Kriegsmaterialrecht: Ständerat bleibt hart

Reto Zanettin | 
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Am Montag debattierte der Ständerat im Plenum, ob zum Beispiel Dänemark oder Deutschland in der Schweiz gekaufte Waffen weiterexportieren dürfen. Bild: Keystone

Die kleine Kammer lehnt eine Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes ab. Sie hält damit am neutralitätspolitisch strikten Kurs der Schweiz fest. Das letzte Wort in dieser Debatte ist allerdings noch nicht gesprochen.

Wenn schon fast alle einmal etwas gesagt haben, geht die Diskussion erst richtig los: Am Montag debattierte der Ständerat im Plenum, ob zum Beispiel Dänemark oder Deutschland in der Schweiz gekaufte Waffen weiterexportieren dürfen. Bisher untersagt der Bundesrat solche Wiederausfuhren. Er tut dies gestützt auf das eng formulierte Kriegsmaterialgesetz und das Neutralitätsrecht. Die Konsequenz davon: Deutschland darf keine Schweizer Munition in die Ukraine liefern, Dänemark keine Radschützenpanzer. Mit dieser Praxis sind nicht alle zufrieden. Wenn Waffen und Munition aus der Schweiz in den Beständen europäischer Länder blockiert würden, sei dies ein Problem für Europa, sagte der französische Botschafter Frédéric Journès am Wochenende gegenüber der «NZZ am Sonntag». Denn die europäische Sicherheit sei gefährdet, wenn die Ukraine den Krieg verliere. Im Klartext bedeutet das, die Schweiz solle helfen, damit die Ukraine sich gegen Russland wehren kann.

Ob das gewollt ist oder nicht, darüber läuft im Inland schon seit Monaten eine lebhafte Diskussion. Bundespolitiker haben eine ganze Handvoll Vorstösse eingereicht, sich in den Medien dazu geäussert und in den parlamentarischen Kommissionen daran gearbeitet. Die kleine Kammer hat am Montag nun einen dieser Vorstösse behandelt. Ständerat Thierry Burkart (FDP/AG) möchte «einen generellen Verzicht auf Nichtwiederausfuhrerklärungen von demokratischen Ländern, die über ein Exportkontrollregime verfügen, das dem unsern vergleichbar ist», wie er sein Anliegen im Gespräch mit den SN darlegt. Es handelt sich um total 25 Staaten, darunter Dänemark und Deutschland, aber etwa auch Frankreich, Griechenland, Grossbritannien, Italien, Japan oder die USA. Ihnen soll in Zukunft eine Unterschrift erspart bleiben – jene, mit der sie zusagen, dass sie Waffen aus der Schweiz bei sich behalten und eben nicht an einen anderen Staat weitergeben. Neutralitätspolitischer Sinn dieser Nichtwiederausfuhrerklärung ist, dass Schweizer Kriegsmaterial nicht in Konfliktgebiete gelangt.

«Theoretisch können sie die Ukraine genauso beliefern wie Russland.»

Jene 25 Länder sollen, so Burkart, frei entscheiden können, an wen sie Waffen aus Schweizer Produktion liefern. «Theoretisch können sie die Ukraine genauso beliefern wie Russland.» Weil dies ihnen überlassen sei, gerate die Schweiz nicht in einen Konflikt mit dem Gleichbehandlungsgebot.

Im Ratssaal hält der Aargauer fest: «Wir sind ein neutrales Land.» Er sei sich aber nicht sicher, ob sich die Schweiz einen Dienst erweise, wenn sie an einer strikt neutralen Haltung festhalte. Das hat mit der Wahrnehmung des Auslands zu tun: «Zurzeit sieht es eher danach aus, dass die Akzeptanz gegenüber unserer Neutralität schwindet, weil sie so, wie wir sie jetzt mit diesem Wiederausfuhrverbot nach aussen auslegen, eigentlich nicht verstanden wird.»

Burkart wollte seine Motion als Konzept verstanden wissen. Seine Ratskollegen mögen ihm zustimmen, damit der Bundesrat auf dieser Basis seine Führungsrolle wahrnehme und einen Gesetzesentwurf vorlege. Diesen könne das Parlament später feinschleifen.

Heftig gegen das Anliegen argumentierte SP-Ständerat Daniel Jositsch. Wer heute neutral sei, stünde faktisch nicht auf der Seite des Angegriffenen. Denn Krieg gelte als ungerecht, was früher anders gewesen sei. Somit: «Ja, Herr Burkart, Sie haben recht, wenn man nicht auf der Seite des Guten steht, dann hilft man, wenn Sie so wollen, dem Bösen, dem Aggressor.» Aber das müsse man aushalten, wenn man neutral sei. «Das ist so, das ist unangenehm.»

Wer das nicht wolle, solle eine Volksabstimmung durchführen und die Verfassung ändern. Jositsch ging an dieser Stelle aufs Ganze. Also kein gesetzgeberisches Kleinklein, sondern einen Grundsatzentscheid über die Schweizer Neutralität stellt er in den Raum. «Vielleicht sagt dann die Mehrheit, sie wolle das nicht mehr, man fände es zu unangenehm, dass man der Ukraine nicht helfen könne und in zukünftigen Konflikten dem Angegriffenen nicht helfen könne.» Jositsch bezweifelt allerdings, dass eine solche Volksabstimmung gewonnen werden könne. «Ich bin vielmehr überzeugt, dass die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer an der Neutralität festhalten würde.» Aber man müsse dann auch neutral bleiben.

«Lex Rüstungsindustrie»

Ebenfalls gegen Burkarts Anliegen votierte der Glarner Mathias Zopfi. Er bezeichnete die Motion als «Lex Rüstungsindustrie». Damit griff er einen Diskussionsfaden auf, der schon vor der Ratsdebatte angesponnen worden war. Burkart hatte argumentiert, die Schweiz brauche eine funktionierende Rüstungsindustrie, damit sie bewaffnet neutral sein könne. Waffenschmieden könnten hierzulande aber nur überleben, wenn sie exportieren könnten. Doch das sei infrage gestellt, wenn Abnehmerländer das in der Schweiz erworbene Kriegsmaterial im Kriegsfall nicht an ihre westlichen Partner weitergeben können. Also müssen man diese Reexporte erlauben.

Man kann Burkarts Argument auf Stichhaltigkeit prüfen. Etwa werden die neuen Kampfjets des Typs F-35A in den USA beschafft, und vor Kurzem hat der Bund die Munitionsfirma Ruag Ammotec an die Beretta Holding nach Italien verkauft. Weil er keinen Widerspruch zu einem früheren Entscheid eingehen wollte, hat sich Burkart zuletzt nicht gegen diesen Verkauf gewehrt. Kritisch gefragt: Wie passt das mit dem Wunsch nach einer eigenen Rüstungsindustrie zusammen, und entpuppt sich die Rede von der bewaffneten Neutralität am Ende nicht doch als Vorwand zugunsten der einheimischen Waffenindustrie? Der FDP-Ständerat erklärt, warum die Schweiz eine eigene Rüstungsindustrie brauche: «In einer Notsituation muss unser Land anderen Staaten etwas anbieten können, damit es von diesen Güter erhält.» Entscheidend sei zudem weniger die Eigentümerschaft, sondern der Produktionsstandort Schweiz. Ammotec hat den Sitz noch immer auf Schweizer Boden, in Thun. «Das Know-how aus der Rüstungsindustrie kann auch zivil genutzt werden, zum Beispiel in der Drohnentechnologie oder der Feinmechanik», so Burkart im separaten Gespräch mit den SN.

Im Ratssaal bemängelte Zopfi an der Motion des Freisinnigen, Schweizer Kriegsmaterial könne über einen der 25 Staaten doch in ein Krisengebiet gelangen. Der Bundesrat habe dies aufgezeigt. «Wollen wir in diesem Moment wirklich die sein, die an das Geschäft mit Waffen denken?», fragte Zopfi rhetorisch.

Heidi Z’graggen (die Mitte/UR) streifte die Frage nach der bewaffneten Neutralität und der Rüstungsindustrie kurz. Eigentlich aber ging es ihr um Grundsätzliches. Welchen Wert etwa habe die Neutralität als Alleinstellungsmerkmal des Kleinstaates Schweiz im globalen und europäischen Umfeld? In solchen Fragen gelte es, «unter der Prämisse der Neutralität gesamtheitlich und strategisch» zu denken. Z’graggen selbst bevorzugt Zurückhaltung, was die Neutralitätspolitik angeht. «Neutralität wahren – diesen zwei Worten stimme ich zu», sagte sie.

Mit ihr wollten sich 22 andere Ständeräte nicht auf Burkarts Vorstoss einlassen. Dieser ist damit vom Tisch. Das Thema aber wird weiter zu reden geben. Am Mittwoch möchte sich der Nationalrat mit einer weiteren Motion zur Änderung des Kriegsmaterialgesetzes befassen.

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