Das Inselfestival ist in die Höhe gewachsen

Mark Gasser | 
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Die Überquerung des Rheins auf einem Hochseil war der spektakuläre Abschluss eines von Kleinkunst geprägten Wochenendes in Rheinau.

Seiltänzer David Dimitri sprach gestern Sonntagabend zwar von einer «relativ einfachen Strecke» zwischen dem Dachfenster des ehemaligen Gasthauses auf dem Festland und dem Turm der Klosterkirche. Doch er wusste: Damit er zum Abschluss des dreitägigen Inselfestivals die 115 Meter lange Strecke ohne Schwankungen des Seils zurücklegen konnte, musste die Straffung desselben perfekt sein: «Es bewegte sich überhaupt nicht», meinte Dimitri lobend an die Adresse der Festival-Verantwortlichen unter OK-Chef Peter Affentranger. Etwa 500 Leute verharrten rund ums Klosterareal, um Dimitri staunend über ihren Köpfen zuzusehen, wie er Meter um Meter zurücklegte.

Angesprochen auf die gescheiterten Versuche von Freddy Nock, den Rheinfall auf einem Stahlseil zu überqueren, winkte David Dimitri ab: Er suche nicht den Nervenkitzel, die Gefahr wolle er nicht herausfordern. «Es muss ein schöner ‹Lauf› sein. Dieser hier ist genial: Den würde ich nochmals gehen.» Auch wenn er zwischendurch wegen der schweren Balancestange in der prallen Sonne 18 Meter über dem Boden ausruhen musste, genoss er den «Spaziergang» auf dem 16-Millimeter-Stahlseil und die Kulisse in Rheinau mit der Klosterkirche ausserordentlich. Und dann musste der Artist bereits wieder los an den Flughafen, da er eine Woche lang in Rumänien auftreten wird.

Dimitris Hochseilakt war der krönende Abschluss des dritten Inselfestivals, für das der künstlerische Leiter Simon Gisler über 60 Künstler aus der Schweiz organisiert hatte (siehe Interview). Beteiligt waren auch rund 70 Kinder und Jugendliche aus Rheinau und Jestetten, welche gemeinsam mit Conni Stüssi vom FAHR.WERK.ö! mit viel Eigeninitiative ein Theaterstück ganz im Zeichen des Festivalthemas «Grenzen sprengen» einstudiert hatten.

Zu den bewährten künstlerischen Elementen des Inselfestivals gehörten diesmal wieder sowohl die (ausverkaufte) «Rheinserenade» vom Freitagabend als auch die «poetische Inselreise»: Begleitet von jeweils einer der drei eleganten Inselhüterinnen Josephine, Claire oder Marietta legten die ausgebuchten Boote halbstündlich ab, um die Insel auf verspielte, humorvolle, musikalische und poetische Art zu erkunden: Mit Worten, aber vor allem mit viel Musik und Artistik regte diesmal die «poetische Inselreise» zum Nachdenken an.

Kurze Szenen und viel Freiraum

An einzelnen Stellen der 65-minütigen Tour um die Insel wäre man statt jeweils nur vier bis sechs Minuten gern länger verweilt. «Das war Absicht», erklärte Gisler auf Anfrage. Die vielen akustischen und visuellen Eindrücke und Stimmungswechsel hinterliessen bei den Besuchern viele erste Ein- drücke. «Diese mit noch mehr Informationen zu überladen, könnte eine Überreizung geben.»

Die Baumartisten Jonas und Esther Slanzi aus Winterthur empfingen so die Gäste auf der Insel gleich mit atemberaubender Artistik: Sie hingen buchstäblich in den Seilen hoch oben im Baumwipfel, um sich beim Niedersausen im letzten Moment ebenso spektakulär wie graziös zu fangen. Mal melancholisch, mal folkloristisch, mal klassisch verliehen an mehreren Schauplätzen Musiker der Wanderung ihre ganz eigene Dramaturgie. Diese endete letztlich im Kreuzgang, in dessen Mitte ein mit Baldachinen ausgesteckter «Irrweg der Tausend Seelen» entlangführte, wo Katharina Schick unter der mächtigen Eiche in feenhaftem Gewand ein Bratsche-Barockstück spielte. Zuvor spielte zwischen an Fäden fixierten Schuhen, welche die verlorenen Seelen symbolisierten, am Akkordeon Christoph Ganter ein Lied «für die Ver-Rückten und die «seitlich Umgeknickten». Zweifellos hatte der ehemalige Tobsuchtstrakt der Psychiatrie auf der Klosterinsel den künstlerischen Leiter Simon Gisler inspiriert. Etwas leichtfüssiger interpretierte Kabarettist Stefan Heuss einen «verrückten» Erfinder – in Anspielung auf den Rheinauer Patienten Heinrich B., der ab 1914 seine «Erfindungen» auf Karton dokumentierte.

Es gab Momente auf der Inselreise, da schien die Welt auf den mit Landart bestückten Pfaden in der Tat für einen Augenblick stillzustehen: Ob jeder die Anstösse, auch in sich selbst zu «reisen», nutzte, sei dahingestellt. Spätestens bei der Rückkehr auf den Klosterplatz jedoch liessen Artisten sowie Strassenmusiker und natürlich Seiltänzer Dimitri wieder Zirkusstimmung aufkommen.

 

Simon Gisler war bereits zum dritten Mal für die künstlerische Leitung des Inselfestivals zuständig.

Wie fällt Ihre Bilanz der diesjährigen Ausgabe des Inselfestivals aus?

Simon Gisler: Für den heutigen Sonntag bin ich sehr zufrieden: Die Boote waren bei der «poetischen Inselreise» praktisch voll. Am Freitag war die «Rheinserenade» ausverkauft. Am Samstag war es unterschiedlich. Aber gefühlt hatten wir wohl wieder zwischen 3500 und 4000 Gäste.

Waren auch die Konzerte – allen voran das Konzert der Winterthurer Band Sebass am Samstagabend – gut aus- gelastet?

Beim Sebass-Konzert hatten wir rund 250 Gäste. Das kleine Brunchkonzert «Echo vom Lochergut» besuchten rund 120 Leute. Etwas enttäuschend war die Zuschauerzahl der Balkan-Band Blehmuzik auf der Insel mit rund 100 Besuchern – da war es sehr heiss.

Nach der «künstlerischen Eroberung» der lange leer stehenden Insel 2011 mit dem ersten Inselfestival und der «Ent-deckung» mit dem zweiten Festival 2013 ist nun die Trilogie mit «Grenzen sprengen» 2017 vorbei. Gibt es ein viertes Inselfestival?

Das ist noch alles offen und steht noch nicht im Raum. Die Trilogie ist nun abgeschlossen. Aber in den nächsten zwei, drei Monaten wollen wir entscheiden, wie es weitergeht.

Interview von Mark Gasser

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