es keine. Darum müssen wir weiterhin flexibel bleiben und uns mit Kurzfristigkeiten anfreunden.

Renato Pedroncelli: Ganz klar ja, da wir durch Corona viele Fachkräfte verloren haben, was uns heute grosse Probleme bereitet. Wir zahlen zwar gute Löhne, aber unsere Mitarbeiter sind keine Spitzenverdiener. Sie alle haben die Einbussen bei den erzwungenen Gastronomieschliessungen stark gespürt, insbesondere jene, die eine Familie zu ernähren haben. Sie wanderten ab, liessen sich umschulen oder sind als Quereinsteiger in andere Berufe eingestiegen und lernten so die geregelten Arbeitszeiten, freien Wochenenden und Feiertage schätzen und wollen nun nicht mehr zurück.

Beat Moretti: Von der Auftragslage her würde ich sagen: Nein. Aber unsere Kunden wie auch unsere Mitarbeitenden haben sich verändert. Sie treten bestimmter, fordernder auf. Ich empfinde die Leute heute fast als übermütig und es macht mir etwas Angst, dass viele so tun, als sei nichts gewesen.

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