Ein paar Bier zu viel und ein Messer im Bauch

Alexander Vitolić | 
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Am Donnerstag wurde vor dem Kantonsgericht ein schweres Gewalt­delikt zwischen zwei Ehe­leuten verhandelt. Symbolbild: Melanie Duchene

Vor dem Kantonsgericht wurde am Donnerstag ein schweres Gewalt­delikt zwischen zwei Ehe­leuten verhandelt. Die Staatsanwaltschaft spricht von versuchter ­Tötung durch die Ehefrau. Der Mann aber sagt: Sie war es nicht.

Nina und Ivan (Namen geändert) sind seit mehr als 25 Jahren glücklich verheiratet. Sie stammt aus dem heutigen Kosovo. 1987 hat die gelernte Krankenpflegerin die Schweizer Staatsbürgerschaft erworben. Ivan kennt sie schon aus gemeinsamen Kindertagen, noch lange bevor sie ein Paar wurden. Er sei ihre grosse Liebe. Ihre Stimme beginnt zu zittern, als sie beteuert: «Niemals würde ich ihm etwas antun.» Dennoch steht sie heute wegen versuchter vorsätzlicher Tötung vor Gericht.

Nina soll ihren Mann in einer Nacht Anfang August 2019 ein Küchen­messer neun Zentimeter in den Bauch gestossen haben. Dabei sei eine Schlagader zwischen den Rippen derart getroffen worden, dass die Verletzung «ohne umgehende medizinische Intervention mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Verblutungstod geführt hätte». So steht es in der Anklageschrift.

Was ist geschehen? Nina und Ivan verbringen den Mittwoch vor der Tatnacht gemeinsam zu Hause. Oft rauchend und Bier trinkend auf dem Balkon. Weder sie noch er gehen einer geregelten Arbeit nach. Am Nachmittag kommt es zu einer hitzigen Diskussion über das Abendessen, das Nina jeweils zubereitet. Sie verlässt die Wohnung, um sich etwas Luft zu verschaffen. Sie ruht sich auf einem Liegestuhl im Keller aus und schlendert danach bis spät in die Nacht am Rheinufer entlang und durch die Stadt.

Ivan hingegen betrinkt sich zu Hause weiter und telefoniert kurz nach Mitternacht mit einem Neffen, der später bestätigt, dass Ivan betrunken gewesen sei.

Keiner solls gewesen sein

Um 2.19 Uhr in der Nacht erreicht ein Notruf von Ivan die Polizei. Die Einsatzkräfte finden ihn in der Wohnung auf dem Boden liegend und stark blutend vor. Wer auf ihn eingestochen hat, kann er nicht erklären. Er sagt nur, dass seine Frau nichts mit dem Vorfall zu tun habe.

Tatsächlich kommt sie erst rund zwei Stunden später nach Hause und trifft vor ihrer Wohnung auf die Polizei. Diese hat ein Küchenmesser aus dem Geschirrspüler als mögliche Tatwaffe sichergestellt.

Am Donnerstag vor Gericht sagt Nina aus, sie habe nicht gewusst, wie ihr geschieht, als die Polizei sie daraufhin in Untersuchungshaft genommen habe. Vor allem aber habe sie sich Sorgen um ihren Mann gemacht und sich immer wieder erkundigt, was denn überhaupt geschehen sei.

Für Vanessa Rütsche, die stellvertreten­de, leitende Staatsanwältin, hingegen ist klar: Nina selbst hat zugestochen und die lebensgefährliche Verletzung damit in Kauf genommen. Danach habe sie die Tatwaffe in den Geschirrspüler gelegt, diesen aber vergessen, anzustellen. «Die Sachbeweise sprechen eine eindeutige Sprache», so Rütsche. Tatsache sei, dass sich auf der Tatwaffe einzig und allein die DNA-Spuren der Beschuldigten befunden hätten und es keine Hinweise auf ein Drittverschulden gebe. Bezeugt sei auch, dass sich das Paar schon früher gestritten habe und übermässiger Alkoholkonsum – entgegen der Beteuerungen der Beschuldigten – für beide ein Problem darstelle. Dass Nina an jenem Tag neun Stunden durch die Stadt «spaziert» sein wolle, sei ebenso unglaubhaft.

«Oft muss man von den äusseren Umständen einer Tat auf die inneren Beweggründe schliessen. Hier geht das nicht.»

Pflichtverteidiger Nihat Tektas warnt in seinem Plädoyer vor der Vorverurteilung seiner Mandantin, die ihr Problem mit Alkohol aus Scham sicherlich etwas beschönigt habe. Dennoch habe sie sich bis dato nie etwas zuschulden kommen lassen. Ohnehin fehle der IV-Bezügerin aufgrund eines chronischen Leidens in der rechten Hand schlicht die Kraft, ihrem Mann ein Küchenmesser durch einen Pulli und ein T-Shirt in die Magengrube zu treiben. Dass ihre DNA-Spuren darauf zu finden seien, findet Tektas nicht verwunderlich, sie benutze es ja.

Dazu kommt, dass sie kein Motiv gehabt habe, ihren Mann zu verletzen geschweige denn ihn umzubringen – und er seit jeher darauf beharrt, dass sie sich gegenseitig nie und nimmer etwas antun würden. Nur, wer kann es dann gewesen sein? Eine Theorie stammt von der Nachbarin des Paars, die zwar hin und wieder etwas von den Auseinandersetzungen mitbekam, am Tag der Tat jedoch nicht. Stattdessen will sie eine weitere Männerstimme in der Wohnung gehört haben.

«Ein seltsamer Fall»

Nun geht es in diesem Verfahren aber nicht darum, den «wahren» Täter zu finden, sondern über die Schuld oder Unschuld von Nina zu entscheiden. Und das tut der vorsitzende Richter Andreas Textor nach einer zweieinhalbstündigen Beratung in dubio pro reo mit einem vollumfänglichen Freispruch. «Das ist letztlich ein seltsamer Fall», sagt Textor. «Oft muss man von den äusseren Umständen einer Tat auf die inneren Beweggründe schliessen. Hier geht das nicht.» Zur Tatnacht gebe es kaum sachdienliche Hinweise, und die Indizien bildeten keine ausreichende Grundlage für eine Verur­teilung ohne unüberwindbare Zweifel.

Die Verfahrenskosten trägt der Staat, die Beschuldigte erhält eine Entschädigung von 3000 Franken für die 30 Tage in Untersuchungshaft. Und Nina und Ivan sind nach wie vor ein Paar.

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