«Endlich muss ich keine Angst mehr haben, dass meine Haare ausfallen» - Finas Kampf gegen den Blutkrebs

Mahara Rösli | 
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Hat gelernt, die kleinen Dinge im Leben zu schätzen: Leukämiepatientin Fina, hier während ihres Aufenthalts zur Behandlung im Kinderspital Zürich. Bild: zVg

Mit Sechseinhalb erkrankte Fina an Leukämie. Es folgte ein langer Kampf gegen den Blutkrebs. Heute geht es der Zwölfjährigen dank einer erfolgreichen Stammzellentransplantation gut. Der Weg zurück in den Alltag war schwierig. Die Fortsetzung einer SN-Reportage von 2021.

Fina, die im wirklichen Leben anders heisst, hat ihre Haare zu einem kurzen Zopf geflochten. Eine Strähne fällt der Fünftklässlerin ins Gesicht. Sie ist stolz auf ihre dichte, lockige Haarpracht, liebt es, neue Frisuren auszuprobieren. Denn die Selbstverständlichkeit, Haare auf dem Kopf zu tragen, kannte Fina längere Zeit nicht.

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Potenzielle Blutstammzellenspender können sich bei der Blutspende SRK anmelden und sich registrieren

«Endlich muss ich keine Angst mehr haben, dass meine Haare ausfallen.» Trotz Müdigkeit und Blässe: Fina ist glücklich und voller Tatendrang. Endlich darf sie wieder alles unternehmen: sich mit Freundinnen treffen, einkaufen in der Stadt, Restaurants besuchen und in die Ferien verreisen. Dinge, die für Fina lange nicht selbstverständlich waren.

Jede kleinste Bakterie ist tödlich

Es ist noch nicht lange her, da war Finas Zuhause das Kinderspital Zürich. Eine Stammzellentransplantation war zu jener Zeit ihre einzige Chance, den Blutkrebs zu bekämpfen, an dem sie dreieinhalb Jahre zuvor erkrankt war. Vor der Transplantation wurde die Blutproduktion des Mädchens auf null heruntergefahren. Die Woche vor dem Eingriff wurde sie drei Tage lang am Unispital in Zürich bestrahlt, gefolgt von einer starken Chemotherapie.

Vieles wurde dabei abgetötet, auch normalerweise lebensnotwendige Darmbakterien. «Jede kleinste Bakterie hätte mich töten können», erzählt Fina ruhig. Denn ihr Knochenmark sollte zu diesem Zeitpunkt keine eigenen Blutzellen mehr produzieren. Haare wurden abgeschnitten, Nägel gekürzt, alles gewaschen und desinfiziert – nichts durfte keimanfällig sein. Erst danach konnten neue Stammzellen transplantiert werden.

Im Anschluss blieb die Schülerin für sechs Wochen in einer sterilisierten Isolations-Glaskabine, da Finas Immunsystem sie nicht mehr schützte. Besuch war, unter strengsten Auflagen, nur von den eigenen Eltern erlaubt. «Nicht einmal umarmen durften sie mich», sagt Fina mit einem nüchternen Blick und streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Jegliche Gegenstände, die das Mädchen bei sich haben wollte, seien desinfiziert oder nicht erlaubt gewesen, sagt Fina enttäuscht – zu ihrer eigenen Sicherheit. Zu Beginn noch Angst vor der Einsamkeit in ihrem vorübergehendem Zuhause im Kinderspital Zürich, fühlte sich Fina schnell wohl in der glasigen Kabine. «Entweder zeichnete ich oder beobachtete, was ausserhalb meiner Kabine so geschieht», sagt sie, «Ich fühlte mich nie alleine». Ärzte und Pflegende hätten sich rund um die Uhr um sie gesorgt.

Knapp drei Wochen später verlief die Stammzellentransplantation erfolgreich. Finas Körper begannen langsam, neue Blutzellen zu produzieren, ein erstes kurzes Aufatmen für alle; bis dahin erhielt Fina täglich eine bis drei Blutkonserven. Doch bis die wichtigsten Zellen wieder ihre Aufgaben übernehmen konnten, seien viele schreckliche, schmerzhafte und angsterfüllende Tage vergangen, erzählt Finas Mutter. Die Folgen der Bestrahlung zeigten sich, die Angst vor einer Infektion und deren Folgen war ständiger Begleiter. «Zuerst wollte ich meine Kabine nicht verlassen, weil ich Angst hatte, mich irgendwo anzustecken», sagt Fina.

Wer Spender ist, bleibt anonym

Diese Angst hat Fina jetzt verloren: Sie versucht, alles nachzuholen, was sie in den vergangenen Jahren verpasst hat. Gitarrenspielen, Reitstunden, Mädchenriege, Chor: Häufig ist Fina unterwegs, geniesst die Kraft, die ihr Körper durch die Knochenmarkspende erhalten hat. Die Heilung hat sie dem oder der anonymen Spender oder Spenderin zu verdanken. Zusammen mit dem entsprechenden Blutbeutel erhielt Fina am Tag der Transplantation einen Brief. «Obwohl mein Spender nicht wusste, an wen sein Blut gesendet wird, schien es, als hätte er gewusst, dass ich es bin.» Wie Fina erzählt, habe der Brief eins zu eins auf sie zugetroffen. «Ich glaube an das Schicksal», sagt Fina fest überzeugt.

Dass sie sich nicht bei ihrem Spender bedanken könne, bedauere sie. Denn Blutspende SRK Schweiz ermöglicht nur einen einzigen, anonymen schriftlichen Austausch zwischen Spender und Betroffenem. «Es wäre schön zu wissen, wem ich mein Leben zu verdanken habe.» Am liebsten würde sie ihn persönlich kennenlernen, meint Fina, währenddem sie den Brief ihres Spenders sorgfältig betrachtet. «Dieser hat mir von Anfang an Hoffnung gegeben.»

Nachdem Fina das Kinderspital im Herbst 2021 verlassen hatte, musste sie sich weiterhin gut schützen. Viele Monate blieb sie zu Hause in Quarantäne, nahm am Online-Unterricht teil. Obwohl Fina die Transplantation hinter sich hatte, war weiterhin Vorsicht geboten; für die Familie eine anstrengende Zeit.

«Wir haben das Haus auf Pilze untersucht, alles musste desinfiziert, Lebensmittel 24 Stunden nach dem Öffnen weggeworfen werden», sagt Finas Mutter, die sich langsam wieder von der schwierigen Zeit erholt. Besuch einzuladen, sei für alle Familienmitglieder kaum möglich gewesen, die Angst zu gross.

Die Folgen bleiben

An den ersten Schultag kann sich Fina gut erinnern. «Als ich auf dem Pausenhof ankam, rannten meine Freundinnen direkt auf mich zu und hätten mich am liebsten umarmt.» In der Primarschule muss Fina viel Stoff nachholen. Vor allem das Rechnen fiel anfangs noch schwer. «Ich muss mich immer wieder ausruhen», sagt Fina und richtet ihre neue Brille, die sie seit ihrem zehnten Lebensjahr trägt. «Aufgrund der vielen ‹Chemos› ist meine Sehstärke etwas eingeschränkt», fügt das Mädchen an. Das Risiko, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt an Grauem Star oder an Hautkrebs erkrankt, ist höher als bei anderen Kindern in ihrem Alter.

Fina nimmt ein Bild hervor, das sie zusammen mit ihrer besten Freundin zeigt. Vom Krebs ist nichts zu sehen. Doch Fina ist fast ein Kopf kleiner als ihre Schulkollegin. «Wegen der vielen Chemotherapien wachse ich nicht mehr so, wie ich sollte», erklärt Fina. «Aber das kommt sicher noch», fügt sie optimistisch an. In der Zwischenzeit hat sich die Zwölfjährige vor allem persönlich weiterentwickelt. Gemäss ihrer Lehrerin sei sie den anderen Kindern zwischenmenschlich überlegen, erzählt Fina mit ein wenig Stolz. Sie hat aus ihrer Krankheit viel gelernt, musste sich immer wieder mit dem Tod auseinandersetzen.

«An ein Leben ohne Krebs kann ich mich nicht einmal richtig erinnern», sagt Fina mit fester Stimme. Auch wenn sie sich lange gefragt habe «wieso genau ich», sieht die Primarschülerin heute die positiven Seiten ihrer Krankheit. «Ich habe gelernt, die kleinen Dinge im Leben zu schätzen. Ich lebe von Tag zu Tag.»

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