«Ich wollte am liebsten wieder zurückfliegen»

Kay Uehlinger | 
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In einem grossen Fotobuch hat Ben seine Erinnerungen an Nordkorea festgehalten. Bild: OPP

Viele fliegen im Sommer in den Süden ans Meer. Ein Schaffhauser hatte andere Pläne. Er hat sich ins Land des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong-un gewagt.

«Ich hatte gemischte Gefühle.» Im Vorfeld seiner Reise nach Nordkorea kommen in Ben* immer wieder Zweifel auf. Im Sommer 2018 beschliesst er, nebst seiner Reise nach Vietnam auch Nordkorea zu bereisen. Die Reise zu planen, ist für ihn von geringem Aufwand. «Ich musste lediglich meinen Pass mit zehn Euro fürs Visum nach Bern zur Nordkoreanischen Botschaft schicken.» Nach vier Tagen erhält er seinen Pass mit einem gültigen Einreisevisum zurück.

Ben reist zuerst nach China in die Stadt Peking, um von da aus nach Nordkorea weiterzureisen. In Peking am Flughafen kommen in ihm wieder Zweifel auf. «Beim Check-In sah man nur ranghohe Parteimitglieder mit strengen Gesichtsausdrücken. Solche, die sich es auch leisten konnten, ausser Land zu reisen». Das lange Warten und die Blicke der Parteimitglieder machen ihn vor dem Abflug immer unsicherer. Es bleibt bei Blicken, er kann ohne Befragung in den Flieger steigen.

Angekommen in Pjöngjang, der Hauptstadt Nordkoreas, dann der Schreck: «Am Flughafen sah ich nur Grenzbeamte, die wie  Soldaten aus den Sowjetzeiten gekleidet waren und es herrschte eine angsteinflössende, komische Stimmung. Ich wollte am liebsten wieder zurückfliegen», erzählt er.

Ein Guide, der Deutsch spricht

Am Gepäckband spricht ihn eine Frau in «perfektem Deutsch» mit seinem Namen an. In diesem Moment ist ihm zwar bereits klar, dass er seine Ferien nicht alleine verbringen wird, aber dass er schon beim Gepäckband abgefangen wird, hat ihn überrascht. «Es stellte sich heraus, dass sie meine Reisebegleiterin war», sagt er. Von der Frau, die ihn nun für eine Woche lang begleiten wird, hat er vorher noch nie etwas gehört. «Ich hatte wirklich keine Ahnung, was mich erwartete.» Das Begleiter-Team besteht noch aus zwei weiteren Personen. Seinen Pass muss Ben seiner Reisebegleiterin abgeben. Diesen sieht er bis zu seiner Abreise nicht mehr.

Keine Alleingänge

Sein Aufenthalt ist von Anfang bis Ende durchgeplant. «Falls ich am Morgen mal früher wach war und spazieren wollte, musste ich meiner Reisebegleiterin immer Bescheid geben.» Der offizielle Grund: Es spricht fast niemand Englisch, wenn er sich verlaufen würde, könnte er niemanden nach dem Weg fragen und verloren gehen. «Das Hotel war aber so wie der Eiffelturm, den findet man immer. Das war für mich eine Ausrede. Ich glaube, sie wollte mir einfach möglichst freundlich mitteilen, dass es verboten ist, dass ich alleine unterwegs bin.»

Ein halbfertiges Hotel

Sein Hotel befindet sich in einem riesigen Wolkenkratzer mit rund 46 Stockwerken. Ben wird im 42. Stockwerk untergebracht. «Das Hotel war bis auf ein paar chinesische Touristen menschenleer und ich vermute, zwischen dem Erdgeschoss und den oberen Stöcken hat sich nichts befunden ausser Rohbau.» Überprüfen kann er das allerdings nicht, weil er den Aufzug nie ohne einen Hotelangestellten benutzen darf. Die Knöpfe werden in Nordkorea von jemand anderem für einen gedrückt – sogar im Lift.

Das Hotel in Pjöngjang mit den Hotelangestellten, die den Lift bedienten. Bild: zvg

Gleich nach der Ankunft informiert ihn seine Reisebegleiterin, dass alle Zimmer im Hotel verwanzt seien. «Gefunden habe ich nichts, ich habe aber auch nicht danach gesucht», meint Ben. In seinem Zimmer steht ein Fernseher, der zum Teil auch ausländische Sender ausstrahlt, aber auch Propagandafilme der Regierung. Gebraucht hat er ihn nicht oft, da er die Zeit am Abend vor allem nutzt, um das Gesehene zu verarbeiten.

Auch mit Propaganda konfrontiert

Auf die Frage, wie sich die Unterdrückung des Volkes auf die Nordkoreaner auswirkt, antwortet Ben: «Die Menschen wissen wahrscheinlich, dass sie unterdrückt werden, aber in Nordkorea gibt es fast keine Religion oder einen Glauben. Ihre Religion ist der Glaube an den Staatsgründer, den Grossvater des jetzigen Machthabers. Er ist wie ein Gott für das Volk». Es gebe für sie nur den einen Führer. Der, der alles Menschenmögliche mache, ihnen ein gutes Leben zu schenken. Den Nordkoreanern gehe es zwar nicht gut, aber dafür seien die Schuldigen schnell gefunden. Es sind die Amerikaner. «Der Hass in Nordkorea auf die Amerikaner ist allgegenwärtig und es wird auch danach gelebt.»

Machterhaben schauen sie in die Luft. Kim Jong-uns Grossvater Kim Il-sung und sein Vater Kim Jong-il. Bild: zvg

Während Bens Reise ist Nordkorea im Umschwung. Es heisst, dass Atomwaffen abgerüstet werden. Die Bemühungen, gegen aussen ein besseres Bild abzugeben, sind gross. Das habe die strenge Propaganda im Land ein wenig abgeschwächt. «Man sah einfach viele Zusammenhaltparolen der Regierung. Die Leute dort sind auf Linie. Wenn der Führer etwas sagt, dann wird das befolgt.»

Die Kultur und die Offenheit der Menschen in Nordkorea überraschen ihn deshalb umso mehr. «Ich habe noch nie so nette Menschen wie in Nordkorea getroffen. Alle sind freundlich, aber nicht aufdringlich.» Weiter erzählt er: «Auch mit meinen Begleitern habe ich immer lustige Abende verbracht. Meist mit Bier, Reiswein und guten Gesprächen. Unser Fahrer versuchte sogar, mir ein wenig Koreanisch beizubringen.» Die Freundlichkeit der Menschen ist einer der Gründe für ihn, das Land ein weiteres Mal zu besuchen.

Propagandatänze in der Hauptstadt Pjöngjang. Bild: zvg

Die politische Führung in Nordkorea kritisiert er trotzdem. «Es ist halt so entstanden und es ist schwierig aus dem wieder herauszukommen. In dem Land gibt es nichts, weder richtig taugliche Maschinen noch Infrastruktur. Alles müsste neu gemacht werden und das ist fast unmöglich. Ein solcher Schritt wäre politischer Selbstmord für die Machthaber Nordkoreas», sagt Ben. Es würde noch nie vorhandene Schwäche zeigen.

Wer alles hat, bekommt alles

«Pjöngjang ist wie ein eigenes Land, es gibt eigentlich alles im Vergleich zum restlichen Staat», sagt Ben. «Du musst einfach Geld haben.» Es gibt riesige verglaste Gebäude in der nordkoreanischen Hauptstadt. «Meine Reisebegleiterin erzählte mir, dass es in diesen Gebäuden alles gibt. Von Pizzerien bis Fast-Food-Ständen». Allerdings ein Ort, der für das normale nordkoreanische Volk unzugänglich ist und nur wenige wissen, was dahinter steckt. Auch Ben nicht.

Wo er isst, wird Ben immer vorgeschrieben. «Ich konnte nie ein Restaurant selber auswählen. Das wurde immer für mich organisiert. Das Restaurant bekam auch immer im Voraus Bescheid, dass wir kommen werden», erzählt er. Meistens sitzt er ganz alleine in einem Restaurant, in Restaurants mit bis zu 100 Sitzplätzen.

Über zu wenig Essen konnte sich Ben nie beklagen. Bild: zvg

Das Personal deckt während seiner Anwesenheit die anderen Tische ein. Seine Reiseführerin erklärt ihm, dass sie für den Abend decken. Für Ben mehr Schein als Sein. «Für mich war das alles ein Schauspiel. Ich sollte das Gefühl bekommen, den Menschen gehe es gut hier», sagt er. Manchmal müssen seine Begleiter an einem separaten Tisch sitzen und bekommen meist viel weniger zu essen als er. Der Grund warum, bleibt ihm schleierhaft. «Ich weiss nicht, ob sie grundsätzlich nicht mehr bekommen oder ob es einfach nicht genug für alle hatte.»

«Ich habe noch nie so eine grosse und breite Autobahn gesehen. Es war gigantisch.» Bild: zvg

Die Leute auf dem Land, ausserhalb der Hauptstadt Pjöngjang, hätten hingegen gar nichts. «Das hat mich schockiert, das war für mich ein richtiger Kulturschock». Die Leute seien bettelarm, wer ein Fahrrad besässe gelte dort draussen bereits als reich. «Wer auf dem Land lebt, wird immer dort bleiben müssen. Man kann nicht einfach in die Stadt ziehen oder sich dort eine Arbeit suchen. Die Regierung bestimmt, wer wo wohnen und arbeiten darf.»

Ohne Handy in Nordkorea

Sein Handy hat Ben auf Rat eines Reiseführers in China im Hotel gelassen. «Ich habe dann aber erfahren, dass es heute erlaubt ist, sein Handy mitzunehmen». Die Zeit ohne Natel habe ihm aber gut getan. «Es war schön, Ferien ohne Handy zu machen. Ausserdem kann man sowieso nicht aus dem Land telefonieren und frei zugängliches Internet gibt es in Nordkorea auch keines.» Nur etwas habe er bereut: «Hätte ich mein Handy dabei gehabt, hätte ich gerne Videos und Fotos aus meiner Heimat gezeigt. Ich hätte den Leuten gerne meine Lebensweise gezeigt, denn trotz Diktatur denke ich, dass jeder Mensch in Nordkorea den Wunsch hat, noch etwas anderes in seinem Leben zu sehen».

Nach seinem Aufenthalt in Korea reist Ben noch für drei Wochen in den vietnamesischen Dschungel. «Ich war froh, hatte ich einfach eine Zeit lang Ruhe und musste auf nichts mehr achten.» An seine Erfahrungen in Nordkorea denkt er heute trotzdem noch fast jeden Tag. «Ich werde auch in Zukunft immer wieder daran denken». Und damit nicht genug: Ben will erneut nach Nordkorea und hat bereits angefangen, sich mit der koreanischen Sprache vertraut zu machen.

*Name von der Redaktion geändert

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