Rheinfalldiebe tricksen Touristen mit Fotos aus

Mark Gasser | 
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Waren 2017 rumänische Kriminaltouristen als Bande am Rheinfall? Die Staatsanwältin sieht viel Professionalität am Werk. Symbolbild Mark Gasser

Die mutmassliche Diebesbande vom Rheinfall bezeichnete sich gestern als naiv und wenig professionell. Dem widersprach die Staatsanwältin.

Die geschilderten Ereignisse am Rheinfall im Juli und August 2017 (SN vom 7. Mai) lesen sich wie ein Drama in drei Akten – eines, von dem das Bezirksgericht Andelfingen nun den Wahrheitsgehalt extrahieren muss. Erster Teil: «Der Reiz des schnellen Geldes.» Zwei Männer und zwei Frauen aus Rumänien sollen Mitte bis Ende Juli zwölfmal den Rheinfall besucht haben. Und hier schrieben die Beschuldigten gestern im Vergleich zu früheren Aussagen das Drehbuch um – vorgeblich wegen Missverständnissen: Sie hätten in dieser Phase nie auch nur versucht, Touristen zu bestehlen. Ausserdem seien nur zwei der Gruppe, ­Ciprian* (34) und seine Schwägerin Mirela* (40), von Konstanz mit der Bahn an den Rheinfall gefahren. Erst im zweiten Teil des Dramas, nennen wir es «Der Wurm im verbotenen Apfel», soll es Ende August an 16 weiteren Besuchen am Rheinfall dann wirklich zu versuchten und vollendeten Diebstählen gekommen sein. Der «Wurm», das waren ­zivile Polizisten, die auf Hinweise der Bestohlenen verdeckt am Rheinfall ermittelten. Wie bekömmlich der Apfel für die mutmassliche Bande wirklich sein wird, zeigt sich nun bald im dritten Teil, «dem Urteil».

«Wir sind keine Profis, wir stehlen nur, wenn es viele Leute hat, um nicht erwischt zu werden.»

Ciprian*, Beschuldigter

Viele Elemente der Geschichte schienen der Staatsanwältin konstruiert. So etwa das plötzliche Beharren von Ciprian, dem Ehemann der ebenfalls beschuldigten Mimi* (35), und von Mirela, dass sie im Juli keine günstigen Situationen zum Stehlen vorgefunden hätten. Kaum umstritten war indes die Schilderung von Mirela, dass sie selbst dank Internetsuche nach Tourismusorten und einem Besuch vor Ort auf die Idee gekommen sei, Rheinfallgäste zu bestehlen. Bei diesen ersten zwölf Zugfahrten im Juli an den Rheinfall mit Ciprian (34) – die ihr allesamt über die Ortung ihres Handys später nachgewiesen werden konnten – hätten sie mit zwei anderen Bekannten aus Rumänien losen Kontakt gehabt, nicht aber zusammen gearbeitet. Mal seien sie schwarzgefahren, mal mit SBB-Bahnticket.

Schwarzarbeit in Konstanz

In Konstanz, wo sie je nach Version bei einer Tante der beiden Frauen oder in einer Pension wohnten, habe sie kurz in einem Altersheim und in einem Kebabstand gearbeitet, so Mirela. «Ich konnte aber nicht weitermachen, weil das Schwarzarbeit war.» Ciprian gab an, bis im Juli in Kon­stanz Autoscheiben an Ampeln geputzt zu haben, um sich über Wasser zu halten.

Diese zwölfmalige «Nullnummer» mit dem Risiko, eine Busse fürs Schwarzfahren zu kassieren, klinge sehr unglaubwürdig. Ebenso das Argument, dass sie zu zweit auf so vielen Reisen nicht einmal versucht hätten zu klauen, meinte Gerichtspräsident Lorenz Schreiber. Darauf Ciprian: «Wir sind keine professionellen Diebe, wir stehlen nur, wenn es viele Leute hat, um nicht erwischt zu werden.» Gerade zu Beginn der Sommerferien habe es «ziemlich viele Rheinfallbesucher», hielt dem Schreiber entgegen. «Wir sind Diebe, die in einer ­U-Bahn und an solchen Orten stehlen», so Mirela. Sie seien an der Bahnstation Schloss Laufen ausgestiegen und seien den Touristen gefolgt. Morgens hätten sie ein Sandwich gegessen, eine Zigarette geraucht oder ein Handyvideo gemacht, «um es auf Facebook zu stellen», sagte Mirela. Sie habe nicht weiter überlegt, dass das den Ermittlern in die Hände spielen könnte.

Auf die Frage, ob sie es auch auf der anderen Rheinfallseite versucht hätten, meinte Ciprian vage: «Es schien uns schöner auf dieser Rheinfallseite. Aber wir hatten schon ein anderes Ziel.» Mirela gab an, mit dem Geld ihren kranken Sohn unterstützen zu wollen. Ciprian wollte per Mitfahrgelegenheit von Konstanz mit Geld nach Bukarest zurückkehren. Papiere und Ausweise hätten sie nicht angerührt oder so hinterlassen, «dass man sie wiederfindet».

Fotos und Gedränge als Masche

Konkreter wurden dann die Schilderungen zu den 16 Tagesreisen im August zu viert mit einer Ausbeute von über 2200 Franken in unterschiedlichen Währungen. Diesmal waren sie mit einem Auto unterwegs, das Ciprian vorgeblich in Rumänien für 1000 Euro gekauft hatte, fahrbereit mit britischem Nummernschild und Papieren. «Von einem Freund», sagte er. Aus Geldnot hätten sie sich geeinigt, zu viert im August wieder zum Rheinfall zu fahren. Auch der 37-jährige Adonis* sowie Mirelas Schwester und Ciprians Frau Mimi waren diesmal dabei. Ihre Masche, die Touristen abzulenken, sie etwa zu bitten, ein Foto zu machen, während jemand das Geld stiehlt und die übrigen Schmiere stehen, sei «zwei-, dreimal erfolgreich gewesen». So habe nur wenig Geld resultiert, «vielleicht 600, 700 Franken pro Person», sagte Ciprian. Gegen Ende des Verhandlungstages wurde eine andere Version populärer: Nur rund 450 Franken seien es da pro Person gewesen.

Unter Tränen sagte die jüngere Schwester Mimi, die Dolmetscherin habe ihr bei der Polizeibefragung im Oktober versichert, wenn sie ihre kleine Tochter, die ein Augenleiden habe, in maximal drei Monaten wiedersehen wolle, solle sie ihren Anweisungen folgen und die Taten alle anerkennen. «Du sollst nur so tun, als ob du sprechen würdest», habe sie ihr geraten. Dabei habe sie keine kriminelle Erfahrung und sei nur Schmiere gestanden. Das zweifelte später die Staatsanwältin an – es handle sich um eine anerkannte Gerichtsdolmetscherin. Mit ihrer älteren Schwester Timea* (44), die Ende August aus Italien nur zu Besuch nach Konstanz gefahren sei, hätten sie dasselbe gemacht. «Sie musste ins Gefängnis, war aber unschuldig.»

Obwohl die vier Befragten immer wieder frühere Aussagen zurechtrückten, schienen sie sich einig zu sein, dass vor allem ­Mirela fürs Klauen zuständig war. Wie viele fehlgeschlagene Versuche dabei waren, wüssten sie nicht mehr. «Es sind acht Monate vergangen, und ich nehme unzählige Pillen», so Mirela. Während sich die anderen drei in knappen Worten für ihr Verhalten entschuldigten, meinte die 40-jährige Mutter gegen Ende der gestrigen Befragung: «Wenn ich gewusst hätte, wie lange mein Kind in Rumänien ohne mich bleiben muss, hätte ich mich lieber prostituiert.»

«Absprachen und Widersprüche»

Die Staatsanwältin erhöhte nach dem Gehörten ihre Strafanträge: «Die Aussagen ändern sich ständig, die Beschuldigten sprechen sich untereinander ab und widersprechen sich innerhalb von zehn Minuten.» Am Verfahrenstag sei von neuen Vorfällen berichtet worden, anderes bestritten. Die Beschuldigten seien nicht nur beim Stehlen Profis, sondern auch im Umgang mit der Justiz. Sie fielen einander ins Wort, machten Zeichen. Alle seien überdies mehrfach vorbestraft. Sie beantragte so beispielsweise für Mirela statt 22 deren 25 Monate. Auch fordert sie, eine bedingt ausgesprochene Geldstrafe im Kanton Genf 2013 von 2700 Franken nun zu vollstrecken.

Als straferhöhend wertete sie auch die missachteten Einreiseverbote in den Kanton Zürich bei allen vieren. Darauf angesprochen, meinte einer: «Ich habe nicht gewusst, was ein Kanton ist.» Der Tenor: Sie hätten die Verfügungen – trotz Übersetzungen und einer Landkarte als Orientierungshilfe – nicht verstanden. «Ich dachte, es gehe um die Stadt Zürich», so Mimi. Für alle beantragte die Staatsanwältin eine Landesverweisung von zehn Jahren. Nächsten Montag werden die Pflichtverteidiger ihre Plädoyers halten. Das Drama dürfte auch da einige unerwartete Wendungen erfahren.

* Name von der Redaktion geändert.

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