«Die Anti-USA-Plakate wurden weniger»

Sidonia Küpfer | 
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Nordkorea ist dieser Tage in aller Munde. Nicht allzu viele Menschen haben je einen Fuss ins Land gesetzt. Walter Leu aus Unterstammheim war sogar schon mehrfach dort.

Nordkorea ist die grosse Blackbox des 21. Jahrhunderts. Wissensgesellschaft hin oder her: Wie das Leben unter Diktator Kim Jong-un ist, weiss kaum jemand. Und in einer Zeit, in der praktisch jedes Fleckchen Erde schon x-fach betreten wurde, ist Nordkorea eine Rarität geblieben: Vergleichsweise wenige Menschen haben überhaupt je einen Fuss in das abgeschottete Land gesetzt. Walter Leu aus Unterstammheim war hingegen schon mehrfach in Nordkorea. Und er hatte einen etwas tieferen Einblick, als ihn die straff organisierten Touristenreisen üblicherweise ermöglichen. Dennoch würde auch Leu nie von sich behaupten, er habe Nordkorea vollständig durchschaut.

Das erstes Mal reiste Leu 1965 nach Korea. Ein Jahr lang war er Verbindungsoffizier im Rahmen der neutralen Überwachungskommission in Panmunjom – dort, wo es am letzten Freitag zum historischen Treffen zwischen Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un und dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in kam. «Damals konnten wir die Grenze noch überqueren», erinnert sich Leu. Einmal pro Woche habe er der chinesischen Militärdelegation auf der Nordseite einen Besuch abgestattet, einmal der nordkoreanischen. Die Chinesen hatten im Koreakrieg interveniert, als Amerikaner, Alliierte und Südkoreaner Richtung chinesische Grenze vorstiessen. «Der Kontakt mit den chinesischen Offizieren war unkompliziert und freundschaftlich. Die Besuche bei der nordkoreanischen Waffenstillstandskommission hingegen verliefen steif. Im besten Fall kam es zum Austausch von Zigaretten.»

Heute ist Südkorea hochtechnologisiert und gehört zu den reichsten Ländern der Welt, Nordkorea ist ein Armenhaus. Das war 1965 noch anders. Damals war auch Südkorea mausarm: «Südkorea war damals ärmer als jedes afrikanische Land. Auf den Strassen sah man kein einziges Auto. Die Bauern kamen jeden Morgen schwer beladen mit ihren Erzeugnissen zu Fuss nach Seoul. Ich sah Pflüge, die nicht von Ochsen, sondern von Frauen und Kindern gezogen wurden. Aber der Wille und der Fleiss der Menschen waren offensichtlich.» Deshalb erstaunt Leu die spätere Entwicklung bis hin zum Technologiestandort nicht.

Parlamentarier als Türöffner

Doch es blieb nicht bei diesen Erfahrungen aus den Sechzigerjahren. Für Leu war dieses Jahr als Verbindungsoffizier ein Türöffner zu Südostasien. Er bereiste viele dieser Staaten, zum Teil auch als Reiseleiter für Kuoni, um sein Studium zu finanzieren. Rund 20-mal führten ihn seine Reisen nach Südkorea. Aber er kehrte auch dreimal nach Nordkorea zurück: 2008, 2010 und 2012. In diesen Jahren organisierte er als Sekretär der Parlamentarischen Gruppe Schweiz-Korea Studienreisen für Parlamentarier («Sie bezahlten jeden Rappen selbst!»). Eine besondere Reiseform, die einem auch Türen öffnet, die gewöhnlichen Touristen nicht offenstehen, wie Leu sagt. Treffen mit anderen Parlamentariern, aber auch mit höheren Politgrössen gehören dazu. Als Gastgeschenke hatte Leu jederzeit Sprüngli-Pralinés und Ricola dabei. Auch in einem autoritären Land müsse man nicht alles akzeptieren. Man könne für eine solche Reise auch gewisse Forderungen stellen, was man sehen möchte. An gewissen Fixpunkten komme man aber nicht vorbei, wie zum Beispiel dem Mausoleum von Staatsgründer Kim Il-sung, wo dessen einbalsamierte Leichnam aufgebahrt ist. Derzeit steckt der inzwischen 84-jährige Leu in den Planungen für eine vierte Parlamentarierreise in den nächsten Monaten.

«Wenn in einer Wohnung nachts Licht brannte, wusste man, da wohnt ein Parteimitglied.»

Walter Leu, Ehemaliger Sekretär der ­Parlamentarischen Gruppe Schweiz-Nordkorea

Leu freut sich darauf, zu sehen, wie sich das Land zuletzt entwickelt hat. Bei seinen drei Nordkoreareisen sind ihm jedes Mal kleine Verbesserungen aufgefallen: «2008 galt ein totales Fotografierverbot. Am Flughafen wurden alle Handys eingesammelt», erinnert er sich. 2012 seien die Regeln schon lockerer gewesen, und es habe sich abgezeichnet, dass man die Kommunikation nicht vollständig abklemmen könne. Vier Jahre zuvor sei es in Pjöngjang nachts stockdunkel gewesen. «Wenn in einer Wohnung Licht brannte, so wusste man, dass dort ein Parteimitglied wohnte. Nur sie hatten abends Strom», erzählt Leu. Bei den folgenden Besuchen habe er immer etwas mehr Licht sehen können. Ein anderes Beispiel sind die riesengrossen Propagandaplakate, die koreanische Soldaten zeigten, die US-Raketen mit der blossen Hand zerdrückten. «Die Anti-USA-Plakate wurden weniger», stellt Leu fest.

Warten auf einige der wenigen Lkw

Dass Nordkorea, obwohl an Naturschätzen reicher als der Süden, so zurückgeblieben ist in seiner Entwicklung, hängt für Leu stark mit der im Norden verfolgten ­Juche-Politik zusammen – deren höchstes Ziel Autarkie ist. «Diese Unabhängigkeit ist in Nordkorea eine Obsession», sagt Leu. Die Juche-Ideologie stellt die Unabhängigkeit und die militärische Stärke des Landes ins Zentrum, und sie steht auch in engem Zusammenhang mit dem Personenkult um die Kim-Dynastie.

Die Armut war bei seiner letzten Reise vor allem auf dem Land gut sichtbar. Beim Besuch einer Kolchose habe sich gezeigt, dass in der Landwirtschaft noch immer alles Handarbeit sei. Der Mais werde wie in den Sechzigerjahren auf die Strasse gelegt, in der Hoffnung, dass irgendwann einer der wenigen Lkw darüberfährt und den Mais so drescht. In der Stadt habe es hingegen Anzeichen für eine Besserung gegeben.

Bei seinen Reisen sei Leu eines aufgefallen: das obsessive Verlangen nach Anerkennung, das Nordkorea auszeichne. Ganz besonders durch die USA. Wenn Amerika ohne Südkorea oder andere Player mit Nordkorea diskutiere, so gebe es eine Chance auf Entspannung. Klar wirke die nordkoreanische Politik erratisch, aber sie sei nicht irrational. Und zu einer Beruhigung auf der Koreanischen Halbinsel gebe es keine Alternative: «Würde hier ein Konflikt ausbrechen, wäre es sofort ein Weltkonflikt», sagt Leu mit Hinweis auf China, das seine Interessen an Nordkorea keinesfalls aufgeben werde.

Dennoch: Auch angesichts des jüngsten Tauwetters zwischen Süden und Norden hält Leu eine rasche Wiedervereinigung für unwahrscheinlich. Dies würde eine Flüchtlingswelle in den Süden auslösen, und gerade die jungen Südkoreaner würden in einem solchen Fall um ihren ­Lebensstandard bangen, sagt er.

 

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