Jan Birmanns: «Ich bin noch nicht Mathematiker»

Beatrix Bächtold | 
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Die Klosterinsel: ein Lieblings-Ideengeberort von Jan Birmanns. Bild: Beatrix Bächtold

Jan Birmanns hat bereits im Alter von 19 Jahren in der Mathematik sämtliche Auszeichnungen abgestaubt, die es in der Schweiz gibt. Das Rheinauer Mathegenie darf nun über «Schweizer Jugend forscht» an die Nobelpreisverleihung.

Ob mit Frack und Zylinder oder ohne, weiss Jan Birmanns heute noch nicht. Den Dresscode wird der Teenager noch erfahren. Aber eines ist sicher: Wenn am 10. Dezember in Stockholm der Nobelpreis verliehen wird, wird er dabei sein. Die Teilnahme hat er gewonnen, weil seine Mathearbeit kürzlich beim Nationalen Wettbewerb «Schweizer Jugend forscht 2023» das Prädikat «hervorragend» erreichte. Jan Birmanns ist also nur Gast, und nicht nominiert für einen Nobelpreis. An Birmanns’ Alter von 19 Jahren liegt das nicht. Schliesslich war Malala Yousafzai, Kinderrechtsaktivistin aus Pakistan, sogar noch um zwei Jahre jünger, als sie 2014 den Nobelpreis erhielt. Es liegt vielmehr daran, dass es diesen Preis zwar für Physik, Chemie, Medizin, Literatur und Friedensbemühungen, nicht aber für Mathematik gibt. Und gerade in dieser Disziplin ist Jan Birmanns stark, sehr stark. «Für Mathematik gibt es den gleichwertigen Wettbewerb International Medal for Outstanding Discoveries in Mathematics, kurz Fields-Medaille, aber das ist eben nicht der, in der breiten Öffentlichkeit besser bekannte, Nobelpreis», sagt er.

Ausgezeichnete Maturarbeit

Kürzlich wurde seine Maturarbeit, in welcher er dem Multidimensionalen Zeichnen mit Vektoren nachgeht, von seiner Winterthurer Kantonsschule Im Lee als eine der besten ausgezeichnet. Daraufhin belohnte ihn die Johann-Jacob-Rieter-Stiftung mit einem Preisgeld mit drei Nullen. «Das ist schön, aber ich habe meine Arbeit nicht des Geldes wegen geschrieben», sagt Birmanns. Den Betrag wird er ja sowieso nicht einfach verplempern, sondern in Computerhardware reinvestieren. Das ist wie beim Nobelpreis. Den holt man sich ja auch nicht wegen des schnöden Mammons. Mit umgerechnet rund 800'000 Franken dotiert, ist die Summe auch eher mickrig im Verhältnis zur Strahlkraft der Auszeichnung.

Die Schweiz und die Pisa-Studie

In der Pisa-Studie 2018 mit 79 teilnehmenden Ländern belegte die Schweiz fächerübergreifend Platz 28, im Bereich Mathematik den zehnten Platz. Generell lagen alle Schweizer Ergebnisse tiefer als noch 2018, je nach Kategorie zwischen 16 und 20 Punkten. Das beste europäische Land war zuletzt Estland auf Platz 5. Deutschland ist auf Rang 20. Spitzenreiter sind China (mit Macau und Hongkong) sowie Singapur. Neuere Ergebnisse liegen noch nicht vor, da die Corona-Pandemie die Erhebung von 2021 verhinderte. Die neuesten Zahlen werden für Dezember 2023 erwartet.

Im September 2022 verlieh die Schweizerische Mathematische Gesellschaft (SMG) Jan Birmanns für die beste Maturarbeit der Jahre 2021 und 2022 den ersten Platz der «Matura Awards». Die 1910 gegründete Stiftung zur Förderung der mathematischen Wissenschaften ist eine renommierte Grösse. Die Auszeichnung ebnete Birmanns den Weg zur kantonalen Ausstellung für Maturitätsarbeiten. Dort erhielt er dann die Einladung zum Halbfinale von «Schweizer Jugend forscht». Seit rund 50 Jahren will diese Stiftung jungen Menschen die Freude an der Wissenschaft vermitteln. Als Birmanns seine Arbeit in Bern präsentierte, fand diese auch bei Experten Anklang, wie beispielsweise bei Norbert Hungerbühler, dem Schweizer Mathematiker und Forscher. «Wie ein Coach gab er mir Tipps, in welchen Bereichen ich noch vertiefend weiterforschen könnte. Ja, er forderte mich geradezu heraus», erzählt Jan Birmanns. Die Maturarbeit wuchs von 68 auf 88 Seiten. Diese detailliertere Version genügte nun den Anforderungen der finalen Nationalen Ausscheidung. Diese fand im April in St. Gallen statt. In einer Art Messe-Modus trafen sich an die 130 Teilnehmende aus den Fachgebieten Geschichte, Kunst, Musik, Technik, Biologie, Chemie und Literatur. «Es war mega schön, Leute zu treffen, die ihre Leidenschaft ausleben. Ich fühlte mich sofort zu Hause», sagt Birmanns. Während den drei Veranstaltungstagen bekam seine Arbeit das Prädikat «hervorragend».

Kreise, die sich um Kreise drehen

Im Prinzip geht es dabei um die Weiterentwicklung der Fourier-Transformation, als wichtiges Instrument für Datenwissenschaftler, auf den vierdimensionalen Raum. Die von Jan Birmanns entwickelte Software ist unter dft.birmanns.org und dqft.birmanns.org zu finden. Die praktische Anwendung dort steht im krassen Gegensatz zum unscheinbaren, schriftlichen Gesamtpaket. Bei diesem erkennt der Laie lediglich geschwungene Linien, Pfeile, und Kreuzchen. Nur der Experte stellt fest, dass die Grafik vorzüglich zum Titel «Creating Multidimensional Drawings With Epicycles» passt. Jetzt zu erklären, worum es bei dieser Arbeit geht, ist fast unmöglich.

«In der Mathematik gibt es unzählige Fragen, auf die man im Moment noch keine Antwort hat.»

Jan Birmanns versucht es trotzdem. Er sagt: «Wenn sich ein Kreis entlang eines anderen Kreises in Kreisen bewegt, so nennt man das Epizykel. Cool ist, wenn man immer mehr Kreise hinzufügt und ihre Mittelpunkte mit Pfeilen verbindet. So lässt sich jegliche Form darstellen.»

Dann demonstriert er seine Erkenntnisse auch auf dem iPad. Er zeichnet ein Herz, auf den Bildschirm, drückt auf «run calculation», wählt die Anzahl Pfeile aus, die er benutzen möchte. Und wie von Zauberhand beginnen sich die Pfeile zu drehen, zu wenden und schlussendlich die Form eines Herzens zu zeichnen. Wie ein Jongleur schnippt er den Stift zwischen seinen Fingern, schaut einen an und sagt: «Das ist die Methode im zweidimensionalen Bereich. Die ist schon lange bekannt. Ich verbesserte sie und weitete sie auf den bis zu vierdimensionalen Raum aus, bis hin zu den Quaternionen.» Zwei Jahre, messbare 120 Stunden, fühlbare 100'000 Tages- und Nachtstunden «opferte» er für diese Forschung in den Zahlenräumen des Nichtgreifbaren. «Ich empfinde das nicht als Opfer. Für mich war es Zeit, die ich genoss», relativiert er.

Mathematiker mit Informatikeltern

Jan Birmanns’ Vater ist promovierter Informatiker und ehemaliger Professor, die Mutter hat einen Master in Informatik und doktorierte in BWL. Früher spielte Jan Birmanns Handball beim HC Neftenbach und daneben auch noch Klavier. Mittlerweile konzentriert sich sein sportliches Engagement auf das Gym und auf Spaziergänge mit Familienhund Chelsey entlang des Rheins, rund um die Klosterinsel. Hier kann Jan Birmanns in Ruhe über mathematische Herausforderungen nachdenken oder den heissen Kopf bei einem Bad abkühlen. «Die Strömung ist schwach. Das Wasser etwas wärmer», sagt er.

Kürzlich absolvierte er in Frauenfeld seinen militärischen Dienst an einem Stück als Telematiksoldat in der Führungsunterstützungs-Bereitschaftskompanie. Im September wird er, nach einem Praktikum als Data Scientist bei Artifact SA, an der ETH Zürich Mathematik studieren. Für den Master wäre es schön, auch mal ins Ausland zu kommen. Jan Birmanns’ Traum: das Massachusetts Institute of Technology. Scheitern wird das aber an den Gebühren von jährlich 60'000 Dollar. «Ein Stipendium in den USA kann ich mir als armer Student aus der ‹reichen› Schweiz gleich abschminken», sagt er. Wie auch immer. Sein Studium wird wohl bis zum Doktorat führen und später in Richtung Professur. Auf jeden Fall möchte er mal in der Forschung arbeiten. «In der Mathematik gibt es unzählige Fragen, auf die man im Moment noch keine Antwort hat», sagt er. So geht er vielleicht den Eigenschaften von gewissen Formeln nach, die noch nicht erforscht sind, zum Beispiel auf dem Gebiet der Primzahlen. Ob ihm als Mathematiker nicht noch mehr, vielfältigere Räume offen stünden? Er sagt: «Ich bin noch nicht Mathematiker. Aber ich beabsichtige, einer zu werden.»

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