Von Brüchen, Bäumen und dem Meer

Mark Gasser | 
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Stellen in Kleinandelfingen aus (von links): Edyta Nadolska-Scheib, Christian Pflanzl, Trudi Schüeli und Hans Russenberger. Es fehlt Verena Wanner. Bild: Mark Gasser

Fünf Mitglieder des Kunstvereins Stühlingen stellen ab dem 10. November ihre Werke in Kleinandelfingen aus. Ihr Thema «(In) Frieden schöpfen» ist der gemeinsame Nenner.

Die Stühlinger Künstlerin und Kunsttherapeutin Edyta Nadols­ka-Scheib (47) hat sich für die aktuelle Ausstellung ganz Albert Camus’ zehn «Lieblingswörtern» gewidmet: Elend, Erde, Wüste, Schmerz, Welt, Sommer, Ehre, Mutter, Meer, Menschen. Die gebürtige Polin ist eine von fünf ausstellenden Kunstschaffenden des Kunstvereins Stühlingen, die ab dem 10. und bis zum 25. November in der Galerie im Gemeindehaus in Kleinandelfingen ihre Werke unter dem Titel «(In) Frieden schöpfen» zeigen. Das Motto sei indirekt das Resultat einer Diskussion des Kunstvereins über «Dinge, die uns beunruhigen» gewesen, wie Nadolska-Scheib meint. Doch statt Krieg und Flüchtlingen, die ursprünglich im Raum standen, entschied man sich, die Botschaft positiv zu formulieren.

«Ich lebe nah an der Grenze. Da ist der Kunstverein naheliegend, wenn man nicht allzu eng denkt.»

Hans Russenberger, Bildhauer, Schleitheim

Ihre Ölbilder sind auf Holz gemalt, wodurch teilweise die Maserung durchschimmert. Und auf allen ihren Bildern von Landschaften ist (mit einer Ausnahme) das Meer in den unterschiedlichsten Farbtönen und Stimmungen zu sehen. Bei einem Bild schuf sie mit dem Bunsenbrenner eine rissähnliche Struktur, welche an Holzrinde erinnert – und die dramatische Abend- oder Nachtstimmung unterstreicht. So interpretiert sie Camus’ «Elend» als «Risse im Himmel zu Lampedusa». Das raue Holz als Hintergrund passe überhaupt zum Meer: «Das Meer repräsentiert das Existenzielle schlechthin», meint die Künstlerin.

Das Material erzählen lassen

Der 2010 gegründete Kunstverein Stühlingen besteht aus rund 30 Mitgliedern, wovon 12 aktive Künstler sind – die meisten von ihnen aus der Schweiz. Und auch wenn sich einige der Mitglieder nur alle zwei, drei Monate zum Austausch treffen, haben sie das gemeinsame Ziel, mindestens einmal jährlich eine Ausstellung zu organisieren. Dieses Jahr ist eine Ausnahme: Zuletzt stellten sogar zehn Künstler im September unter dem Titel «Wenn Dinge erzählen» im Ortsmuseum Beringen aus. Nun werden wieder fünf Kunstschaffende – drei Frauen und zwei Männer – unter dem Titel «(In) Frieden schöpfen» in Kleinandelfingen ausstellen. Auf die Galerie gestossen ist der Verein dank der Schaffhauser Mitglieder. Einer von ihnen ist Hans Russenberger (70) aus Schleitheim, Erster Vorsitzender des Vereins. «Ich lebe nah an der Grenze. Der Kunstverein ist daher naheliegend, wenn man nicht allzu eng denkt», sagt der Bildhauer. Er bearbeitete für die Ausstellung Fragmente, wie er sie nennt, aus Tessiner Cristallina-Marmor und Laser-Marmor aus dem Südtirol. Inspiriert von den Überresten griechischer oder römischer Tempel, belässt er heute – das war nicht immer so – die Bruchflächen des Steins unberührt, schafft lediglich aus einer der Flächen eine geschmeidige «Rückenlandschaft» oder ähnliche Oberflächenstruktur. Ein Bruch sei viel inspirierender, erzähle mehr Geschichten und fordere den Betrachter stärker als ein glatter Schnitt. Die Geschichte dahinter überlässt er dem Betrachter. «Man ist herausgefordert, die eigene Fantasie spielen zu lassen.»

Das Element Holz und der Wald haben es zwei weiteren Ausstellungsteilnehmern angetan. Normalerweise arbeitet der Werklehrer Christian Pflanzl (61) aus Stühlingen auch mit Ton oder Stein. Diesmal hat sich der ehemalige Bäcker, der seine Konditorei 2010 aufgab, um sich zum Werklehrer auszubilden und später als Kunsttherapeut an derselben Klinik wie Edyta Nadolka-Scheib neu durchzustarten, auf Holzskulpturen konzentriert. Die anthroposophische Kunstausbildung am Goetheanum, wo Pflanzl die Plastikschule absolviert hat, schimmert bisweilen durch: Die weichen Formen einer seiner Skulpturen aus Ahorn, die er «Wächter» nennt, erinnern entfernt an weibliche Rundungen, sicher aber an eine hohe Wertschätzung organischer Formen und Materialien. Sie symbolisiere den nach oben strebenden, sich entwickelnden Menschen, der gefestigt durch sein Umfeld und seine Heimat seine Fähigkeiten entwickeln könne. Ein Wächter eben, der aus seiner Stärke heraus durch den inneren Frieden auch für äusseren Frieden sorgt. Eine andere Plastik, «Passage», erinnert an archaische Formen, etwa eine Vase, eine Urne oder eine Osterinsel-Skulptur. Für Pflanzl ist der Baum ein «stiller und standhafter Weggenosse», ein «leiser, zarter Flüsterer».

Frieden im Wald und in Engeln

Ähnlich ergeht es Trudi Schüeli (80) aus Schleitheim. Aufgewachsen auf einem Bauernhof, hielt sie sich immer gern im Wald auf. Ihre Eindrücke von Spaziergängen hält sie jeweils – grob interpretiert – auf ihren Acrylbildern fest. Früher fast fotorealistisch, mittlerweile etwas abstrakter, sind ihre Waldszenarien von hellen, fast Pastelltönen geprägt. «Ich mag einfach keine grellen Farben», sagt Schüeli. Durch die Spaziergänge inspiriert, folge sie beim Malen «einer inneren, wunderschönen Melodie», wie Schüeli in ihrer Kurzbiografie schreibt.

Als fünfte Ausstellerin zeigt Verena Wanner aus Neunkirch ihre kleinformatigen Kreide-, Öl- und Acrylbilder, die allesamt abstrakt und figürlich zugleich in einer Mischtechnik entstanden sind. Schwerpunkt haben bei ihr Figuren, welche Frieden im weitesten Sinne – auch Friedensgefühle – ausdrücken: «Glück», «Verliebt», «Sommerzeit» sind sie betitelt. Und wo Friede ist, da sind bei Verena Wanner auch Engel eine gern verwendete Metapher.

So eigenwillig die Künstler des Kunstkreises ihre Kunst in Farben, Techniken, Materialien und Stilen ausleben, so tolerant ist der Verein – auch bei der Einrichtung einer gemeinsamen Ausstellung in nur einem Raum wie jenem von Margot und Herbert Heinzle in Kleinandelfingen. «Wir kommen uns nicht in die Quere», sagt Edyta Nadols­ka-Scheib, selbst Kassierin des Vereins. «Es zeugt vom Geist einer guten Gruppe, dass sich die Dinge von selbst aufteilen».

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