Die grosse Flut an Einsprachen blieb aus








Die Flut an Einsprachen gegen die Sondierbohrungen der Nagra im Gebiet Zürich Nordost blieb aus. Auch deshalb, weil hier nicht, wie am Bözberg im Aargau, 99 Prozent Mustereinsprachen waren.
Das 60-tägige Zeitfenster für die Einsprachen gegen die geplanten acht Bohrstandorte für Sondierbohrungen im Gebiet Zürich Nordost ist gestern abgelaufen. Total 82 Einsprachen gegen die Gesuche der Nagra zählte das Bundesamt für Energie (BfE). Das ist zwar bemerkenswert: Noch vergangene Woche waren es laut «NZZ am Sonntag» nur deren 12. Dennoch sind auch 82 wenig. Denn bei den acht Gesuchen im Gebiet Bözberg (Jura Ost) gingen rund 500 Einsprachen ein. Im Gebiet Nördlich Lägern ist erst 2018 mit Gesuchen zu rechnen. Auch die Sprechstunden in den acht Standortgemeinden im Weinland, bei denen Nagra-Mitarbeiter Auskunft gaben, waren schlecht besucht.
Den Widerstand einfach an der Zahl an Einsprachen festzumachen, greife zu kurz, hält Marianne Zünd, Sprecherin des Bundesamts für Energie, fest: «In Jura Ost waren 99 Prozent Mustereinsprachen. Es gab in der Standortregion Zürich Nordost sehr viel weniger Mustereinsprachen.» Ausserdem ist in den nächsten Tagen mit weiteren Einsprachen zu rechnen, die noch innerhalb der Frist abgeschickt wurden. Aus den fünf betroffenen Standortgemeinden selber gingen auch Einsprachen beim BfE ein – ebenso wie aus den betroffenen Nachbargemeinden Neuhausen, Kleinandelfingen und Schlatt.
Noch nicht eingetroffen ist jene der Gemeinde Dachsen, die laut der Verwaltung eben erst abgeschickt wurde. Der geplante Bohrstandort liegt gleich neben dem Edak-Firmengelände und schräg gegenüber der Abwasserreinigungsanlage. Die Gemeinde zeigt sich besorgt über Aspekte wie Lärm, Abwasser und Wasser. In den anderen sieben Gemeinden im Weinland werden oft deckungsgleiche Anliegen vorgebracht. Ein Konzept zur Verkehrssicherheit angesichts des Transportverkehrs und die Klärung der Frage der Anschlussgebühren wegen der notwendigen Nutzung der Wasserversorgung und zur Abwasserentsorgung sind da zudem vordringlich. «Wir können ja nicht eine Rechnung schicken wie bei Baugesuchen von Privaten», erklärt der Trülliker Gemeindepräsident Thomas Gmür auf Anfrage. Weiter verlangen die meisten Gemeinden, für ihre Umtriebe rund um Planung und Begleitung der Baustellen angemessen vergütet zu werden. «Es kann nicht sein, dass der Bürger über die Steuern am Ende alles zahlen muss», findet Gmür. Allein drei Bohrstandorte peilt die Nagra auf Trülliker Gemeindegebiet an. Da bei dieser nationalen Aufgabe der Bund keine Bedienungsanleitung herausgebe, wie bei solchen Gesuchen vorzugehen sei, habe die Regionalkonferenz Zürich Nordost ein Muster für die Gemeinden erstellt, «damit nicht jede Gemeinde alles juristisch überprüfen lassen muss», so Gmür. Aber jede Gemeinde habe nach ihrem Gusto daran «rumgeflickt».
Die Gemeinden wollen damit in erster Linie den Zug nicht verpassen, um im weiteren Bohrverfahren mitreden zu können. Das will auch der Verein Klar! Schweiz nicht und stellt auf seiner Homepage Mustereinsprachen zur Verfügung. Gemäss den Einsprachen von Klar! sind die Kriterien, wonach der Untergrund beurteilt werden soll, «leider unvollständig» und besser zu definieren. Klar! verlangt mehr Transparenz durch die Definition von Ausschlusskriterien und die Validierung derselben durch unabhängige Gremien sowie eine Schwachstellenanalyse der Standortregion. «Wir haben das Gefühl, die Nagra weiss selber nicht, wie es weitergehen soll», sagt Käthi Furrer, Co-Präsidentin von Klar! Schweiz.
Vom Schulweg zum Schiessstand
Dass weniger Einsprachen in Bern eingegangen seien, sei nicht zwingend ein Indiz dafür, dass der Widerstand im Zürcher Weinland viel kleiner sei als im Bözberg-Gebiet, meint Marianne Zünd vom BfE. Schliesslich sei die Argumentation ausschlaggebend. «Es geht bei der Behandlung ja um die Qualität der Einsprachen, nicht um deren Quantität.» Käthi Furrer wertet immerhin die sprunghafte Zunahme der Einsprachen zuletzt als Zeichen dafür, dass ein erneuter E-Mail-Aufruf gefruchtet zu haben scheint.
Am meisten (22) Besorgte erhoben gegen den Standort Marthalen Einsprache, gefolgt von Wildensbuch bei Trüllikon (17) und Uhwiesen (15): So protestiert etwa die Sekundarschule Kreis Marthalen gegen Ersteren, da er am Schulweg liegt. In Dachsen käme der Bohrplatz der Nagra einem Vogelgehege des Falkners Christoph Küpfer in die Quere. Und der Standort im Rhinauer Feld (Rheinau) liegt fast im Schussfeld der Schiessanlage. Doch hier fand die Nagra einen Konsens mit den Schützen, indem diese Schiesstunnels erhalten sollen, wie es sie bereits in Benken gibt. Die Sondierbohrungen bilden den zweiten Schritt der dritten Etappe nach den 3-D-Seismikmessungen. Gemäss aktuellem Zeitplan wird das Uvek die Bewilligungen Mitte 2018 erteilen. Doch dürften die Einsprachen den Prozess weiter verzögern. Voraussichtlich Ende 2018 beschliesst der Bundesrat als Abschluss der zweiten Etappe, welche Standortgebiete tatsächlich vertieft untersucht werden sollen.