«Aus dem Quartier für das Quartier»

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Was möchte ich hier gerne tun? Sabina Nänny erklärt Besuchern den Ablauf der Ideenfindung. Bild: Silvan Baumann

Der Quartiertreff Herblingen war ein beliebter Treffpunkt für Jung und Alt. Nun öffnete er am neuen Standort im Brüel erstmals die Türen und lädt die Bewohner ein, ihre Ideen einzubringen.

von Silvan Baumann

Im alten Quartiertreffpunkt im ehemaligen Pangas-Gebäude in Herblingen hat sich jeweils Jung und Alt zum Altersturnen, zu Kochabenden oder einfach nur zu ­einem Kaffeekränzchen getroffen. Bis 2015 die Räumlichkeiten umgenutzt und der Treffpunkt in Provisorien verschoben werden musste. Mit dem Neubau des Kindergartens im Zentrum von Herblingen wurde diesen Sommer Platz frei, und so öffnete letzte ­Woche im früheren Kindergarten der neue Quartiertreffpunkt im Brüel die Türen für Anwohner und Interessierte aus dem ganzen Quartier. Ziel der vier ersten Veranstaltungen: Die zukünftigen Nutzer sollen sich an der Gestaltung der Räumlichkeiten und den Aktivitäten beteiligen.

Sabina Nänny, Fachmitarbeiterin Quartierentwicklung bei der Stadt, ist verantwortlich für den Aufbau des neuen Quartiertreffpunkts. «Uns ist wichtig, auf die Bedürfnisse des Quartiers ganz individuell eingehen zu können», sagt sie. Jedes Quartier sei anders zusammengesetzt und habe somit auch ganz spezielle Ansprüche an einen Treffpunkt wie diesen. Eine vorgefertigte Lösung zu präsentieren, sei nicht nachhaltig, so Nänny. Binde man die Anwohner jedoch von Beginn an mit ein, sei es auch einfacher, sie anschliessend für die Mitwirkung zu begeistern.

«Es soll ein ­flexibles ­Angebot ­entstehen, ­zugeschnitten auf das ­Quartier.»

Sabina Nänny, Fachmitarbeiterin, Quartierentwicklung

Kreativität ist gefragt

Das ist denn auch das erklärte Ziel der Quartierentwicklung der Stadt. «Es soll kein starres Angebot der Stadt entstehen, sondern ein flexibles Angebot aus dem Quartier für das Quartier», erklärt Nänny. Der Quartiertreffpunkt soll dereinst durch die Nutzer selbst betrieben werden und die Quartierentwicklung der Stadt nur noch eine begleitende Rolle spielen. Deshalb werden die Bewohner bereits bei der Planung von Aktivitäten miteinbezogen. So haben sie bei den ersten Veranstaltungen die Möglichkeit, Ideen zu Aktivitäten mit Zetteln direkt an eine Wand zu kleben. Einiges sei so schon zusammengekommen, so Nänny.

Ohne Hilfe geht es jedoch nicht, und so haben die Fachmitarbeiterinnen an einer anderen Wand mehrere Vorschläge aufgeklebt, die in anderen Quartiertreffpunkten wie dem an der Hochstrasse bereits Anklang fanden. Diese werden von den Besuchern nun mit ­roten und blauen Punkten bewertet. Das Fazit: Spieleabende und Kochkurse sind hoch im Kurs, Partys eher weniger.

Nicht nur die Aktivitäten, auch die Gestaltung der Räumlichkeiten liegt in den Händen der Quartierbewohner. Es sei wichtig, dass sich die zukünftigen Nutzer des Treffpunkts wohl fühlten, sagt Dominique Bauer Sprüngli, ebenfalls Fachmitarbeiterin Quartierentwicklung. Die Besucher haben die Möglichkeit, aus verschiedenen Vorlagen ansprechende Muster zur Raumgestaltung auszusuchen und zu bewerten. An einer anderen Wand ist wiederum Fantasie gefragt: Aus Einrichtungskatalogen können Ideen für die Möblierung ausgeschnitten und an die Wand geklebt werden.

Bei einigen Vorschlägen muss Bauer Sprüngli schmunzeln: Für einen Schwimmteich sei das Budget leider zu klein. Man arbeite jedoch mit einem Architekturbüro zusammen, das die gemachten Vorschläge der Teilnehmer wo möglich einfliessen lasse.

Längerfristige Beteiligung ist gefragt

Nach den zwei bisherigen Veranstaltungen zeigen sich die Facharbeiterinnen sehr zufrieden. Die Beteiligung sei gut, und es sei einiges an Ideen vorhanden. Nun werden die Anregungen zu Aktivitäten und Raumgestaltung zusammengetragen und am nächsten Anlass am 24. Oktober dem Publikum präsentiert. Es sei jeweils schwierig, Leute zu finden, welche sich auch längerfristig engagieren und beispielsweise einen Eltern-Kind-Treff oder einen Spieleabend organisieren und begleiten würden, so Nänny. Sie sei jedoch zuversichtlich, auch in Herblingen fündig zu werden.

«Quartierentwicklung schafft Chancengleichheit»

Die Quartierförderung ist Teil der laufenden Legislaturziele des Stadtrates. Simon Stocker als Sozial- und Sicherheitsreferent betont die Wichtigkeit belebter Quartiere und des Engagements ihrer Bewohner.

Simon Stocker Sozial- und Sicherheitsreferent Stadt Schaffhausen

Der Stadtrat schreibt der Quartier­entwicklung eine wichtige Rolle zu. Weshalb?

Simon Stocker: Früher waren Vereine Dreh- und Angelpunkt des Soziallebens in den Quartieren. Man hat sich in einem Verein engagiert und hatte so eine Aufgabe, für welche man auch Wertschätzung erhielt. Heute sind ­immer weniger Leute bereit, sich in den festen Strukturen von Vereinen zu betätigen. Mit der Individualisierung der Gesellschaft sind kurzfristige, projektbezogene Engagements attraktiver. Das Bedürfnis, in sein soziales Umfeld eingebunden zu sein und sich zu engagieren, ist jedoch weiterhin vorhanden. Mit der Quartierentwicklung wollen wir eine Plattform für diese Beteiligungen schaffen.

Wäre dies nicht die Aufgabe der ­Quartiervereine?

Die Quartiervereine sind nach wie vor ein wichtiger Bestandteil der Quartierförderung. Nur sind sie nicht in allen Quartieren gleich gut aufgestellt. Zudem sind die Herausforderungen von Individualisierung und kultureller Durchmischung meist sehr komplex. Die Quartiervereine leisten einen wichtigen Beitrag für das Zusammenleben im Quartier. Auf die Bedürfnisse einzelner Personen einzugehen, übersteigt jedoch deren Kapazitäten.

Wäre es dann nicht einfacher, der ­Entwicklung in den Quartieren ihren Lauf zu lassen?

Ein häufiges Problem ist die Durchmischung bestimmter Quartiere oder von Teilen davon. Im Brüel in Herblingen zum Beispiel findet sich viel günstiger Wohnraum und dementsprechend auch Bewohner, die auf diesen angewiesen sind. Denen fällt es aus verschiedenen Gründen schwer, sich in die Gesellschaft einzubringen und sich zu vernetzen. Würden wir hier kein ­Angebot schaffen, welches speziell auf die Begebenheiten dieses Quartiers eingeht, würden diese Mitmenschen schlicht auf der Strecke bleiben. Hier schaffen wir Chancengleichheit.

Und die anderen Bewohner von Herblingen?

Die Individualisierung betrifft alle Generationen. Wir ärgern uns oft über die Jungen, welche sich nicht mehr in den Vereinen engagieren, dabei beteiligen sich auch immer mehr Senioren nicht mehr aktiv am sozialen Leben. Gerade für ältere Leute bedeutet Individualisierung oft auch Vereinsamung. Viele sagen sich: «Ich kenne hier keinen mehr, dann gehe ich eben ins Altersheim» – und dies, obwohl sie das eigentlich nicht müssten und auch nicht wollten. Hier kann die Quartierentwicklung mit günstigen Massnahmen wie dem Aufbau eines Alterstreffs vor Ort Aktivitäten schaffen, welche Senioren in die Gesellschaft einbinden und diesem Trend entgegenwirken.

Die Stadt investiert jährlich rund eine halbe Million Franken in die Quartierentwicklung. Rechnet sich das?

Mit den geschaffenen Aktivitäten werden die Grundbedürfnisse nach sozialer Einbindung und Engagement gestillt. Zudem kann ein Austausch unter den Quartierbewohnern auch bei Alltagsproblemen eine Stütze sein, und das nicht nur bei Senioren. Auch junge Mütter oder Jugendliche profitieren. Ich kann mich beispielsweise bei Quartiertreffs über Probleme austauschen oder erhalte hin und wieder sogar eine helfende Hand. Das macht ein Quartier attraktiv und teure Hilfsprogramme weitestgehend überflüssig. Zudem investiert die Stadt nur zu Beginn. Später soll ein Quartiertreff durch die Be­wohner eines Quartiers bewirtschaftet ­werden. Was bleibt, sind Fixkosten für ­Unterhalt und Miete.

«Quartierentwicklung war früher negativ ­behaftet. Wir wollen das mit dem neuen Konzept ändern.»

Jetzt sind all diese Trends, die Sie ansprechen, nicht neu. Hat die Stadt hier etwas verpasst?

Quartierarbeit gibt es schon länger. Nur waren die Gründe andere. Früher setzte man sie ein, wenn etwas nicht rundlief. Beispiele dafür sind die Quartiertreffpunkte im Birch, an der Hochstrasse oder eben im Brüel. Dort waren es vor allem Jugendliche, die Probleme bereiteten und denen man mit Projekten eine Struktur gab. Dadurch war Quartierarbeit ein eher negativ behafteter Ausdruck. Mit der neuen Herangehensweise versuchen wir wegzukommen von der Problembehandlung, hin zur proaktiven Quartierentwicklung.

War dies bislang erfolgreich?

Die Nachhaltigkeit von Pro­jekten steht im Vordergrund. Deshalb ­besteht unser Ziel darin, uns mit der Zeit wieder aus den einzelnen Pro­jekten zurückzuziehen und diese den Quartierbewohnern zu überlassen. Nachhaltigkeit heisst aber auch, dass wir uns von Zeit zu Zeit über den Stand erkundigen und wo notwendig Hilfestellung leisten. Somit ist der Prozess der Quartierentwicklung nie ganz abgeschlossen.

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