«Die Sanktionen sollten kein One-Way-Ticket sein»

Katrin Schregenberger | 
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Der Nawalny-Vertraute Wladimir Aschurkow lobbyiert rund um den Globus für neue Sanktionen gegen Russland – auch in der Schweiz.

Es ist Mittwochnachmittag, und drei Mitglieder des Vereins «Russland der Zukunft», der Verein der russischen Oppositionellen in der Schweiz, warten in einem Lokal auf die Ankunft des Gleichgesinnten Wladimir Aschurkow, Vertrauter des inhaftierten russischen Oppositionspolitikers Alexei Nawalny. «Wir teilen immer die Standorte von einander», sagt der junge Mann, und schaut auf sein Smartphone. Dort bewegt sich ein blauer Punkt in der Altstadt Berns in Richtung Bundeshaus vorwärts.

Aschurkow, vorerst noch der blaue Punkt auf dem Display, ist Geschäftsführer der Antikorruptionsstiftung, die Nawalny gegründet hat, um Putin zu stürzen. Nur: Nawalny sitzt seit mehr als zwei Jahren im Gefängnis, und seine Chancen, in den nächsten dreissig Jahren freigelassen zu werden, stehen derzeit schlecht. Aber Nawalny und sein Team machen weiter. Zwei Tage, nachdem Alexei Nawalny am 17. Januar 2021 in Russland verhaftet wurde, stellte sein Team die Investigativ-Recherche ins Netz, die sich um Putins geheimen «Palast» drehte. Innerhalb der ersten halben Stunde sammelte der Beitrag auf Youtube eine halbe Million Klicks, Stand Mittwoch haben ihn 126 Millionen Menschen gesehen. Und Russland erlebte nach Nawalnys Verhaftung die grössten Proteste seit Jahrzehnten.

Doch das ist vorbei. Die politische Repression in Russland ist mit dem Krieg in der Ukraine noch härter geworden. Die Antikorruptionsstiftung, die rund 130 Mitarbeiter hat, ist von den russischen Behörden bereits im Sommer 2021 zur extremistischen Organisation erklärt worden und ins Ausland geflüchtet. Sie sitzt nun in Vilnius, Litauen. Und tut dort alles dafür, Alexei Nawalny im öffentlichen Bewusstsein zu halten und die Maske Putins Stück für Stück zu demontieren. Dass der Dokumentarfilm «Nawalny» nun einen Oscar gewonnen hat, hilft dabei.

Was auch hilft: politisches Lobbying. Und das ist die Aufgabe von Wladimir Aschurkow, jungenhaftes Gesicht, blauer Anzug, unauffällige Gestalt, der jetzt durch die Tür des Lokals kommt und einen kleinen Koffer hinter sich herzieht. Er begrüsst die jungen Männer am Tisch auf russisch, denn sie sind es, die ihn eingeladen haben, die Mitglieder des Vereins «Russland der Zukunft». Für gut 24 Stunden ist er nur im Land. Am Abend vorher trat er vor der russischen Diaspora in Zürich auf, um für die Stiftung zu werben, denn diese finanziert sich über Spenden, rund sechs Millionen Euro kommen pro Jahr zusammen. Und in rund einer halben Stunde trifft er sich mit SP-Parlamentariern zum lockeren Austausch im Bundeshaus.

Lobbying in Washington und Bern

«Schaffhausen, klar, das kenne ich, dort soll das Schaffhausen Institute of Technology von Sergei Beloussow entstehen», sagt er und redet weiter über seine Mission – über sein Verhältnis zu Beloussow mehr zu erfahren, bleibt keine Zeit. Der 51-jährige Aschurkow ist ein Mann, der wenig lacht. Eigentlich ist er Banker und als solcher hat er gelernt, «Resultate zu schätzen», wie er sagt. 2011 schrieb er, so die Legende, Alexei Nawalny eine Mail, ob er noch Hilfe brauche, er kenne sich aus mit Finanzen. Und seither kämpft er an dessen Seite für ein demokratisches Russland.

Er erfuhr, dass es «in der russischen Oppositionspolitik schwierig ist, Resultate zu erzielen». 2014 bereits verliess er das Land mit seiner schwangeren Frau, weil die Behörden ihn anklagten, Nawalnys Wahlkampfspenden veruntreut zu haben, was Nawalny bestritt. Im Londoner Exil dann machte sich Aschurkow unter den dortigen Oligarchen keine Freunde, denn er organisierte «Touristen»-Touren zu deren Prunk-Villen, um ihren – aus dubiosen Quellen stammenden – Reichtum sichtbar zu machen.

«Es ist keine Charity, dass die Schweiz die Ukraine unterstützt.»

Seit dem Krieg lobbyiert Aschurkow auch für die Unterstützung der Ukraine durch Waffenlieferungen und Sanktionen. Er tut dies in Washington, in Brüssel – und in Bern. Er sagt: «Es ist keine Charity, dass die Schweiz die Ukraine unterstützt.» Die Schweiz, der Westen, profitiere direkt davon, wenn Putin in der Ukraine keinen Sieg erringe, auch keinen Teilsieg. «Sonst wird Putin ermutigt, nach einigen Jahren wieder etwas Drastisches tun. Denn das ist die Natur dieses Regimes.»

Nawalny und Russland

20. August 2020: Nawalny wird vergiftet

17. Januar 2021: Nawalny kehrt zurück nach Russland und wird verhaftet

9. Juni 2021: Nawalnys Antikorruptionsstiftung wird zur extremistischen Organisation erklärt

24. Februar 2022: Einmarsch Russlands in die Ukraine

Das Team Nawalnys sprach sich schon lange für Sanktionen gegen Personen aus, welche das System Putin in Russland stützen. Doch seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine ist dies ihr wichtigstes Lobbying-Thema geworden. Eines, das der Stiftung selber zum Stolperstein wird: Vor wenigen Tagen legte ein Stiftungsmitglied sein Amt nieder. Leonid Wolkow hatte einen Brief unterschrieben, in dem die EU aufgefordert wird, gewisse Oligarchen von der Sanktionsliste zu streichen, unter anderem Michail Fridmann, Mitbegründer der Alfa-Gruppe, einer der grössten Industrie- und Finanzkonzerne Russlands. Das ist jener Konzern, in dem Aschurkow, der nun hier in Bern an seiner Tasse Kaffee nippt, einst Karriere machte, bis er wegen seines Engagements für Nawalny gehen musste.

Auch Aschurkow hat besagten Brief unterschrieben. Gegenüber der «Financial Times» kommentierte er das Thema nicht, nun sagt er: «Wir, die Antikorruptionsstiftung, sind eine politische Kraft, die für ein neues Russland kämpft. In diesem Kontext ist es für uns natürlich, dass wir in Kontakt sind und zusammenarbeiten mit der Wirtschaftselite Russlands. Mit allen ihren Mängeln und dubiosen Businesspraktiken.» Diese Leute gelte es, auf die gute Seite zu ziehen, jene, auf der nicht Putin steht. Der Fakt, dass die fraglichen Geschäftsleute die Hilfe der oppositionellen Kräfte im Ausland gesucht hätten, zeige, dass Russlands Elite sich zusehends spalte. Und das ist aus Aschurkows Sicht gut. Er sagt deshalb auch, dass es sanktionierten Personen unter gewissen Umständen offen stehen sollte, unter Erfüllung gewisser Bedingungen von den Sanktionen enthoben zu werden: «Sanktionen sollten kein One-Way-Ticket sein.»

Ukrainer kritisieren Nawalny

Der Vorfall zeigt symptomatisch, was der Vorteil, aber auch der Nachteil der russischen Opposition ist: Sie hat kein eigentliches politisches Programm, sondern sie ist reine Opposition. Ihr Ziel ist es, Putin zu stürzen und Russland auf den demokratischen Pfad zu führen – und sie bedient sich dabei auch unheiliger Allianzen und der Polemik. Der Krieg in der Ukraine hat Nawalny zudem in ein anderes Licht gerückt. Viele Ukrainer werfen ihm vor, das Anti-Kriegs-Narrativ für seine Zwecke zu missbrauchen. In der Ukraine ist Nawalny spätestens seit der Annexion der Krim 2014 unbeliebt, da er sie nicht verurteilte. Und: Zu Beginn seiner Karriere liebäugelte er mit den russischen Nationalisten. Aschurkow sagt: «Alexei hat, wie jeder Mensch und jeder Politiker in der Vergangenheit, Fehler gemacht. Er machte unglückliche Statements und Kommentare am Anfang seiner Karriere.» Das sei vorbei, was Nawalnys jüngste Tweets beweisen würden. Am 20. Februar erläuterte Nawalny auf Twitter umfassend seine Ansichten. Er schrieb: «Russland muss die Ukraine in Ruhe lassen.»

«Wir haben eine Beule in Putins Zitadelle der Macht geschlagen.»

Nawalnys Gesundheitszustand verschlechtert sich seit der Haft zusehends, seinen Anwälten wird bei ihren Besuchen jeweils verwehrt, ihm in die Augen zu sehen. Nur die Stimme hören sie. Aschurkow sprach mit ihm das letzte Mal, als er vor zwei Jahren das Flugzeug von Berlin nach Moskau bestieg. «Aber wir korrespondieren über seine Anwälte.» Das Ziel, ihn frei- zubekommen, scheint in weite Ferne gerückt. Doch Aschurkow mag nicht die Hoffnung verlieren angesichts des übermächtigen Gegners: «Auch wenn wir Putin noch nicht gestürzt haben, haben wir sig­nifikante Erfolge erzielt. Öffentliche Anerkennung, Millionen Unterstützer, bahnbrechende Recherchen, die von Dutzenden Millionen Leuten angeschaut wurden. Wir haben eine Beule in Putins Zitadelle der Macht geschlagen.»

Dann muss Aschurkow los, drei Mit­glieder der russischen Opposition in der Schweiz begleiten ihn, zwei weitere werden hinzustossen, wenn er gleich ins Bundeshaus läuft. Er sagt: «Jedes Gespräch mit westlichen Politikern macht einen Unterschied. Wir machen jeden Tag einen Schritt.» Dann schreitet er davon.

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