«Er wollte helfen und hat jetzt nichts mehr»

Mark Gasser | 
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Der Fall wurde vor dem Bezirksgericht Andelfingen verhandelt.

Sie liessen sich von einem Clan aus der Slowakei während Jahren zu Darlehen überreden und erpressen: Ein homosexueller Geistlicher aus dem Weinland und ein Rentner aus Appenzell.

Der Geistliche L. aus dem Zürcher Weinland lebt heute in der Innerschweiz und ist als Obstbauer tätig, während er in einem kleinen Teilpensum noch für eine Kirche arbeitet. Die Kontakte zu den Roma aus der Stadt Sabinov in der Ostslowakei, K. und P. und weiteren Clan-Mitgliedern zwischen 2009 und 2017, flogen auch bei seinem Arbeitgeber auf. Sie hatten so sein vorzeitiges Karriere-Ende zur Folge. Gestern am Bezirksgericht schilderte er zunächst, wie er den Jüngeren der beiden, den 30-jährigen K., 2009 an der Pfarrhaustür kennengelernt habe, «mittellos». Und Mittellosen habe er stets, seinem Berufsethos entsprechend, zu essen gegeben. Doch wie sich in den folgenden Jahren erwies, waren der heute 30-jährige K. und der ebenfalls beschuldigte P. (43) vor allem eins: hungrig nach Geld. Mit Kalkül sollen sie den besagten Zeugen und Privatkläger L., der in einer Kirche in der Region tätig war, sowie einen Rentner aus Appenzell um Zehntausende von Franken geprellt und erpresst haben. Dabei waren ihnen diverse Ausreden recht, um das Geld, das sie nie zurückzuzahlen planten, vorgeblich zu «leihen»: familiäre Schwierigkeiten, die drohende Zwangsversteigerung des Elternhauses, Krankheiten, Finanzierung der Ausbildung der Kinder.

Der Geistliche L. war zunächst angetan von der Art des damals 21-jährigen K., dem er mangels einer Notschlafstelle im Bezirk eine Übernachtung anbot. Sie hätten gute Gespräche geführt «mit einer Zukunftsperspektive», meinte L. Er schmiedete gar Pläne, mit K. einen Landwirtschaftsbetrieb aufzubauen. Eine sexuelle Beziehung zu einem der beiden habe er nicht gehabt. Mit K. gab er aber vor, damals «allenfalls, wenn wir zusammen geblieben wären, eine Liebesbeziehung aufbauen» zu können. Er sagte auch schnell zu, K. für dessen Eltern rund 26'000 Franken (ohne Quittung) mitzugeben, um sie vor der Zwangsversteigerung zu bewahren – das Geld aus seiner Lebensversicherung. Dafür versprach K., zurück in der Schweiz, auf dem Bau nach Arbeit zu suchen. «Wer andern nicht traut, dem ist selbst nicht zu trauen», begründete L. gestern am Gericht seinen Grundsatz. Doch K. blieb dann zwei Jahre in England, wohin L. ihm weiter Geld schickte. Im Juli 2013 habe K. dann weitere rund 16'400 Franken ausgeliehen.

Immer wieder hätten die Roma aus dem Gebiet sehr viel Unterstützung für Projekte zu Hause erhalten aus einer besonderen Kirchenkasse, erzählte L. Teilweise über diese Schatulle seien (à fonds perdu) an Dritte aus demselben Clan wohl über 50 000 Franken geflossen. Irgendwann habe eine Mitarbeiterin kein Geld mehr aus der Kasse bezahlen wollen, «da habe ich begonnen, privat zu zahlen». Als 2013 der Beschuldigte P. (43) auf die Bildfläche trat, gab er familiäre Gründe, Krankheit, die Ausbildung der Kinder und ähnliche Notstände an, um Geld bei L. zu erbetteln. Gemäss Anklageschrift kamen so über 40'000 Franken zusammen, doch genau konnte sich L. weder an die Höhe der Zahlungen noch an die Namen aller bei ihm verkehrenden Roma erinnern.

«Ich handelte nach dem Grundsatz: Wer anderen nicht traut, dem ist selbst nicht zu trauen.»

Geschädigter L., am Bezirksgericht Andelfingen

Der heutige Lebenspartner und damalige Kollege des Geistlichen, der 55-jährige Architekt S., hatte den Schlamassel Mitte Mai 2017 mit seinem Anruf bei der Polizei beendet. S. beschrieb, wie K. ihm per SMS gedroht habe, dass S. ihm den Partner «ausspannen» würde. Und dann wurde er emotional. «Die Geschichte hat ihn sehr belastet und in den Ruin getrieben. L. lebt am Existenzminimum. Er wollte helfen und hat jetzt nichts mehr.» Sein Partner habe sich auch als Schwuler streng den kirchlichen Regeln untergeordnet, doch habe er eine Tendenz zur Demenz, wodurch er sich diese Unsicherheit über mögliche Sexfotos, mit deren Veröffentlichung die beiden zuletzt drohten, erkläre. «Man könnte auch Fotomontagen machen und so jemanden völlig an die Wand fahren», erklärte L. zusätzlich seine Angst.L. und ein zweiter Geschädigter, I., ein heute 79-jähriger Rentner aus Appenzell, der sich ebenfalls wohltätig engagiert, liessen sich über die Jahre zu «Darlehen» von Zehntausenden von Franken verleiten. Total habe er wohl über 275'000 Franken in die Ostslowakei, die er mehrmals besuchte, überwiesen, weitere gut 25 000 direkt an die Beschuldigten, meinte I. Sex sei nie eine Bedingung für ihn gewesen, damit er zahle, auch wenn er mit dem 49 Jahre jüngeren K. «höchst selten» sexuelle Kontakte gehabt hatte. Das Netzwerk in der Ostslowakei sei gut, nun befürchtet er Racheakte. «Ich lebe in Ungewissheit, dass an einem Tag X mein Haus in Flammen aufgeht.» Die Verteidigerin von K. fragte sich, warum der Rentner nie deklariert habe, dass es ein Darlehen sei, und ob er genug klar auch deren Rückzahlung einforderte. Sie und der Verteidiger von P. liessen einige Ungereimtheiten durchblicken, die sie heute am Bezirksgericht in ihre Plädoyers einarbeiten werden.

 

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