Wegen eines Zauns als Tierquäler verurteilt

Mark Gasser | 
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An einem solchen mobilen Weidezaun verhedderte sich bei Bauer A. ein Reh – und er wurde angezeigt. Symbolbild: Mark Gasser

Eine Rehkuh verhedderte sich vor zwei Jahren in einem Weidezaun. Das Bezirksgericht Andelfingen verurteilte den Bauern wegen fahrlässiger Tierquälerei.

Der knapp 60-jährige Bauer A. aus dem Bezirk Andelfingen ahnte noch zwei Wochen nach dem Vorfall vor fast genau zwei Jahren nicht, dass er angezeigt worden war: Der Jagdaufseher seiner Gemeinde hatte eine Rehkuh in der Laktation in A.s Weidezaun verheddert vorgefunden. Mit dem mobilen Zaun – einem «Flexinet» – wollte der Bauer seine Himbeeren, mit denen er Schnaps brannte, vor Wildfrass schützen. «Ich habe ihn in der Landi gekauft – als Wildschutznetz», so der Landwirt und Wirt eines Restaurants. So nahm die tierische Tragödie ihren Lauf: Der Revierobmann, von Dritten avisiert, versuchte laut der Anklageschrift «das schwer atmende und laut klagende Tier» erfolglos zu befreien. So tötete er die Rehkuh mit der Schrotflinte. Als fehlbar wertete nicht allein das Veterinäramt in seinem Bericht das Verhalten des Beerenproduzenten: Auch die Staatsanwaltschaft befand ihn der fahrlässigen Tierquälerei für schuldig. Die Netze, die zum Schutz für und nicht gegen Wildtiere gedacht seien, seien zweckentfremdet worden.

«Ich werde gehängt dafür, dass ein anderer ein Reh geschossen hat.»

Beschuldigter A., Am Bezirksgericht

Und dem folgte dann auch der Andelfinger Bezirksrichter Lorenz Schreiber: Er stellte den «Todeszaun», an dem letztlich ein Reh verendete, symbolisch als Trennelement des Konfliktfelds Natur/Tier einerseits und Mensch anderseits dar. Und er setzte das Strafmass auf die geforderte, bedingte Strafe von 10 Tagessätzen à 70 Franken bedingt an, zudem brummte er dem Bauern einen Anteil an den Gerichtskosten von 1600 Franken sowie eine Busse von 300 Franken auf. Etwas irritiert meinte der Richter, dass die Schuldfrage eigentlich mit dem Instrumentarium des Strafrechts gar nicht zu lösen sei. «Das ist, als ob man einen Radwechsel mit einem Schraubenzieher vornehmen wollte.» Die Gesamtkosten von bis zu 25 000 Franken fürs Verfahren hätte man auch sparen können. «Wenn man sich ehrlich um die Natur kümmert, müsste man das Geld in ein Naturschutzprojekt investieren.»

Dennoch: Ganz klar habe hier Fahrlässigkeit gegenüber Natur und Tierwelt den Ausschlag zum Urteil gegeben, es liege eine «geringfügige Verletzung der Sorgfaltspflicht» vor, auch wenn sie jedem hätte passieren können. Die Krux: Der Zaun, den der Landwirt aufgestellt hatte, war nicht verboten. Er habe punktuell seine Himbeerkultur schützen wollen. Gemäss seinem Anwalt lag auch gar kein Tatbestand vor. Überhaupt werde hier der Falsche beschuldigt. Vielmehr wäre der Jagdobmann für seinen tödlichen Schuss aufs Reh zu verfolgen, das er scheinbar unverletzt noch fotografiert hatte – also lag keine beweisbare Notlage oder Verletzung des Tiers vor.

«Ich verliere Vertrauen in die Justiz»

Der Verteidiger von A. liess seinen Emotionen vor allem nach dem Urteil freien Lauf: «Ich verstehe es nicht. Aber ich verstehe, dass die Leute das Vertrauen in die Justiz langsam verlieren. Ich tue das nämlich auch.» Er werde gegen das Urteil Berufung einlegen. «Es wäre nicht an uns gelegen, den Schlussstrich zu ziehen.»

Aber vor allem der Bauer A. war ausser sich: «Ich bin nun als Tierquäler schweizweit registriert und werde auch noch als Vorbestrafter behandelt. Das kann ich nicht akzeptieren. Ich werde gehängt dafür, dass ein anderer ein Reh geschossen hat.» Er forderte vom Richter in der Urteilsbegründung auch eine Lösung, wie er seine Himbeerkulturen schützen könne. Sei es durch Tierschutz oder das Veterinäramt – solche Auflagen und Forderungen auf die Landwirtschaft nähmen so massiv zu, «dass es ein nicht erträgliches Mass annimmt». Dabei gebe es zu seiner Zaunvariante keine Alternative. Der Richter riet ihm, einen festen Zaun – etwa aus Maschendraht – um seine Himbeeren zu erstellen. «Und dann rennt mir ein Reh rein und bricht sich das Genick. Doch dann wäre es halt ein amtlich bewilligter Zaun», meinte der Landwirt wütend.

Wildtiere, nicht Beeren schützen

Das Ganze spielte sich Ende Juli 2016 ab. Erst mehr als zwei Wochen später erfuhr A. am Telefon von einer Polizistin, dass er angezeigt worden sei, weil sich ein Reh in seinem Zaun verheddert und sich nicht mehr habe befreien können. «Und dabei wohnt der Jäger im selben Dorf», meinte der Bauer, der auch Wild in seiner Beiz anbietet – allerdings nicht aus dem lokalen Revier. Einen ersten Strafbefehl wollte er nicht bezahlen. So wurde der Vorfall letztlich zur Gerichtssache. Die Staatsanwaltschaft und nun das Gericht unterstellten dem Bauern, dass er fahrlässig zwischen der Dorfgrenze und dem Waldgebiet, wo Wild auf der Suche nach Nahrung oder auf der Flucht das Gebiet durchquert, eine Verletzung eines Wildtiers in Kauf genommen habe. Er habe auch Sorgfaltspflichten wie die tägliche Kontrolle vernachlässigt, so der Verdacht. Alternativ hätte er mit einem elektrisch geladenen Zaun die Wildtiere vor dem Verfangen schützen können. Bauer A. hatte detailreich erklärt, dass mobile, flexible Weidezäune effizienter seien als elektrisch geladene («Litzen»-)Zäune: «Ich kann nichts schützen mit einer Litze.»

Den Richter interessierte auch ein Vorfall, der über ein Jahrzehnt zurückliegt. Schon da habe sich einmal ein Rehbock verheddert. Und auch da sei es danach ohne sein Wissen von einem Jäger von seinen Qualen befreit worden. Aber damals sei nichts geschehen, erklärte A. Seit zwei Jahren, seit er angezeigt worden sei, verwende er nun kein einziges Weidenetz mehr, und einige Bauern im Dorf täten es ihm gleich. Die Maisfelder anderer Bauern seien entsprechend verwüstet durch Wildschweine. Bei anderen Kulturen sei er Wildfrass gewohnt und er störe ihn wenig, versicherte A. «Durch den ständigen Wildfrass bleiben aber meine Himbeeren nun 20 Zentimeter hoch. Und ich muss jährlich 20 bis 30 Kilogramm zukaufen.» Das Urteil sei ein faktisches Verbot solcher Zäune: «Da hat jetzt jeder Schiss.»

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