«Das hat nichts mit Emanzipation zu tun»

Biersommelière Nyree Nijboer aus Adlikon eröffnet Bierliebhabern neue Geschmackswelten. Und räumt mit alten Vorurteilen auf.
Je nördlicher man geht, desto mehr Bier wird getrunken, verrät die Statistik. Doch es zeigt sich auch in hiesigen Gefilden eine erfreuliche Entwicklung – das ist kein Stammtischmythos. Zwar wird auch am heutigen «Tag des Schweizer Bieres» wieder hier und da über den rückläufigen Bierkonsum lamentiert werden. Einerseits hat sich der Bierkonsum in den letzten zehn Jahren mehr oder weniger stabilisiert. Anderseits wirkte sich die zunehmende Zahl der Bierbrauer positiv auf die Vielfalt auf dem Schweizer Biermarkt aus.
Das weiss aus eigener Erfahrung eine Bierkennerin aus den Niederlanden: Nyree Nijboer, die in Adlikon lebt, ist diplomierte Biersommelière. Sie hat schon in frühen Jugendjahren den herben Gerstensaft kennen- und schätzen gelernt. Wenn sie im Ausland weilt, probiert sie dort immer auch die lokalen Biersorten aus. «Mann muss unbekannte Biere probieren, da sind immer neue und spannende Entdeckungen dabei. Und man kommt so in Kontakt mit den Leuten.» Etwa im Mai, wenn sie in Belgien die «Tour de Geuze» absolviert und dort die Sauerbiere probiert.
Nijboer pflegt das gesittete Degustieren heute beruflich – ausgerechnet im Herzen des Zürcher Weinlands. «Manchmal habe ich mit Vorurteilen zu kämpfen, aber nicht oft», so Nijboer. Ein solches Vorurteil gefällig? Dass das Biertrinken und -degustieren eine Männerdomäne ist, weil Bier bitter ist, zum Beispiel. «Frauen sind experimentierfreudiger als Männer. Und Frauen, die Bier probieren, wollen kein Süssgetränk. Sie mögen ausdrucksvolle Biere und finden Gefallen an der grossen geschmacklichen Vielfalt», stellt sie klar. Irgendwann liessen ihre Beobachtungen die Erkenntnis folgen: «Bier für Frauen wird schlecht vermarktet.» Das beginne schon bei der haptischen Wahrnehmung der Glasform, der Humpen, die oft sehr «unweiblich» daherkomme. «Dass Frauen langsam Bier entdecken, hat nichts mit der Emanzipation zu tun. Es wurde teilweise einfach vergessen, dass hauptsächlich Frauen früher im Mittelalter Bier brauten und auch gern Bier tranken. Auch die Werbeindustrie hat solche Tatsachen verschlafen», sagt Nijboer. Biertrinken sei mit Emotionen verbunden, doch die Bierwerbung sei eben auf Männer ausgerichtet. Wenn es also eine Gruppe gäbe, die noch zulegen könnte, so wären es wohl die Frauen, glaubt sie. Schliesslich sei auch der Bierbauch ein Mythos. «Bier selber macht nicht dick. Aber vom Alkohol kommt auch der Appetit.»
Die Biografie eines Bieres
Nyree Nijboer schätzt nicht nur selber ein gutes Bier, sondern vermittelt auch gerne ihr Wissen in Degustationsrunden oder -seminaren. Seit 2015 ist sie diplomierte Biersommelière mit Abschluss von Gastrosuisse und der Fachakademie für Brauwesen und Getränketechnik Doemens in München.
Da in der Gastronomie die Vielfalt der Biere zu wenig Beachtung finde und man «zu sehr auf die Auswahl von Weinen konzentriert» sei, machte es sich Nijboer zum Ziel, den Bierliebhabern die Aromenvielfalt und die Bierstile in Kombination mit verschiedenen Gerichten näherzubringen. Ein Beispiel: «Bier harmoniert überraschend gut mit Käse. Die Frische des Bieres, seine Kohlensäure und die komplexen Geschmacksnoten machen es zum perfekten Begleiter für einen Käseteller», findet Nijboer. Dasselbe gelte bei der Pizza: Da die Tomate eine gewisse Säure aufweist, passt für Nijboer weniger ein säurehaltiger Wein dazu, sondern eher ein helles Bier. «Bier passt zu ganz vielen Gerichten. Es gibt keine Faustregel. Alles ist möglich und erlaubt. Man muss es einfach selber ausprobieren.» Das Vermitteln eines Bierstils, sozusagen die Biografie eines Bieres, hat sehr viel mit Begeisterung zu tun. «Ich versuche meine Degustationen möglichst lebendig und lustvoll zu gestalten», so Nijboer. Ihr neues Geschäftsfeld als eigenständige Biersommelière, das sie sich neben ihrem Hauptberuf in der Zürcher Gastronomie aufbauen will, ist genauso mit Spass wie mit Arbeit verbunden. Auch privat durfte Nyree Nijboer ihre Begeisterung fürs Degustieren neuer Biersorten mit ihrem Freundeskreis teilen. So kam sie auch auf den Geschmack, Biersommelière zu werden.
Zur Person: Aus einem wurden 20 Jahre
Nyree Nijboer (45) Aufgewachsen in den Niederlanden, verschlug es sie nach dem Abschluss der Hotelfachschule in die gehobene Gastronomie und Hotellerie der Schweiz, wo sie zunächst in Winterthur und später drei Jahre im Engadin in einem Hotelbetrieb tätig war. Eigentlich hatte sie vor, lediglich ein Jahr zu bleiben, «inzwischen wurden daraus über 20», lacht Nijboer. Sie lebt mit ihrem Mann und den 15-jährigen Zwillingen im Weinland. Sie kocht gerne, segelt, wandert und liest.
Bier und BerufDas Angebot ihrer Degustationen reicht vom Event für eine Geburtstagsfeier zum Hochzeitsapéro, vom Firmenanlass über die Weihnachtsfeier bis zum Personalfest. Hauptberuflich ist Nyree Nijboer seit rund zehn Jahren im Dunkelrestaurant blindekuh in Zürich tätig, zuerst an der Rezeption, seit 2009 in der Geschäftsleitung. Seit einem Jahr bietet sie, auf Anfrage, Bierdegustationen im Dunkeln an. «In der Dunkelheit wirken die Biere oft kraftvoller und intensiver; eine spannende Möglichkeit, Bier anders zu erfahren.»