Pure Glücksgefühle: Wie ein Hobbyläufer den Schaffhauser Stadtlauf erlebte

Ralph Denzel | 
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Fast 600 Teilnehmer waren am Stadtlauf dabei. Einer davon war ich. Bild: zvg

Seit Mai bin ich wieder am Laufen. Ich habe viel geschwitzt, Muskelkater und Seitenstechen überstanden, um am Ende am Schaffhauser Stadtlauf mitzumachen. Dort habe ich gemerkt, warum Laufen so glücklich machen kann.

Der Mosergarten ist an diesem Sonntag gut gefüllt – man könnte sogar sagen fast übervoll. Rund 600 Läuferinnen und Läufer haben sich hier eingefunden, um beim Schaffhauser Stadtlauf mitzurennen. Manche dehnen sich, andere sitzen an den aufgestellten Festbänken, essen eine Kleinigkeit, ehe es bald «ernst» wird. Von den Verpflegungsständen her weht ein Duft von Bratwurst und Pommes – vielleicht nicht die beste Speise, wenn man gleich auf eine Laufstrecke will. Daher sind die Fressstände bisher auch eher nur sporadisch von ein paar Kindern besucht, die bereits ihren Kinderlauf hinter sich gebracht haben. 

Direkt im Schatten der Bühne sitzen an mehreren Reihen die Helferinnen und Helfer. Eine Schlange von Menschen in sportlicher Kleidung und mit Laufschuhen an den Füssen steht dort artig an. Hier muss ich auch hin, denn ich will meine Startnummer holen. Nummer 200 – die wird für den Lauf an meinem T-Shirt hängen. Darin integriert ist ein Zeitmesser, der später noch wichtig wird.

Jeder Starter bekam diese Socken. Bild: Rd

Laufen und ich – das ist eine on-off-Beziehung. Es gibt Zeiten, in denen ich genussvoll kilometerweit jogge, aber es gibt auch die Zeiten, in denen meine Laufschuhe in meinem Schrank Staub ansetzen. Dann, diesen Mai, habe ich mich spontan entschieden: Ich will wieder Laufen. Jeder Hobbyläufer weiss: Am besten geht das mit einer Art Motivationshilfe. Diese war schnell gefunden: Der Schaffhauser Stadtlauf soll es werden. 7.5 Kilometer – früher rannte ich täglich mindestens zehn Kilometer, ohne Probleme – was sollte also schiefgehen?

Wenn 70-Jährige schneller sind

Vornweg: Einiges. Denn bis es soweit war, musste ich zuerst «unten durch». Ich machte seit dem ersten Lockdown immer irgendeine Art von Sport. Sei es Krafttraining, Schwimmen, Yoga – alles Mögliche, nur nicht Laufsport. Eigentlich war ich sicher, dass meine Kondition gut ist, aber weit gefehlt.

Schnell wurde mir klar: Ein 37-jähriger Körper ist bei weitem nicht mehr so leistungsfähig wie ein 27-jähriger, als ich zum ersten Mal mit dem Laufsport anfing und alles irgendwie leichter war. Jetzt, zehn Jahre nach meiner «Hochzeit» quälte ich mich durch den Schaffhauser Wald und verscheuchte wahrscheinlich jegliche Tiere im Umkreis von einem Kilometer, so laut japste ich nach Luft. Besonders demütigend: Eines Tages wurde ich beim Joggen vom einem Mann, schätzungsweise über 70, überholt. Der Mann musste sich scheinbar nicht einmal anstrengen, anders als ich.

Und jetzt, knapp vier Monate später, stehe ich hier. Zwischen dem Tiefpunkt mit dem alten Herrn und dem heutigen Tag liegen einige harte Trainings, bei denen ich mich immer weiter steigern konnte, mich «durchgebissen» habe, bis ich irgendwann sogar 15 Kilometer am Stück schaffte – also die doppelte Strecke von dem, was ich heute laufen muss.

Auf «Los» gehts Los

Es ist 11:30 Uhr, noch 15 Minuten bis zum Hauptlauf, an dem ich auch starten werde. Auf den Stufen des Mosergartens beginnt ein Warm-Up, angeleitet von einer Trainerin. Ich schaue eine Weile zu, aber mache nur sporadisch mit. Ich bin an diesem Tag ein Gewohnheitstier, das bedeutet, ich dehne mich so, wie ich mich immer gedehnt habe. Nachdem ich damit fertig bin, dröhnt bereits aus einer der vielen Lautsprecherboxen, dass die Läufer an den Start müssen. Wir stehen eng an eng, während aus den Lautsprechern ein Countdown dröhnt: «Drei, zwei, eins: LOS, GENIESST ES!» Feuert uns einer der Organisatoren an – und wir laufen. Also zumindest manche, ich noch nicht. Ich stehe so weit hinten, dass es eine ganze Weile dauert, ehe ich mich bewegen kann.

Das erste Mal Gänsehaut

Das Gefühl beim Start, überhaupt im Mosergarten? Unglaublich. Links und rechts haben sich unzählige Menschen versammelt, die jubeln, uns Läufer anfeuern und applaudieren, als wären wir Olympioniken und nicht irgendwelche Hobbysportler in einer kleinen Stadt im Norden der Schweiz.

Die Strecke geht über die Vordergasse, vorbei am St. Johann in die Sporengasse. Insgesamt fünf Runden muss ich überstehen. Schnell zeigt sich: Meine Kondition ist deutlich besser geworden. Mir kommt zugute, dass ich beim Training jeden Berg mitgenommen habe, den ich im Schaffhauser Wald gefunden habe. Daher ist die leichte Steigung in der Vordergasse für mich kein Problem. Die Leute am Strassenrand pushen mich noch zusätzlich.

Die dritte Runde hat angefangen - die Stimmung ist noch gut bei mir - das sollte sich zum Glück auch nicht mehr ändern. Bild: Hanna Wetzel 

Vorbei geht es am Stadthaus, weiter über den Walter-Bringolf-Platz in Richtung Webergasse, von dort über den Fronwagplatz zur Beckenstube und am Kammgarn vorbei, zum Mosergarten zurück. 1.5 Kilometer, fünfmal hintereinander.

Überholen und überholt werden

Meistens bin ich auf meinen Läufen ein «einsamer Wolf». Begleitung habe ich vielleicht von meinem Pflegehund, der aber meistens seine eigenen Wege geht und nur ab und zu an meiner Seite ist. Heute laufe ich in einer Gruppe. Das hat einen entscheidenden Vorteil: Es motiviert ungemein. Die Person vor einem, die gerade etwas langsamer wird: Fast unbewusst erhöhe ich meine Schrittzahl und überhole sie.

Überholt werde aber auch ich – und das ziemlich schnell. So überrundet mich der spätere Sieger Dominic Müller bereits in der zweiten Runde, ebenso wie Fabienne Vonlanthen, die «schnellste Polizistin der Welt». Auch andere Sportler rennen an mir vorbei, was zusätzlich Motivation bringt, denn das will ich nicht auf mir sitzen lassen und «greife» selbst wieder an.

Die letzte Runde

Ich spule meine Runden ab. Viermal bin ich schon durch den Mosergarten, jetzt geht es auf den Endspurt.

Ungefähr beim Tellbrunnen haben die Organisatoren des Stadtlaufs einen Trinkstand aufgebaut. Ich schnappe mir ein Glas Wasser, schütte es runter und will nochmal alles aus mir rausholen.

Ich laufe nicht mehr, ich renne die letzten Kilometer. Da ist sie wieder, die Motivation der Leute am Strassenrand, die ungebrochen uns anfeuern, der eine Läufer vor einem, den man jetzt auch noch überholen will.

In der Beckenstube, dort wo es bergab geht, hole ich noch mehr aus mir heraus. Mein Atem geht stossweise, ich spüre, wie meine Seite immer mehr schmerzt, aber ich beisse mich durch. Ich renne, renne, renne – und dann, da ist das Ziel. Ein Blick auf die Uhr neben mir. Sie steht bei knapp 40 Minuten, aber genau kann ich nicht sagen, wie lange ich gebraucht habe. Das werde ich erst erfahren, wenn die offizielle Zeitmessung abgeschlossen ist. 

Ich werfe mich über die Ziellinie – die Menge am Rand applaudiert, aber nicht nur mir, allen Läufern, die jetzt ins Ziel kommen. Wir sind «Finisher», wie es unter Läufern heisst. Wir haben es geschafft. Ich schnappe nach Luft, laufe eine Weile verloren auf dem Mosergarten herum, sehe Leute, die sich gratulieren und abklatschen.

Glücksgefühle im Überfluss

Dann kommt es, der Grund, der mich immer wieder zum Laufen zieht. Das Hochgefühl, wenn der Körper Endorphine produziert. Dann sind die Anstrengungen und auch Schmerzen vergessen und man bekommt ein Glücksgefühl, wie es kaum zu beschreiben ist. Ich schaue den weiteren Läufern zu. Diesen geht es nicht anders.

Nach dem Lauf: Erledigt, aber sehr glücklich. Bild: zvg

So wie einem älteren Mann, den der Ansager als «ältesten Läufer des Tages» bezeichnet, der strahlend über die Ziellinie rennt. Dort sind die Mitarbeiter einer Firma, die zusammen jubeln, als sie das Ziel fast synchron erreichen. Dort ist der junge Mann, der mit einer Begleiterin gelaufen ist, weil er eine Behinderung hat und nun unter tosendem Applaus ins Ziel einläuft. 

Allen sieht man den Stolz und die Freude über den Lauf an. Im Mosergarten herrscht eine ausgelassene und fröhliche Stimmung, wie ich sie selten erlebt habe. 

Am Abend dann, als die offizielle Zeit auf der Webseite des Stadtlaufs verkündet wird, trifft mich fast der Schlag. Mein Ziel waren 45 Minuten für die 7.5 Kilometer. Geschafft habe ich die Strecke aber letztlich in 39.40 Minuten. Persönliche Bestleistung für mich.

Zumindest bis zum nächsten Jahr, wenn ich die 35 Minuten beim Schaffhauser Stadtlauf 2023 angreifen will.

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