Ohne Worte: Zu Besuch bei der Curling-EM der Gehörlosen

Ralph Denzel | 
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Wie spielt man Curling, ohne miteinander sprechen zu können? Wir waren bei der Curling-EM der Gehörlosen in Schaffhausen und haben festgestellt: Es ist alles eine Frage der Ausdrucksweise.

Was zuerst auffällt, ist die Lautstärke. Es ist aber nicht das Rufen der Athleten, die ihren Teamkameraden Anweisungen für das Wischen geben, sondern nur das Geräusch der Besen, die über das polierte Eis huschen – das einzige Geräusch, das in einer Halle tönt, in der gerade knapp 40 Menschen Curling spielen. Die Anspannung ist hoch, das merkt man, während man die Athleten beobachtet – schliesslich geht es hier um nicht weniger als die Europameisterschaft im Curling. Die Stille ist aber nicht nur der hohen Konzentration geschuldet: Alle Athleten sind gehörlos.

Betrachtet man die Spieler, fällt einem sofort auf, was das für den Sport bedeutet. Die Spieler werfen sich andauernd Blicke zu, kommunizieren über Gesten und Augenkontakt. Auch ihre Mimik scheint viel stärker ausgeprägt als bei nicht-gehörlosen Curlern. Sieht man die zufriedenen Gesichter des Team-Kapitäns, nach einem erfolgreichen Wurf, merkt man: Die Kommunikation zwischen den Mitspieleren stimmt.

Taub bedeutet nicht stumm

Viele Menschen glauben, dass gehörlos gleichzusetzen mit stumm ist. Betrachtet man die Spiele eine Weile, merkt man aber schnell, dass das ein Irrglaube ist: Die Spieler schreien laut durch die Halle, wenn ein Stein nicht dorthin geht, wo er soll, oder auch vor Freude, wenn sie einen besonders guten Wurf hinbekommen. «Das hat alles mit Emotionen zu tun», erklärt Roman Pechous, Geschäftsführer des Schweizer Gehörlosen Sportverbandes. «Die Sportler können sprechen – aber sich nicht über Sprache miteinander verständigen.»

«Wir können in unserem Verband glücklicherweise auf gute Strukturen im nicht-gehörlosen Sport zugreifen», erklärt er. Es gäbe Trainingsmöglichkeiten, Plätze und auch Trainer. Und auch Plätze wie die KSS-Curling-Bahn. Dort hatte man vor zwei Jahren auch schon die Schweizer Meisterschaften ausgerichtet. «Darum kam dann der Schweizer Gehörlosenverband auf uns zu und fragte an, ob wir auch die EM ausrichten wollen», sagt Marco Gabrieli, der Präsident von Curling Schaffhausen. Das verlangt dem Club einiges ab: So haben Schaffhauser Curler schichtweise zehn Mitglieder im Dienst. Diese schreiben Statistiken, betreuen die internationalen Gäste und kümmern sich um die Organisation der Wettkämpfe. «Aber für so ein Event macht man das gerne.»

Faires Spiel

Und auch wenn es ein Wettkampf ist: Besonders fällt auch auf, wie fair alles abläuft. Das bestätigt auch Guido Caccivio. Er ist Schiedsrichter bei dem Turnier. «Wirklich viel zu tun haben wir bisher nicht», lacht er. Die Mannschaften seien überaus fair und verhielten sich sehr höfflich und sportlich untereinander. «Ab und an müssen wir eine Entscheidung treffen, wenn es Unstimmigkeiten gibt - aber das ist eher die Ausnahme.»

So ist es auch nicht nötig, dass, wie ursprünglich geplant war, die Zuschauerscheiben verspiegelt werden mussten, denn: «Die Trainer dürfen nicht während dem Spiel mit den Spielern kommunizieren», sagt Caccivio. Trotzdem versuchen einige unerlaubter Weise auf das Spiel so Einfluss zu nehmen: «Erst neulich haben wir einen Trainer gesehen, der verbotenerweise Handzeichen an sein Team gegeben hat.» Mit einer Verwarnung war die Sache allerdings dann ebenfalls wieder erledigt.

So sitzen die Trainer, aus der Ukraine, aus der Schweiz und aus Finnland auf der Tribüne in der ersten Reihe und begutachten konzentriert das Spiel ihrer Schützlinge auf dem Eis. Ihre Finger liegen ruhig im Schoss. Als ein Wurf nicht gelingt, entfährt einem der Trainer ein lauter Fluch. Wie Pechous gesagt hat: Wer hier schreit, schreit nicht weil er Kommandos geben will, sondern weil die Emotionen mit ihm durchgehen.

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