Im Sturm über den Sturm schreiben

Eva Kunz | 
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Alfred Wüger ist seit über 30 Jahren als Journalist bei den «Schaffhauser Nachrichten» tätig. Bild: Melanie Duchene

Autor zu sein, ist Alfred Wügers täglich Brot. Bisher aber non-fiktional – als Redaktor bei den «Schaffhauser Nachrichten». Mit seinem Roman «Gute Unterhaltung» ändert sich das. Die Story existiert bereits seit rund 20 Jahren. Nun ist sie gedruckt und als Buch erschienen.

Vielleicht verhält es sich mit manchen Büchern wie mit gutem Wein: Je länger sie reifen, desto köstlicher munden sie. Vielleicht ist das bei dem ­Roman «Gute Unterhaltung» auch so. Die Geschichte lagerte 20 Jahre lang in einer Datei, ehe sie den Weg an die Öffentlichkeit fand. Und damit auch die Irrungen und Wirrungen des Protagonisten René Sernatinger.

Protagonist im Ausnahmezustand

Mitten im Nebel trifft dieser auf ein pensioniertes Geschwisterpaar. Sie bieten ihm an, zu ihnen nach Landschlacht am Bodensee zu kommen, in ihre kleine Pension, die sie dort betreiben. Er nimmt die Einladung an, kommt und bleibt. Den Umständen geschuldet unverhofft lange. Und dem Leser wird schnell klar: Dieser Mann befindet sich in einer Art Ausnahmezustand. Er hat mitunter seltsame und düstere Gedankengänge. Etwa diesen: «Das weitaus Schlimmste an meinem Leben, murmelte er vor sich hin, ist, dass ich an mein Hirn gefesselt bin. Diese Haft, sie macht mich zur Person, dem Schmerz verdanke ich Identität.» Unstillbare Sehnsüchte werden immer präsenter und lassen in ihrer Unlogik das Umfeld im Buch – wie auch den Leser – stutzig zurück. Eines Tages bemerkt auch die Gastgeberin ihrem Bruder gegenüber: «Ich glaube, mit Herrn Sernatinger stimmt etwas nicht (…). Er hat überhaupt keinen Bezug zur Wirklichkeit.»

«Die Ideen kamen einfach, und ich musste sie nur noch festhalten.»

Alfred Wüger, Autor

Im Gespräch mit dem Autoren des Romans wird zudem eine enge Verbindung zum fiktionalisierten Charakter im Buch deutlich. «Als ich das Buch schrieb, befand ich mich zu einem gewissen Grad ebenfalls in einer Ausnahmesituation», sagt ­Alfred Wüger, langjähriger Redaktor bei den «Schaffhauser Nachrichten», und erinnert sich zurück an damals, als er das Buch verfasste: «Es hat einfach geschrieben, blitzartig, Kapitel um Kapitel.» Die Gedanken seien nur so geflossen. «Die Ideen kamen einfach, und ich musste sie nur noch festhalten», sagt er.

Seelenlandschaft Bodensee

So organisch und logisch die Story für den Schriftsteller auch sein mag, so verloren lässt sie der Leser oft zurück. Wie durch einen mal mehr, mal weniger dichten Nebel liest sich das, was sich im Buch abspielt. Und längst ist nicht klar, ob das, was der Protagonist erlebt, nur in seinem Kopf stattfindet oder nicht. Realität und Fiktion vermischen sich. Dies sei in einem gewissen Sinne der Darstellung eines seelischen Prozesses inmitten eines Aufruhrs geschuldet, ordnet Wüger ein. «Und eigentlich kann man nicht im Sturm über den Sturm schreiben.» Mit seinem Roman hat er es trotzdem getan.

So vermischen sich nicht nur Realität und Fiktion, sondern auch Christentum mit griechischer Mythologie, das Diesseits mit dem Jenseits. Der Bodensee nimmt dabei eine zentrale Rolle ein, stellt quasi eine Brücke zwischen den Welten dar. «Der Bodensee ist für mich eine Seelenlandschaft und als solches ein prägendes Element in meinem Leben», sagt Wüger, der in Steckborn aufwuchs. Inmitten dieser Welt wandelt sein Hauptakteur, wird in einen Strudel von Gedanken und Emotionen hineingerissen. «Und steigert sich in Dinge hinein, die selbst in der grössten Fiktion nicht real sein können», sagt der Autor des Buchs, «beispielsweise, dass der Bodensee im Frühling zufriert.»

Auch diese Absurdität geht nicht unkommentiert an der Gastgeberin im Roman vorbei. «Ausserdem, sagt Herr Sernatinger, werde der See zufrieren, weil seine seelische Entwicklung unbedingt eines zugefrorenen Sees bedürfe», sagt sie im Buch zu ihrem Bruder und zitiert den Protagonisten: «‹Ich werde auf der Konstanzer Brücke stehen und jubeln, wenn das letzte Wassermolekül erstarrt›». Ihr Bruder antwortet darauf: «Beim Näherschauen ist jeder Mensch auf seine Weise verschroben.» Damit hat er recht. Denn verschroben sind alle Personen in dem Buch, kollidieren im Verlauf der Story miteinander, merkwürdige Dinge passieren. Und dazwischen funkeln immer wieder Weisheiten wie kleine Diamanten immer dann und aus dem Mund von derjenigen Person, von der man es am wenigsten erwartet hätte.

Titel mit maximaler Freiheit

«Gute Unterhaltung» ist ein Buch voller Überraschungen und Tiefgang – irgendwie völlig konträr zum Titel. Die Wahl des Titels habe ihm die grösstmögliche Freiheit und ironische Distanz zum Inhalt des Buches gegeben. «Gute Unterhaltung heisst ja einfach, dass alle miteinander sprechen und sich unterhalten», sagt Wüger. Das sei keineswegs ironisch zu verstehen.

Alfred Wüger: «Gute Unterhaltung» – Roman einer Wandlung.  Münsterverlag, 246 S., 18.90 Fr., ISBN 978-3-907301-37-1

Seit Sonntag ist «Gute Unterhaltung» nun im Buchhandel erhältlich – für Wüger «ein emotionales Abenteuer», wie er sagt. Dass es erst jetzt, gut 20 Jahre nach der Niederschrift, zu einer Publikation gekommen ist, bedauert der Autor keineswegs. Im Gegenteil. «Es hat mir die Möglichkeit gegeben, in einer gewissen Ungestörtheit weiteren Buchideen und -projekten nachzugehen.» Zudem habe der Roman eine gewisse Zeitlosigkeit, habe also mitnichten an Relevanz eingebüsst. Jetzt, wo die Flasche Wein entkorkt ist, scheint der Autor recht zu behalten. Der Tropfen hat gemundet.

Vernissage

Die Vernissage findet am am 24. Mai ab 17.30 Uhr im Zunftsaal zun Kaufleuten an der Vordergasse 58 in Schaffhausen statt.

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