Deutschland nimmt aktiver Stellung zu Endlagerverfahren als die Schweiz

Mark Gasser | 
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In Hohentengen zeichnete sich im Januar 2018 bereits ab, was nun in den Stellungnahmen der Politik zu Etappe 2 des Endlagerverfahrens bestätigt wird: Deutschland fühlt sich stark betroffen und fordert mehr Mitsprache. Bild: Selwyn Hoffmann

Aus Deutschland kamen fast doppelt so viele Stellungnahmen zur Etappe 2 des Endlagerverfahrens als aus der Schweiz.

Am 9. März ist die Frist abgelaufen, innerhalb derer sich Politik, Privatpersonen und Organisationen zur gesamten Etappe 2 der Endlagersuche äussern konnten. Obwohl jeder seine Antwort zuhanden des verfahrensführenden Bundesamts für Energie (BFE) selber verfassen konnte, zirkulierten im Internet zahlreiche Vorschläge von Organisationen und politischen Gremien, die sich mit der Thematik beschäftigen. Darunter die Regionalkonferenz Zürich Nordost, welche keine eigene Stellungnahme einreichte, aber eine 27-seitige Vorlage erarbeitet hatte; auch der Gemeindepräsidentenverband des Bezirks Andelfingen (GPA) hatte zuhanden der Gemeindeexekutiven eine Vorlage entwickelt. Und natürlich hatten sich auch mehrere deutsche Landkreise und Gemeinden zum aktuellen Stand des Verfahrens geäussert.

Ein erster Überblick über die eingegangenen Stellungnahmen zeigt: Die deutsche Nachbarschaft ist kritischer gegenüber dem Endlagerverfahren. Die vorläufigen Zahlen zeigen einen klaren Trend: Bis und mit Samstag, 10. März, sind beim BFE rund 700 Sammel- und Einzelstellungnahmen aus Deutschland eingegangen, die nicht einer Organisation zugeordnet werden können. Aus der Schweiz wurden nur rund 300 solcher «privater» Stellungnahmen gezählt.

Dafür waren in der Schweiz Politik, Institutionen und Organisationen fleissiger: 18 Kantone, 71 Gemeinden, 36 Organisationen, 9 Planungsverbände und 29 Parteien äusserten sich zum Sachplanverfahren. Aus Deutschland wurden 19 Gemeinden, 9 Organisationen, 7 Parteien und 4 Landkreise gezählt. So hat beispielsweise die «Deutsche Koordinationsstelle Schweizer Tiefenlager» eine gemeinsame Stellungnahme der vier Landkreise Waldshut, Konstanz, Schwarzwald-Baar und Lörrach verschickt. Insbesondere Bedenken zum Grundwasserschutz bei der Platzierung der Oberflächenanlagen (OFA) und mangelnde Abbildung der Betroffenheit deutscher Seite in den Gremien der Regionalkonferenz und dem «inneren Kreis» der Infrastrukturgemeinden werden da vorgebracht. Die Landkreise fordern abermals, dass die Gemeinden Jestetten und Lottstetten in der Standortregion «Zürich Nordost» und Hohentengen in der Region «Nördlich Lägern» als Betroffene in den Kreis der «Infrastrukturgemeinden» aufgenommen werden oder diesen zumindest gleichzustellen sind «mit allen Rechten und Pflichten». Auch kommt die empfundene Untervertretung der deutschen Landkreise mit 12 Sitzen in der 111 Personen zählenden Regionalkonferenz Zürich Nordost zu Wort. Als Vorschlag für einen «Schweizer Kompromiss» nennen die Landkreise 15 Sitze für Deutschland. Ausserdem fordern sie, dass bei den Abgeltungsverhandlungen im Verlauf von Etappe 3 auch nicht nur ein deutscher Gemeindevertreter, sondern auch die Landkreise in der Verhandlungskommission der Kantone einen Einsitz erhalten.

Wo verläuft Grenze der Betroffenheit?

Ob sich auch die Stellungnahmen aus nichtpolitischen Kreisen um die Mitsprache im Verfahren und in der Regionalkonferenz drehen, muss Spekulation bleiben. Auf höherer politischer Ebene haben die Gemeinden und Landkreise jedenfalls ein Sprachrohr in Person der SPD-Bundestagsabgeordneten Rita Schwarzelühr-Sutter. In den Regionalkonferenzen seien bislang systematisch «die Standorte für OFA gewählt worden, die am nächsten zu Deutschland und weniger nah zur eigenen Schweizer Gemeinde liegen», schreibt die atomkritische Abgeordnete des Wahlkreises Waldshut in einer Mitteilung vom 8. März. «Um solche Manöver in Zukunft zu verhindern, müssen die Stimmengewichte künftig auch die tatsächliche Betroffenheit abbilden.»

Gerade der Begriff der «Betroffenheit» beschäftigt insbesondere deutsche Politiker. «Neben aktuellen Mitwirkungsrechten könnte von dieser Definition in Zukunft auch die Höhe möglicher Entschädigungsleistungen abhängig gemacht werden», rechtfertigt Schwarzelühr-Sutter ihren Fokus. Einen eigenen Ansatz zur Definition haben die vier Landkreise, welche das Wort «Betroffenheit» oder «betroffen» allein in der Stellungnahme 25-mal erwähnen: So werde in Deutschland im Gegensatz zur Schweiz die Betroffenheit und damit die Frage der Beteiligung grossräumig auf Ebene der Landkreise betrachtet. Und nachdem es keine wissenschaftlichen Kriterien zur Abgrenzung einer durch ein Tiefenlager betroffenen Region gebe, müsse der Grundsatz gelten: «Wer sich betroffen fühlt, der ist auch betroffen.» Auch im Hinblick auf die späteren Abgeltungsverhandlungen fordert daher etwa das Land Baden-Württemberg einen «30-Kilometer-Betroffenheitsradius» um ein potenzielles Standortgebiet.

Sicherheitsaspekte im Vordergrund

Anders gelagert und stärker auf die abgelaufene Etappe fokussiert ist der Vorschlag der Leitungsgruppe der Regionalkonferenz Zürich Nordost zuhanden der Gemeinden: Hier stehen sicherheitstechnische Aspekte wie die vertiefte Untersuchung einer Brenn- element-Verpackungsanlage bei der OFA im Vordergrund. Nochmals einen anderen Schwerpunkt wählte die Regionalplanung Winterthur und Umgebung (RWU): Für sie ist die Durchfahrt der atomaren Abfälle durch Winterthur tabu.

Knapp zwei Drittel der Stellungnahmen aus Deutschland

Insgesamt haben total rund 1200 Privatpersonen, Politiker, Organisationen und Gemeinden zum bisherigen Prozess bei der Endlagersuche Stellung genommen, wie das BfE auf Anfrage aufzählt. Davon sind 740, also rund 62 Prozent, aus Deutschland. Die Zahlen fassen allerdings nur die eingegangene Post per 10. März zusammen und können sich in den nächsten Tagen noch verändern, teilt das BfE mit. Grundsätzlich konnte jeder nach dem Baukastenprinzip seine Antwort zusammenstellen oder die Antworten auf die vom BfE vorgeschlagenen Fragestellungen zu Etappe 2 selbst formulieren.

«Das kommt doch ins Altpapier», meinte an der jüngsten Vollversammlung der Regionalkonferenz Zürich Nordost am 17. Februar ein Mitglied zynisch. Stefan Jordi vom BfE erklärte, was danach mit den Vernehmlassungsantworten geschehen wird. «Wir werden die Antworten Ende März auswerten und sehen dort auch ungefähr die Stimmung unter den Gemeinden, Kantonen, Organisationen und Privatpersonen und wo sie einigermassen einverstanden sind oder wo es Konflikte gibt.» Danach gebe es die Möglichkeit einer Bereinigungsrunde – diese könnten aber nur die Kantone verlangen.

«Wertungsfreie Zusammenfassung»

Jede Stellungnahme werde gelesen. Dabei würden Inhalte nicht nach Häufigkeit berücksichtigt, versichert das BfE sinngemäss. «Klar ist, dass bei der Auswertung der Stellungnahmen deren Inhalte im Vordergrund stehen», erklärt BfE-Sprecherin Marianne Zünd auf Anfrage. Diese wiederum flössen in den Ergebnisbericht zur Vernehmlassung ein, welcher Würdigungen aller inhaltlichen Anliegen enthalte und die eingereichten Stellungnahmen inhaltlich «wertungsfrei zusammenfassen» werde. Der Bericht dient dann dem Bundesrat als Entscheidungsgrundlage und werde voraussichtlich Ende 2018 nach dem Bundesratsentscheid zu Etappe 2 veröffentlicht. «So, dass alle Vernehmlassungsteilnehmenden nachvollziehen können, was mit ihren Anliegen geschehen ist», ergänzt Zünd.

Trotz dieser Vorbereitungsarbeiten ist der Bundesrat danach frei in seiner Entscheidung, welche Standorte im laufenden Verfahren weiter verfolgt werden sollen.

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