Im Einsatz für das Tierwohl: Der Hof «Lebenshof TierMensch»

Ralph Denzel | 
Lesenswert
Noch keine Kommentare

Manche sind krank, haben nie echten Boden unter den Hufen gehabt - oder wurden einfach nicht mehr gewollt. Die Tiere auf dem Hof «Lebenshof TierMensch» haben fast nie eine angenehme Vergangenheit. Dafür jetzt eine viel schönere Zukunft.

Als wir auf dem Vorplatz des «Lebenshof TierMensch» fahren, werden wir zuerst von einer kleinen, schwarzen Katze begrüsst. Neugierig streicht sie um unser Kameraequipment, ehe sie die gleiche Art der Begrüssung auch bei uns macht.

Das «Begrüssungskomitee».

Hinter der Eingangstür bellen freudig ein paar Hunde. Ann Hoffmann macht uns die Tür auf. Die Hunde, die vorher gebellt haben, betrachten uns schwanzwedeln, während ihr Frauchen in ihre Gummistiefel schlüpft.

Hoffmann leitet den Hof und auch den gleichnamigen Verein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Tieren ein würdevolles und schönes Leben zu ermöglichen. In den nächsten Stunden wird sie uns rumführen und ihre «Mitbewohner» vorstellen.

Dabei wir schnell klar: Wer sich so einem Projekt verschrieben hat braucht Enthusiasmus, Durchhaltewillen und Opferbereitschaft. Und es beinhaltet auch, dass man manchmal Abschied nehmen muss.

Gross und Klein

Unser erster Halt ist in einer Scheune direkt neben dem Haupthaus. Aus einer kleinen Box hört man leises Rascheln. Darin befinden sich mehrere Igelbabys, die, als sie Hoffmann sehen, sofort unruhig werden. Sie ahnen, was jetzt kommt.

«Ich arbeite nebenbei noch bei der Igelrettung, daher habe ich die bekommen», sagt sie und zieht etwas Milch auf. Ein kleines Igelchen nach dem anderen wird vorsichtig herausgeholt und liebevoll mit etwas Ersatzmilch gefüttert. «Wir haben sie farblich markiert, damit wir genau sehen können, welches Tier zunimmt und welches nicht», sagt Hoffmann. Die Tiere sind neugierig, aufgeweckt und trinken mit Hingabe.

Durstig: Die kleinen Igel, die Ann Hoffmann versorgt.

Die kleinen Lebewesen zu versorgen, ist ein Kraftakt – und nichts für Langschläfer: «Die brauchen knapp alle zwei Stunden Milch», erklärt Hoffmann. Das bedeutet noch einige Wochen Nachtschicht, bis die Tiere auf feste Nahrung umsteigen können.

Als nächstes geht es raus in den riesigen Garten, der im ersten Moment wie ein kleiner Zoo wirkt: Links von uns quietschen bereits die Meerschweinchen nach ihrem Grünzeug, welches Ann Hoffmann zuvor geschnappt hat, rechts gurren einige Tauben aufgeregt. Irgendwo hört man Pferde wiehern, Schafe blöken und Ziegen meckern.

Aufgeweckt und hungrig: Die Meerschweinchen.

So zufrieden die Tiere jetzt aussehen: Fast keiner der tierischen Bewohner, die hier auf diesem Hof leben, hat eine schöne Vergangenheit. Die Meerschweinchen etwa, die zu unseren Füssen umherwuseln und vor Freude über den frischen Löwenzahn «hüpfen», «popocorn» nennet man es, weil es aussieht ein Maiskorn, das aufpoppt, sind meistens Verzichttiere oder wurden beschlagnahmt, weil ihre Besitzer sich nicht um sie kümmern konnten oder wollten.

In einer Gruppe ist es für die Tiere am schönsten.

«Hier sind sie in einer grossen Herde, das gefällt ihnen sehr gut», sagt Hoffmann, während die kleinen Tiere quietschend den Löwenzahn knabbern. Der nächste Halt sind dann die Vögel.

Qualzuchten ausgesetzt

Auch hier hört man traurige Geschichten, wie etwa die Geschichte von Chenoa. Die Taube sieht auf den ersten Blick lustig aus, stehen ihre Federn am Kopf doch ab wie bei einem Irokesenhaarschnitt.

Chenoa schielt.

Die langen Federn an ihren Krallen wirken deplatziert, aber sind so gewollt. «Irgendein Züchter dachte wohl, dass er mit dieser Taube an Ausstellungen Preise gewinnen kann», sagt Ann Hoffmann, während sie das Vogelgehege, wo auch Chenoa seine Heimat hat, öffnet. Sofort flattert dieser freudig auf sie zu und setzt sich laut gurrend auf ihren Arm. «Aber da er einen Schönheitsfehler hat, wurde er ausgesetzt.» Die Taube schielt auf dem rechten Auge – weswegen er laut Hoffmann für seinen Besitzer keinen Vorteil mehr bot – und einfach ausgesetzt wurde.

Ann Hoffmann mit ihrem Schützling.

«Das Problem bei ihm ist, dass er nicht wie eine Stadttaube sich selbst Futter suchen kann. Er ist gewöhnt, dass er immer einen vollen Napf hat. Ausserdem kann er Gefahren nicht einschätzen, weil er sie nie kennenlernen musste», so Hoffmann. Hätte das Team des «TierMensch»-Hofs ihn nicht aufgenommen, hätte es wohl kein glückliches Ende für den Vogel genommen.

Das gleiche gilt für zwei Hochzeitstauben, die oben auf der Empore sitzen. Bei diesen wurden die Schwanzfedern so gezüchtet, dass sie hochstehen wie ein Fächer. Fliegen macht die Sache dabei aber umso schwieriger. «Es macht mich wütend, wenn Menschen Tiere nur züchten, damit sie schön aussehen», sagt Hoffmann mit Blick auf die Tiere. «Das ist nicht artgerecht und eine Qual für sie.»

Für das Aussehen gezüchtet, dann ausgesetzt: Die beiden Hochzeitstauben.

Für Chenoa geht es wieder in sein Gehege. Dort warten bereits mehrere Wellensittiche und andere Tauben, die entweder ausgesetzt worden sind oder ihren Besitzern lästig.

Wenn Tiere krank werden

«Wir wollen die Tiere als Individuum anschauen und auch so respektieren», sagt Ann Hoffmann, während wir weitergehen. So gibt es auf ihrem Hof nicht nur Platz für abgegebene Tiere, sondern auch für solche, die «per Zufall» hierherkommen. In einem Stall nistet eine Falkenfamilie, auf einem kleinen Teich drehen immer wieder Wildenten ihre Runden – und oben im Dach findet sich ein Taubenschlag.

Über 100 Tiere leben auf dem Hof, sagt Hoffmann, deren Tag meistens bereits um 7 Uhr losgeht. «Ausmisten, putzen, oft auch Tierarztbesuche», zählt sie den typischen Tagesablauf bei ihr und ihrem Team auf.

Letzteres ist nicht überraschend, denn: Viele Tiere, die hierherkommen, tun dies auch, weil sie krank sind. Wie etwa Black, ein schwarz-weisses Pferd, das uns als nächstes begrüsst.

Black und seine Mitbewohner.

Neugierig stupst er uns mit seinen Nüstern an und geniesst es, als Ann Hoffmann ihm über die Flanke streichelt. Black leidet an Asthma und wurde deswegen weggegeben. Früher stand er hauptsächlich in einem Stall, hier kann er sich frei bewegen und hat auch eine grosse Wiese, auf der er rennen kann. «Seitdem geht es ihm viel besser», so Hoffmann, die gelernte Tierpflegerin ist.

Auch die anderen Pferde, die dort herumlaufen, zeigen, wie wohl sie sich fühlen. Ohne Scheu gehen sie auf Ann Hoffmann und uns zu, lassen sich streicheln und stupsen neugierig an unsere Kamera.

Enges Vertrauen zwischen Tier und Mensch.

Wie bezahlt man das alles? Über Spenden. Jedes Tier hat teils mehrere Paten, die einen gewissen Betrag überweisen. Desto grösser das Tier, desto höher auch der Beitrag, denn auch die Futterausgaben sind um einiges höher.

Wollen Sie helfen?

Wenn Sie den Hof unterstützen wollen, können Sie sich auf der Homepage des Hofes informieren. Es gibt mehrere Möglichkeiten, das zu tun: Entweder durch eine Tierpatenschaft, eine Futter- oder einer regulären Spende. Ausserdem freut sich der Hof immer über Leute, die Wissen rund um Tiere haben und dort mithelfen wollen.

Weitere Informationen zu den Spenden gibt es hier.

Neid um Streicheleinheiten

Fast schon eifersüchtig werden derweil die Schweine, die im Gehege nebenan ihr Domizil haben. Fünf Schnauzen drücken sich durch das Gitter, dass die Pferdeweide von den Schweinen trennt, es wird gequickt und gerufen. «Wir sollten besser aussenrum gehen», sagt Hoffmann und lacht. Würden wir doch den «Haupteingang» gehen, würden wir keine zwei Schritte weit kommen, weil die Schweine ihre «Streicheleinheiten» fordern.

Die Tiere wirken respekteinflössend: Die Eber haben grosse Hauer und sind riesig, aber man merkt schnell: Gefahr geht von ihnen nicht aus. Emma, das grösste Tier der Rotte, geht uns fast bis zum Rippenbogen, als sie sich uns neugierig nährt. Hoffmann geht in die Knie und beginnt die Schweinedame vorsichtig zu kraulen, was diese mit einem genussvollen Grunzen quittiert.

«Emma hatte es auch nicht leicht. Sie war acht Jahre lang in einer Zuchtanstalt. Insgesamt hat sie 188 Ferkel zur Welt gebracht und dabei nie etwas anderes als einen Hallenboden gespürt.» Jetzt steht das Tier in einem grossen Gehege, auf dem sogar Spielzeug für die Tiere verstreut ist. «Hier hat sie das erste Mal echten Boden spüren können und scheint es zu geniessen.»

Die Dame im Haus: Emma.

Auch die anderen Tiere hier haben ähnliche Geschichten. Etwa Vivo, der 2019 geboren und danach gemästet wurde. Weil er nicht genug zugenommen hatte, wollte der Bauer ihn nicht mehr. Oder Carlos und Lenny, Emmas Söhne, die zusammen mit ihrer Mutter das erste Mal «echten» Boden im Lebenshof unter ihren Pfoten spüren konnten.

Und da wäre auch Momo. Ein grosses Schwein, welches sich auf den Boden wirft und Streicheleinheiten fordert, als Ann Hoffmann sich ihm nähert. Genussvoll lässt er sich kraulen, während die anderen Tiere fröhlich spielen. «Angefangen hat es eigentlich ganz klein», sagt erzählt Hoffmann. «Nur ein paar Tiere, draus wurde dann aber immer mehr. Wir fragten uns, was passt noch dazu, welchen Tieren können wir ein gutes Zuhause bieten – so wuchs es immer weiter.»

Momo lässt sich streicheln.

Urlaub, oder spontan vereisen, geht dabei nicht. «Zum Glück haben wir einen grossen Helferchat. Wenn mal Not am Mann ist, oder einer von uns krank, dann schreiben wir dort rein und meistens finden wir auch jemanden, der einspringen kann.» Oft heisst aber nicht immer und so bleibt die Arbeit doch auch häufig bei Ann Hoffmann und ihrem Team hängen. Auf die Frage, was einen idealen Helfer aussehen würde, antwortet Hoffmann lachend: «Am besten wäre ein Tierfreund, der 24 Stunden am Tag Zeit hat und keine anderen Verpflichtungen hat.»

Für die Tiere ist Ann Hoffmann sieben Tage die Woche da – und manchmal kann es dann auch traurig werden. So etwa bei Momo, dem Schwein, welches voller Genuss seine Streicheleinheiten empfing. Einige Wochen nach unserem Besuch verschlechterte sich sein Gesundheitszustand etwa so rapide, dass er letztlich vom Tierarzt erlöst werden musste.

Schlachtbank – oder Rettung

Die letzten beiden Stationen sind die Ziegen und die Schafe. Beide Rassen sind getrennt, aber auch hier merkt man das tiefe Vertrauen der Tiere zu ihren «Menschen». Kaum hat Hoffmann das Gehege betreten, rennen Schwändli, Bärli und Linda auf sie zu, stupsen sie an und verlangen Streicheleinheiten. «Schwändli und Bärli heissen wie die Ziegen aus Heidi», erklärt die Hofleiterin. Und auch die beiden haben einen traurigen Hintergrund.

Bärli begrüsst uns auf eine eigene Art und Weise.

«Die Tiere habe ich bei einer Alpwanderung kennengelernt. Dort bin ich mit einem Bauer ins Gespräch gekommen, der mir erzählte, dass seine Ziegen eigentlich nur schwanger werden dürfen, damit sie Milch bekommen. Die brauche er für Ziegenkäse. Für die Jungen hat er dann aber keine Verwendung mehr.» So hätte Schwändli und Bärli die Schlachtung gedroht, aber Hoffmann konnte dem Bauer die beiden «abschwätzen», wie sie es grinsend ausdrückt.

Schwändli scheint uns zu mögen.

Auch die Schafsböcke, die unsere letzte Station sind, drohte die Schlachtbank, hätte Ann Hoffmann sie nicht aufgenommen. «Männliche Schafe werden nicht so oft gebraucht, denn man befürchtet Inzucht», erklärt Hoffmann. Daher führe für sie der Weg oft zu Schlachtbank. Nicht aber so für Röbi, Flynn, Paul, Killian und Conner, die jetzt ihr Leben auf einer grossen, grünen Weide geniessen können.

Die Schafböcke auf ihrer Weide.

Als wir uns verabschieden, rennen die Schafe Ann Hoffmann hinterher bis zum Zaun und blöcken ihr nach – vielleicht hatten sie noch nicht genug Streicheleinheiten bekommen.

Ist dieser Artikel lesenswert?

Ja
Nein

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren