Frauen unterschätzen sich tendenziell

Reto Zanettin | 
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Männer und Frauen verhandeln ihren Lohn gleich schlecht - nur jeweils in die andere Richtung. Symbolbild: Roberta Fele

Während Männer eher hohe Gehaltsforderungen stellen, halten Frauen sich oft zurück. Das könnte einen Teil der Lohnunterschiede erklären.

Ein Dauerbrenner in der Lohndiskussion: Frauen verdienen im Durchschnitt weniger als Männer. Einen Teil des Lohnunterschieds können selbst die Statistikexperten des Bundes nicht erklären. Sie begründen dies damit, dass nicht alle lohnrelevanten Merkmale in den vorhandenen Daten abgebildet seien. Anscheinend gibt es Umstände, die – anders als Ausbildungsniveau, Alter und Branche – statistisch kaum fassbar sind, den Lohn aber dennoch mitbestimmen. Eine Vermutung, was man sich unter diesen Umständen vorstellen kann, haben Forscher der University of Southern California genährt. Sie fragten: Sind Frauen in Lohnverhandlungen schlechter als Männer? Die Antwort: Männer und Frauen sind unter Studienbedingungen gleich schlecht im Verhandeln. Es zeigte sich aber auch, dass es in echten Lohnverhandlungen zu Benachteiligungen des weiblichen Geschlechts kommt.

In eine ähnliche Richtung forschten drei schwedische Ökonominnen, als sie wissen wollten: Warum verlangen Frauen weniger? Sie befragten Hochschulabsolventinnen und -absolventen, ob sie bei ihrem ersten Job eine Lohnforderung gestellt haben und wie er­folgreich sie damit waren. Erkundigt haben sich die Wissenschaftlerinnen auch nach Werten und Einstellungen der Kandidatinnen und Kandidaten. Es ergab sich: Frauen verlangen zirka zwei Prozent weniger Gehalt – weil sie das, was sie für ein angemessenes Salär hielten, tiefer ansetzten als Männer. Das Studienresultat legt nahe, dass Männer bestimmter und selbstbewusster als Frauen in Lohnverhandlungen steigen und deshalb mehr herausholen.

Mehrere hundert Franken

SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr führt ein mittelständisches Unternehmen im Thurgau. Dort werden immer wieder Fachkräfte angestellt und daher auch Löhne verhandelt. Gutjahr sagt: «In der Regel gehen Männer mit ihren Lohnforderungen eher bis an die obere Limite. Es ist ihnen im Unterschied zu Frauen eher egal, wenn sie überbezahlt sind.» Dass Frauen hingegen oft nur das Minimum verlangten, sei nicht das Problem der Männer, sondern: «Die Frauen verkaufen sich schlecht», erklärt Gutjahr. So könnten Lohnunterschiede von mehreren hundert Franken pro Monat entstehen.

Lässt die Thurgauer Unternehmerin also bewusst Lohnunterschiede zu? Auf Dauer zeige sich, welcher Lohn für wen angemessen sei, antwortet sie. «Wer in den Lohnverhandlungen mehr herausholt, als er später liefert, wird keine Gehaltserhöhung bekommen. Wer aber gute Arbeit verrichtet, wird eher befördert und mit der Zeit mehr verdienen.» Man erarbeite sich seinen Lohn.

Gutjahr beobachtet ausserdem, dass sich Frauen häufiger als Männer für Arbeitsflexibilität entscheiden. Wer Teilzeit arbeite, sei freier, müsse dafür aber Lohnnachteile akzeptieren. «Denn Flexibilität für Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter bringt Friktionen im Unternehmen, zum Beispiel weil Abläufe in Teams unterbrochen werden und Leerläufe entstehen.»

Bewegung in den Kantonen

Christina Werder ist beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) für Gleichstellungspolitik zuständig. Verfassung und Gesetz würden gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit von Mann und Frau vorschreiben. «Dass dieser Grundsatz eingehalten wird, kann man nicht auf die einzelne Frau abschieben.» Es sei somit nicht Aufgabe der Frau, sondern der Unternehmen, für Lohngleichheit zu sorgen. «Die Firmen sollen diskriminierungsfreie Lohnsysteme um- setzen.»

Dazu ist ein Teil der Unternehmen von Gesetzes wegen angehalten. Seit 2020 müssen Firmen mit über 100 Mitarbeitenden alle vier Jahre eine Lohngleichheitsanalyse durchführen und diese unabhängig überprüfen lassen. Die Resultate müssen sie ihren Angestellten und Aktionären mitteilen, nicht aber den Behörden oder der Öffentlichkeit. Deshalb fehle der Überblick, ob die Analyse im Lohngefüge tatsächlich etwas bewege, sagt Sina Liechti vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann.

Die Diskussion läuft auf kantonaler Ebene inzwischen weiter. Der Jura hat im Sommer 2021 eine Volksinitiative angenommen, welche Lohngleichheitsanalysen für Unternehmen mit 50 Mitarbeitenden verlangt. Die Schwelle, ab der die Pflicht zu einer Analyse besteht, möchten auch Politiker im Kanton Zürich senken. Ihre Motion datiert vom 6. März, ist daher sehr aktuell. Es stehe dem Kanton Zürich gut an, «eine Vorbildfunktion einzunehmen und einen gewichtigen Schritt in der Lohngleichheit voranzugehen».

Derweil gibt beispielsweise die «New York Times» Frauen Tipps für Lohnverhandlungen. Sie sollten Erreichtes zeigen und sich in Durchsetzungsstärke üben. Und besonders: Sie sollten verhandeln, als würden sie auch für andere etwas herausholen wollen. Denn auch das will die Forschung gezeigt haben: Frauen verhandeln besser, wenn sie nicht in erster Linie für sich selbst, sondern für andere einstehen.

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