Selbst für Tierschützer zu radikal

Rico Steinemann | 
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Das mit Abstand am meisten verwendete Tier in Schweizer Tierversuchen ist nach wie vor die Maus. Bild: Key

Am 13. Februar stimmt die Schweiz über die Vorlage «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot» ab. Bund und Parlament geht die Vorlage viel zu weit. Selbst Tierschutz-Organisationen, die das Anliegen grundsätzlich unterstützen, sehen die Initiative als eher kontraproduktiv.

Ein Verbot sämtlicher Tierversuche. Das fordern die Initianten der Volksinitiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot». Im Parlament hatte die Vorlage keine Chance und wurde einstimmig abgelehnt. Auch das Stimmvolk sagt ersten Umfragen zufolge klar Nein. Doch wie stehen Schweizer Tierschutz-Organisationen zur Initiative? Das Thema Tierversuche ist bei diesen nicht erst seit dieser Initiative auf dem Tapet.

Der Schaffhauser Jurist Andreas Rüttimann arbeitet für die Tierschutz-Organisation «Tier im Recht» und sitzt überdies in der Tierversuchskommission des Kantons Zürich. Er sagt: «Wir bei ‹Tier im Recht› vertreten eine differenzierte Ansicht und sind weder klar pro noch klar kontra.» So sei die Initiative einerseits teilweise unglücklich ausgestaltet, indem sie beispielsweise einige unklare Formulierungen enthalte – etwa in Bezug auf die Erstanwendung von Therapien – und nicht zwischen belastenden und nicht belastenden Versuchen unterscheide. Andererseits seien belastende Tierversuche für «Tier im Recht» ethisch höchst fragwürdig, weshalb die Organisation das Grundanliegen der Initiative unterstütze.

Mit Staatsgeldern gefördert

Im heutigen System würden Tierversuche unkritisch mit Staatsgeldern gefördert und Bewilligungsgesuche kaum je abgelehnt. Und dies trotz wachsender wissenschaftlicher Kritik an der Methode Tierversuch. «Es gibt verschiedene Studien, die darauf hindeuten, dass ein Grossteil der Resultate, die aus Tierversuchen gewonnen werden, nicht auf den Menschen übertragbar ist.»

Dass die Bewilligungen kaum je abgelehnt werden, hänge im Übrigen auch mit der Zusammensetzung der Kommissionen zusammen. Der Jurist sagt: «Im Kanton Zürich haben wir beispielsweise ein Gremium aus elf Personen. Davon kommen drei aus dem Tierschutzbereich, der Rest steht der Forschung nahe.» Rüttimann sieht bei diesem Verhältnis die Interessen des Tierschutzes zu wenig stark vertreten.

Ähnlich tönt es bei Julika Fitzi, der Leiterin der Fachstellen Tierversuche und tierärztliche Beratung bei der grössten und ältesten Tierschutzorganisation des Landes, dem Schweizer Tierschutz STS. Die Tierärztin und Juristin findet das heutige System mit Tierversuchen für unsere gesellschaftlichen Ansprüche in der Schweiz in Bezug auf die Effizienz und das verursachte Tierleid, «ethisch und finanziell nicht tragbar». Dennoch sagt sie mit Blick auf die Initiative: «Wenn Tierversuche als Verbrechen taxiert werden sollen, dann kommen wir nicht weiter. Die Folgen sind so radikal, dass es aus unserer Sicht kontraproduktiv ist.»

schneider
«Die Initiative wäre für die Forschung und die Weiterentwicklung derselben eine Katastrophe.»
Meret Schneider, Grüne Nationalrätin

Denn Fitzi ist überzeugt, dass die Schweiz von mittelschweren und schweren Tierversuchen wegkommen müsse. Tierversuche, um das Tierwohl zu verbessern, Verhaltensstudien und wenig belastende Tests seien ihrer Meinung nach okay. Dennoch sei das langfristige Ziel der Organisation ein System, das irgendwann komplett auf Tierversuche verzichten kann. «Alternativmethoden sind schneller, exakter und günstiger. Wir nutzen sie zu wenig», sagt die Tierärztin.

Es gebe viele Entwicklungen wie beispielsweise Computermodelle oder «Organs on a chip». Bei letzterer Methode dient ein Biochip zur Simulation von Organen in Zellkulturen. Fitzi glaubt, dass in diesem Bereich vieles vorangetrieben werden könne, doch dazu müssten die staatlichen Gelder dahin umgelenkt werden. 2019 habe nur schon der Schweizerische Nationalfonds 140 Millionen Franken in die Forschung mit Tierversuchen investiert. Verglichen damit seien die 20 Millionen für das fünfjährige Programm, mit dem der Bund erforschen wolle, wie sich die Anzahl der Tierversuche verringern lässt, viel zu wenig.

Ob bei «Tier im Recht» oder dem Schweizer Tierschutz STS, beide Organisationen fordern eine konsequente Abkehr vom Tierversuch. Kontakt mit den Initianten habe es aber im Vorfeld nicht gegeben. Fitzi sagt dazu: «Das ist bedauerlich, denn es gibt tatsächlich Punkte, die sehr wohl mit unseren Forderungen und Strategien übereinstimmen.» So habe man die Initiative aber nicht unterstützen können.

Sie spricht von einer verpassten Chance und glaubt, dass man mit einer moderateren Initiative mehr hätte erreichen können.

Chancenloser Gegenvorschlag

Eine moderatere Version der Volksinitiative schwebte auch Meret Schneider vor. Die grüne Zürcher Nationalrätin setzt sich im Parlament an vorderster Front für Tiere ein. Weshalb sie von den Initianten auch eine Unterstützungsanfrage erhielt. Aber Schneider lehnte ab. «Als ich die Vorlage las, dachte ich mir: So geht das nicht. Die Initiative wäre für die Forschung und die Weiterentwicklung derselben eine Katastrophe und ist so nicht umsetzbar.» Neben einem kompletten Verbot für Tierversuche wären auch Schlafstudien mit Menschen oder Lernstudien mit Kindern verboten.

Die grüne Nationalrätin fasst es so zusammen: «Die Initiative ist schlecht gemacht.» Sie sei kontraproduktiv, weil sie sich auf keinen Dialog mit der Forschung einlasse. «Diese radikale Antihaltung bringt nichts.» Sie habe versucht, zusammen mit den Initianten einen Gegenvorschlag auszuarbeiten, denn grundsätzlich teile sie deren Anliegen, sagt Schneider. Sie hätten aber keine Diskussionsbereitschaft gezeigt.

Sowohl mit «Tier im Recht» als auch mit dem Schweizer Tierschutz STS stand sie aber bezüglich eines Gegenvorschlags im Austausch. Gemäss diesem hätte der Bund unter Berücksichtigung der Wirksamkeit kategorienspezifischer Verbote einen Ausstiegsplan für belastende Tierversuche festlegen sollen. Und der Gegenvorschlag verlangte Fristen, nach deren Ablauf im entsprechenden Bereich keine Tierversuche mehr durchführt werden sollten.

Zudem sollten öffentliche Mittel primär in tierversuchsfreie Forschungsprojekte fliessen. Schneiders Gegenvorschlag wurde in der letztjährigen Debatte im Nationalrat schliesslich mit 139 zu 44 Stimmen abgelehnt.

Dennoch sagt sie: «Ich habe gleichwohl versucht, die Diskussion zu nutzen, um einen konstruktiven Weg einzuschlagen. Keine Hauruckübung, die alles verbietet, sondern ein Weg, der umsetzbar ist.»

Zu einem gewissen Grad sei ihr das auch gelungen. So habe die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur mehr Geld für die 3R-Forschung («replace, reduce, refine – ersetzen, reduzieren, optimieren von Tierversuchen) gesprochen. «Der Weg ist noch nicht zu Ende gegangen», gibt sich Schneider kämpferisch.

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