Scham ist die grösste Hemmschwelle, sich Hilfe zu holen
Die Preise steigen – sei es für Heizung, Nahrungsmittel, Wohnen, die Krankenkasse. Eine ungemütliche Situation für Normalverdienende, verheerend jedoch für Menschen mit tiefem Einkommen, welche die Teuerung in eine Überschuldung katapultieren kann. Darüber sprechen wir mit Michael Kunz, Geschäftsleiter des Roten Kreuzes Schaffhausen, welches die Fachstelle für Schuldenfragen betreibt.
Wie erleben Sie in der Schuldenberatung die aktuelle Situation im Kanton Schaffhausen?
Michael Kunz: Grundsätzlich stellen wir fest, dass die Ausgangslagen unserer Klienten immer komplexer werden und daher die Fälle mehr Zeit in Anspruch nehmen. Im Vergleich zum Vorjahr verzeichneten wir 2022 eine Zunahme der Klientenkontakte um 13 Prozent – allerdings ist ein direkter Zahlenvergleich schwierig, da ein Kundenkontakt sehr unterschiedlich viel Zeit in Anspruch nehmen kann. Bei den Hilfesuchenden handelt es sich grösstenteils um Personen, die wirklich einfach kein Geld für Rückstellungen übrig haben. Beim jetzigen wirtschaftlichen Umfeld geraten sie mit dieser Ausgangslage natürlich schnell in eine Überschuldung. Um dies zu verhindern, könnte präventiv eine detaillierte Budgetberatung – ein weiteres Angebot unserer Fachstelle – hilfreich sein. In der Budgetberatung zeigen wir Betroffenen auf, wie sie mit einem kleinen Budget haushalten können.
Welches der beiden Angebote wird stärker nachgefragt?
Kunz: Es ist immer noch die Schuldenberatung. Mit jeder Schuldensanierung geht aber eine Budgetplanung einher.
Wie viele Personen sind von einer Überschuldung betroffen?
Kunz: Wir kennen nur die Anzahl Menschen, die sich bei uns auf der Fachstelle melden. Im Moment steigt die Beratungsnachfrage moderat, wobei es leider nicht nur neue Klienten sind, die bei uns Hilfe suchen, sondern auch Personen, welche schon eine Schuldensanierung hinter sich haben. Diese waren schuldenfrei und geraten durch die aktuelle Teuerung wieder in Schwierigkeiten. Es sind Menschen, die mit einem Lohn leben, bei dem es einfach absolut nichts Unvorhergesehenes verträgt – keine Krankheit, kein Loch im Zahn. Leider gehen wir davon aus, dass wir die Talsohle noch nicht erreicht haben und sich die Situation weiter verschlechtert. Denn gerade der Anstieg der Mietnebenkosten wird erst im Sommer wirklich zum Tragen kommen und dies wird für viele unserer Klienten ein Problem werden.
Gibt es Personensegmente, welche besonders stark von Überschuldung betroffen sind?
Kunz: Grundsätzlich handelt es sich bei den Ratsuchenden auf unserer Fachstelle mehrheitlich um Working-Poor und/oder Menschen, die im Stundenlohn arbeiten und ein schwankendes Einkommen haben. In dieser Gruppe übervertreten sind Menschen ohne oder mit schlechter Ausbildung, Verständigungsproblemen oder Überforderung mit administrativen Aufgaben. Solche Menschen laufen auch Gefahr, übervorteilt zu werden. 2022 hat sich glücklicherweise für einige die Situation aufgrund der tiefen Arbeitslosigkeit verbessert. Menschen mit gutem Einkommen und guten Voraussetzungen geraten meist durch Ereignisse wie Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Trennung in die Überschuldung. Bei jungen Menschen ist der Auszug aus dem Elternhaus eine Überschuldungs-Gefahr.
Altersarmut treffen sie nicht oft an?
Kunz: Nein, dies beobachten wir bei uns auf der Fachstelle nicht spezifisch. Wer nur AHV und EL bezieht, hat – wie Menschen mit Sozialhilfe – kaum Aussicht auf eine Schuldensanierung.
Für 2022 sieht eine Auswertung unserer Klienten (Anzahl Haushalte und Haushaltsstatus) wie folgt aus:
Wie steht der Kanton Schaffhausen, im Vergleich zu anderen Kantonen, da?
Kunz: Ein Vergleich ist schwierig, da es in der Schweiz viele verschiedene Akteure gibt, die in der Schuldenberatung tätig sind. Wir vom Roten Kreuz Schaffhausen haben eine Leistungsvereinbarung mit dem Kanton. Jeder einzelne Kanton ist selber für ein Angebot zuständig und vergibt dieses an ganz unterschiedliche Anbieter, neben uns zum Beispiel an Caritas, Plusminus oder die Kantone eröffnen dafür eine eigene Fachstelle. Der Dachverband Schuldenberatung Schweiz führt zwar entsprechende Zahlen – ein direkter Vergleich ist aber erst in Planung.
Wo liegen für die Betroffenen die grössten Herausforderungen?
Kunz: Eine erste grosse Herausforderung ist bereits der Schritt auf die Fachstelle, das heisst, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Schulden zu haben, ist oft mit Scham verbunden – man will sich die Situation oft selbst nicht eingestehen. Hilfe zu holen, braucht Einsicht und Mut. Ist dieser Schritt getan, hat die Person schon sehr viel erreicht. Sie hat sich der Realität gestellt und sich aktiv entschieden, die Schuldenfalle verlassen zu wollen. Hat sie sich entschlossen, diesen Weg zu gehen, besteht die zweite grosse Herausforderung darin, durchzuhalten, weil wirklich eine entbehrungsreiche Zeit vor ihr liegt.