ÖV-Experte: «Die Schaffhauser sind mutig»

Daniel Jung | 
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«VBSH on tour»: Aktuell wird ein E-Bus der spanischen Firma Irizar an Publikumsfahrten den Schaffhauser Stimmbürgern präsentiert. Bild: Flavia Grossenbacher

Ist es der richtige Zeitpunkt, jetzt die Flotte der VBSH-Stadtbusse auf Elektrobusse umzustellen? Ja, findet ÖV-Experte Stephan Brändli. Er warnt aber vor zu optimistischen Erwartungen.

Am 17. November wird in der Stadt Schaffhausen über die Einführung von Elektrobussen mit Schnellladesystem und die Erweiterung des VBSH-Depots im Ebnat abgestimmt. Im Vorfeld dieser wichtigen Weichenstellung nimmt der ÖV-Experte Stephan Brändli für die SN eine Einschätzung der Situation vor.

Herr Brändli, ist es ein günstiger Zeitpunkt, jetzt eine kleinere Stadtbusflotte komplett auf E-Busse mit Schnellladesystem umzustellen?

Stephan Brändli: Grundsätzlich ja. Eine gelungene Umsetzung braucht aber gewisse Voraussetzungen. Es braucht den politischen Willen, der spürbar sein muss. Der Zeitpunkt für die Umstellung muss auch zur Ersatzplanung des Fahrzeugparks passen. In Schaffhausen ist hier tatsächlich bald eine Tranche fällig. Wenn man den Zeitpunkt jetzt nicht nutzt, dann verpasst man die Umstellung für die Lebensdauer einer Dieselbus-Generation, also für rund 14 Jahre. Deshalb ist es attraktiv, die Gelegenheit jetzt zu packen. Auch gibt es nur rund alle vier Jahre eine Möglichkeit für eine Mitfinanzierung durch den Bund: In Schaffhausen werden vom Agglomerationsprogramm hier rund fünf Millionen Franken erwartet.

Wäre es besser, noch einige Jahre zuzuwarten, weil der Preis von E-Bussen vielleicht sinken könnte?

Diese Vermutung hört man ab und zu. In der Branche wird dies aber nicht so eingeschätzt. Man geht davon aus, dass sich die Preise für E-Busse in den nächsten fünf bis zehn Jahren nicht stark verändern. Man profitiert also nicht, wenn man einfach noch fünf oder zehn Jahre wartet. Die Nachfrage nach Elektrobussen und Batterien wird in den nächsten Jahren extrem hoch sein. Deshalb werden vermutlich auch die Preise hoch bleiben, obwohl die grossen europäischen Hersteller nun mit der Massenproduktion solcher Fahrzeuge starten.

Ein anderer Grund, mit der Umstellung noch zu warten, wäre die technische Entwicklung: Die ersten Kunden einer neuen Technologie müssen oft auch mit Kinderkrankheiten leben.

Das wird gelegentlich gesagt. Die Technologie ist allerdings schon reif. Dass sie erst an wenigen Orten im Einsatz steht, liegt weniger am technologischen Reifegrad als an den Kosten. Die Umstellung auf Elektrobusse ist weiterhin eher teuer. Technologisch sind in den nächsten Jahren natürlich noch Verbesserungen zu erwarten. Das ist bei den Dieselfahrzeugen nicht anders, wo die Motoren im Laufe der Zeit immer effizienter und umweltschonender wurden. Auch beim E-Bus werden das aber Verbesserungen auf einem bestehenden, hohen Niveau sein. Man darf nicht vergessen: Es gibt schon seit Jahrzehnten elektrisch angetriebene Busse – die Trolleybusse. Auch bei den Batterien hat man mittlerweile genügend Erfahrung, um einen stabilen Betrieb aufzubauen. In Bern gibt es nun ja schon seit rund einem Dreiviertel-Jahr einen solchen.

Im Unterschied zu Bern plant Schaffhausen jetzt aber eine Systemumstellung. Ist es sinnvoll, gleich eine ganze Stadtbusflotte umzustellen?

Als Strategie sehen es verschiedene Betriebe der Schweiz vor, gesamthaft umzurüsten. Schaffhausen steht nicht alleine da. Die Schaffhauser sind jedoch mutig und relativ schnell. Das finde ich gut. Das hat sicher auch mit den Strukturen in Schaffhausen zu tun: Die Stadt ist Eigentümerin, Bestellerin des ÖV und auch Gestalterin der Bahnhofstrasse. Hier kommt alles aus einer Hand. Das macht es einfacher. In anderen Städten müsste man unterschiedlichste Gremien auf dieselbe Wellenlänge bringen.

Ist es richtig, eine zentrale Aufladung der Busbatterien am Schaffhauser Bahnhof zu planen?

Die Lage des Schaffhauser Bahnhofs ist ideal. Einerseits ist der Bahnhof das Zentrum im Netzplan, wo sich die Linien kreuzen. Andererseits sind dort schon heute im Fahrplan Haltezeiten vorgesehen. Für das gewählte Schnellladesystem OCC (Opportunity Charging Conductive) sind solche Haltezeiten für die Zwischenladung unabdingbar. Bei anderen Verkehrsbetrieben gibt es oft gar keine fahrplanmässigen Haltezeiten an geeigneten Stellen. Am Bahnhof Schaffhausen kann man mit einer zentralen Stromversorgung viele Linien versorgen. Und mit der OCC-Technik können die Busse mit vergleichsweise kleineren Akkus auskommen, was aus ökologischer Sicht positiv ist.

Hat das System der Schnellladung aus Ihrer Sicht noch andere Vor- oder Nachteile?

Ein Vorteil ist sicher, dass der Strombezug über den ganzen Tag verteilt ist und so weniger hohe Verbrauchsspitzen entstehen. Das wäre bei einer reinen Depotladung, die meist nachts geschieht, anders. Der Schaffhauser Wasserstrom fällt ja auch rund um die Uhr an. Der Nachteil der OCC-Technik ist neben der kostspieligen Ladeinfrastruktur die geringe Reichweite, was die betriebliche Flexibilität einschränkt.

Ist es gut, Ladetechnik und Fahrzeuge vom selben Hersteller zu beziehen?

Bei einem Pilotbetrieb kann das sinnvoll sein. Denn bei unterschiedlichen Lieferanten könnten die Unsicherheiten bezüglich der Schnittstelle zu gross sein. Eigentlich sind die Schnittstellen mittlerweile aber standardisiert. Man würde deshalb heute eher getrennte Ausschreibungen machen. In Schaffhausen musste diese Entscheidung aber schon vor mehreren Jahren getroffen werden.

Welche Folgen hat die gemeinsame Beschaffung in der Zukunft?

Die Ladeinfrastruktur hat grundsätzlich eine längere Lebensdauer als die Busse. Aber auch die nächste Fahrzeuggeneration sollte noch zu den installierten Ladesystemen passen. Deshalb ist es wichtig, hier die Vorgaben so zu gestalten, dass in Zukunft auch andere Hersteller eine Chance haben.

Die VBSH kaufen ihre Busse und die Ladeinfrastruktur bei der spanischen Firma Irizar. Wie schätzen Sie diesen Anbieter ein?

Wie die deutschen oder schwedischen Hersteller kennen auch die spanischen Anbieter den europäischen Markt gut. Die Fahrzeuge und die Ladeinfrastruktur werden ohnehin nach Schweizer Normen zugelassen. Da sehe ich keine Probleme. In der Schweiz gibt es nur einen Hersteller, der ein solches System anbieten könnte. In der internationalen Ausschreibung obsiegte jedoch das spanische Unternehmen. Heikel fände ich es, wenn ein Anbieter aus dem fernen Osten gewählt worden wäre. Dort fehlen noch die Erfahrungen. Auch sind die technischen Grundlagen ganz anders.

Worauf müssen die VBSH im Umgang mit der spanischen Firma achten?

Wichtig ist, dass der sogenannte «After-Sale» gut geregelt ist. Dabei geht es um all das, was nach der eigentlichen Beschaffung passiert, etwa eine schnelle Unterstützung während des Betriebs. Irizar oder eine Partnerfirma sollten hier zum Beispiel mit einer Ersatzteilkette und technischem Know-how rasch zur Seite stehen können. Beim Zuschlag wurde diesem Aspekt, dem «Kommerziellen», zehn Prozent beigemessen, was eine gebührende Gewichtung darstellt. Bei der Einführung wird es sicher Kinderkrankheiten geben, das gibt es immer. Sie können aber auch bei den Türen entstehen und nicht beim elektrischen Antrieb. Der elektrische Antrieb ist nicht der heikle Punkt, eher ist es das Gesamtsystem, wie bei jedem neuen Bustyp.

Wenn Schaffhausen nun die Umstellung auf E-Busse beschliesst: Wie würde sich die Stadt damit zu anderen Schweizer Städten positionieren?

Ein solcher Entschluss hätte eine innovative Ausstrahlung. Der Schaffhauser Mut würde sichtbar: Hier will man wirklich zur Tat schreiten. Es könnte sein, dass diese Umstellung in Schaffhausen aufgrund der idealen Voraussetzungen besonders rasch möglich wird. Ich fände es erfreulich, wenn diese neue Technologie vorangetrieben wird. Aber auch in anderen Städten der Schweiz wird die vollständige Elektrifizierung der Busflotte geplant. Es wird dort jedoch eher länger dauern.

Aus Sicht des Fachmanns: Gibt es noch kritische Punkte am Schaffhauser E-Bus-Projekt?

Was in der Fachwelt kritisch hinterfragt wird, sind die erwarteten Kostenvorteile, die im Projekt betont werden.

In der Vorlage des Stadtrats heisst es, dass die Elektrobusse trotz der höheren Anfangsinvestition bereits nach elf Jahren günstiger sein werden als die bisherigen Busse.

In der Planungskreditvorlage vom Mai 2017 hiess es, dass die neue Technologie bereits nach fünf Betriebsjahren günstiger sein soll als der Dieselbus. In der Vorlage vom April 2019 war dann die Rede von elf Jahren. Hier ist aber bereits eingerechnet, dass der teure Trolleybus aus der Rechnung verschwindet, und es sind Fördermittel eingerechnet. Über die künftigen Energie- und Unterhaltskosten gibt es grosse Unsicherheiten. Hier verändern die Annahmen das Resultat massgeblich. In den meisten Studien, bei denen ich mitwirke, verzichtet man möglichst auf die Berücksichtigung von entsprechenden Prognosen. Ein Entscheid für die Elektrifizierung von Bussen soll nicht zu stark davon abhängig gemacht werden.

Werden hier also unrealistische Kostenvorteile prognostiziert?

Keine andere Stadt erwartet, dass der E-Bus in absehbarer Zeit günstiger ist als der Hybrid- oder Dieselbus.

Insgesamt: Wo lauern bei der Umsetzung des Projekts noch Gefahren?

Termine und Kosten sind immer Risiken. Die noch offene Gestaltung der Bahnhofstrasse muss im Auge behalten werden. Technologisch glaube ich nicht, dass grosse Risiken bestehen. Es wird einzelne Kinderkrankheiten geben, die können aber sicher gelöst werden. Existenzielle Risiken sehe ich daher keine. Ich schaue dem Projekt in Schaffhausen mit freudiger Spannung entgegen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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