Rätseln um Rechte der Gummibootkapitäne



Solange ein Boot tragbar ist, soll es in Rheinau von Hand statt mit den Bootstransportanlagen über die Kraftwerkswehre befördert werden. Eigentlich müssten auch Böötler bedient werden.
Bootsbesitzer zeigen Verständnis, fordern aber auch Einsicht
Die Übersetzungsanlage sei nicht dafür gemacht, dass Gummibootfahrer auf ihr «rumklettern», findet ein Motorbootsbesitzer aus Kaiserstuhl, der das obere Hilfswehr gerade übersetzt. «Wenn einer bei der Ankunft grade die Kahnrampe hochfährt, wartet man schon einige Minuten.» Aber trotz teilweise regem Verkehr verstehe er, wenn auch mal ein schweres Schlauch- oder Gummiboot übersetzt werde. «Von zwanzig Stück ist vielleicht eines oder zwei darunter, das so schwer ist oder so viel Gepäck hat.» Es sei schwierig, ein für alle verständliches Reglement zu finden. «So gibt es halt nur Schwarz oder Weiss.» Das findet die Autorin des Gummibootführers Iwona Eberle schade. Es sei gerade für (schlauch-)böötelnde Familien mit viel Gepäck eine grosse Erleichterung, übersetzt zu werden.
Etwas später übersetzt eine Gruppe aus dem Weinland beim Hauptwehr. Mit Schlauch- und Gummibootkapitänen haben sie wenig Mitleid: So gälten ja auch strengere Gesetze für Motorbootfahrer. Aber für sie gilt: Leben und leben lassen. Es gebe in der Rheinschleife ja nie so viele Gummibote wie oberhalb des Rheinfalls. «Mit der geringen Strömung kommt man ja kaum vorwärts.» (M. G.)
In der idyllischen Rheinschleife rund um die Halbinsel Rheinau scheint das Leben etwas gemächlicher zu fliessen. So brauchen motorlose Boote hier etwas mehr Geduld, um von einem der insgesamt drei Stauwehre (ein Haupt- und zwei Hilfswehre) des Kraftwerks zum nächsten zu gelangen. Doch gerade die Wehre sorgen schon mal für Gesprächsstoff unter den Boots- und Schiffsbesitzern. Wer hier mit dem Boot die speziellen Transportanlagen benutzen will, muss sich über ein Telefon für die Überfahrt anmelden. Die videoüberwachte Anlage wird danach von der Kraftwerkzen-trale ferngesteuert. Doch warten zuvor noch Schiffe, kann von der Anmeldung bis zur Weiterfahrt statt vier, fünf Minuten schon mal eine gute Viertelstunde verstreichen.
Und weil der Bootsverkehr auf diesem Rheinabschnitt in den letzten Jahren zugenommen hat, ist von den meisten Schlauch- oder Gummibootfahrern Muskelkraft gefragt. Denn unmissverständlich stand da seit geraumer Zeit in den Anschlagkästen der drei Wehre: «Tragbare Kanus, Paddel- und Gummiboote sind von Hand zu transportieren!» «Wir transportieren es immer von Hand», meint ein Kanufahrer schulterzuckend vor Ort, der mit seiner Frau und einem Handwagen sein schwer beladenes Kanu auswassert und übersetzt.
Dienstleistung für alle – oder nicht?
Das sei aber eben nicht immer so, sagt die erfahrene Gummibootfahrerin Iwona Eberle, die auch aus eigener Erfahrung spricht. Die Buchautorin arbeitet derzeit gerade an der Neuauflage ihres «Gummibootführers Schweiz». Bei ihren Recherchen im Jahr 2014 für die Erstauflage habe diese Regelung noch nicht gegolten, sagt Eberle. «Deswegen gab ich auch an, dass Schlauchboote übergesetzt werden. Gleichzeitig empfahl ich, dass Böötler verzichten sollen, wenn motorisierte oder schwerere Boote aufs Übersetzen warten.»
«Wir werden die etwas missverständliche Tonalität des Aushangs respektive der Aufforderung anpassen.»
Antonio Sommavilla, Mediensprecher Axpo
In ihrem aktualisierten «Gummibootführer» 2018 plant sie, die Route um Rheinau mit demselben Hinweis zu versehen. Doch was sagt das Gesetz? Das zuständige Bundesamt für Energie (BFE) bestätigt, dass gemäss geltendem Recht Schiffe aller Art übersetzt werden müssen. Sogar die Axpo, Mitbetreiberin des Kraftwerks Rheinau, erklärt auf Anfrage: «Die Aufforderung, tragbare Kanus, Paddel- und Gummiboote selbständig von Hand zu transportieren, ist ein Appell an die Freiwilligkeit zur Entlastung der Kahntransportanlagen und zur Verringerung der Wartezeiten. Eine rechtliche Dimension gibt es nicht.» Grundsätzlich seien alle Bootstypen gleichberechtigt, das Personal unterstütze prinzipiell alle vor Ort.
Neue Tonalität gegenüber Böötlern
Angesprochen auf die unzweideutige Anweisung, «tragbare» Boote selbst übers Wehr zu tragen, reagierte nun die Axpo: «Wir werden die etwas missverständliche Tonalität des Aushangs beziehungsweise der Aufforderung anpassen», kündigte Axpo-Sprecher Antonio Sommavilla an. Man wolle nicht gewisse Bootstypen priorisieren respektive andere benachteiligen. Die Massnahme sei schlicht eine pragmatische mit der Absicht, eine Entlastung der Kahntransportanlagen und eine Verringerung der Wartezeiten zu erreichen. «In diesem Sinne wurde auch das Gespräch mit den Nutzern gesucht. Denn speziell an Spitzentagen im Sommer sind die Bootsübersetzanlagen im Dauerbetrieb und Entlastungsmassnahmen geschätzt», sagt Sommavilla. Und das Kraftwerk respektive die Axpo wählt nun tatsächlich einen anderen Umgangston: Seit einigen Tagen steht nun höflich über zwei freundlichen Smileys: «Bitte übersetzen Sie Ihre tragbaren Kanus, Paddel- und Gummiboote bei grossem Andrang zur Entlastung der Kahntransporte von Hand.»
«Tragbare Boote» selbst tragen
Das BFE unterstützt das Kraftwerk, indem es ebenfalls auf die Selbsteinschätzung der Bootsfahrer setzt, was als «tragbar» gilt. «Bei kleinen Boote, die selbst übergesetzt werden können, soll das auch selbst gemacht werden», erklärt BFE-Mediensprecher Fabien Lüthi. Leichtfahrzeuge (Kanus, Ruderboote etc.) können demnach mit eigenen Boots-wagen selbst übergesetzt werden. Teilweise stehen Handwagen als Übersetzungshilfe gegen Pfand zur Verfügung. Das sei die bestehende Praxis für alle Anlagen am Hochrhein. Dem widerspricht Eberle: «Bootswagen, wie es sie für Kanus gibt, taugen nicht für den Transport von Gummibooten.»Gemäss der Konzession aus dem Jahr 1944 hat das Kraftwerk beziehungsweise dessen Personal pauschal die Pflicht, «eine Stunde vor Sonnenaufgang bis eine Stunde nach Sonnenuntergang nötigenfalls beim Transport von Schiffen über die Kahnrampen unentgeltlich mitzuwirken». Nur: Damals gab es noch gar keine Gummiboote.