Das Ringen um eine Adresse – und 116 Millionen

Robin Blanck | 
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Der Fall wird vom Kantonsgericht bereits zum dritten Mal behandelt. Bild: Archivbild Selwyn Hoffmann

116 Millionen Franken verlangt eine skandinavische Telekom-Firma von einem Schaffhauser Unternehmer zurück. Gestritten wird aber in erster ­Linie um eine Wohnadresse in der Stadt Schaffhausen.

Schon die Zahlen, um die gestritten wird, lassen erkennen, dass es um viel geht: 109 719 937 Franken fordert eine skandinavische Firma aus der Telekom-Branche von dem aus Schaffhausen stammenden Unternehmer K. Gegen diese Summe nehmen sich die übrigen Forderungen der Klägerin in Dollar (6,8 Mio.) und Britischen Pfund (rund 300 000) geradezu klein aus. Aber sie zeigen gleichzeitig, dass es sich um eine internationale Affäre handelt. Bevor aber die eigentlich wichtige Frage nach dem Geld beantwortet werden kann, geht es zunächst einmal um weniger Kostspieliges: Im Vordergrund steht die Frage, ob K. in Schaffhausen wohnt oder nicht. Doch von Anfang an.

Anklage wegen Veruntreuung

Der Streit geht zurück auf eine angeb­liche Geschäftsbeziehung zwischen der Firma und K. in den Jahren 1998 bis 2001: Damals soll der Schaffhauser die erwähnten Finanzmittel von der Telekom-Unternehmung zur Weiterleitung an Vertriebsagenten erhalten, aber nicht diesem Zweck zugeführt haben. Stattdessen habe er das Geld zu seinen Gunsten verwendet und sich damit widerrechtlich verhalten. Die Folge: Weil auch vor dem Friedensrichter keine Einigung erzielt werden konnte, erstattet die mutmasslich Geprellte im März 2010 Anzeige wegen Veruntreuung und verlangt die Rückzahlung des Geldes. So beginnt ein juristisches Seilziehen, das bis zum heutigen Tag andauert – und noch länger dauern dürfte.

Im Oktober 2012 stellt K. sich auf den Standpunkt, dass das Schaffhauser Kantonsgericht gar nicht für die Klage zuständig sei, weil er seinen Wohnsitz bereits vor über 20 Jahren weg von Schaffhausen in die Vereinigten Arabischen Emirate verlegt habe. Den Vorwurf der Veruntreuung streitet er ab und macht darüber hinaus geltend, dass kein Vertragsverhältnis zwischen ihm und der Klägerin bestanden habe.

So beginnt ein juristisches Seilziehen, das bis zum heutigen Tag andauert – und noch länger dauern dürfte.

Das Kantonsgericht verneint 2012 tatsächlich die Zuständigkeit, die Telekom-Firma zieht das Urteil vor Obergericht, weil es sich bei K. um eine in Schaffhausen «bestens bekannte und integrierte Person» handle. Dort versuchen die Rechtsvertreter der Firma, über verschiedene Hinweise zu belegen, dass K. zum Zeitpunkt der Vertragslaufzeit in Schaffhausen ansässig war. Doch im Dezember 2012 kommt es anders: Das Obergericht befindet, dass der Wohnsitz nicht schlüssig nachgewiesen und daher auch die Zuständigkeit des Kantonsgerichts in der Sache nicht gegeben sei. Gleichwohl weist es die Sache zur Neubeurteilung ans Kantonsgericht zurück, weil die Frage nach dem Vertragsverhältnis nicht ausreichend geklärt worden sei.

«Wir bestreiten die Vorwürfe an meinen Mandanten nach wie vor, äussern uns aber nicht zum laufenden Verfahren.»

Rechtsvertreter von K.

Die zweite Runde vor Kantonsgericht bringt keine Veränderung: Inhaltlich geht es noch immer erst um die Frage der Zuständigkeit. Nach einem umfangreichen schriftlichen Verfahren lehnt das Kantonsgericht einen Teil der Forderungen im August 2016 ab und tritt nicht auf die ursprüngliche Klage gegen K. ein. Die Telekom-Firma geht erneut in Berufung, das Verfahren vor Ober­gericht beginnt im Oktober 2016.

Auch diesmal argumentiert die Klägerin hartnäckig und detailreich: Zum Nachweis des Wohnsitzes wird verlangt, Heizungs-, Telefon- und Elektrizitätsrechnungen K.s zu editieren, um daraus den Aufenthalt und somit den Wohnsitz abzuleiten. Und es werden bereits früher eingereichte Beweise nochmals vorgelegt: die Aussage eines Privatdetektivs, der den Beklagten 2005 an seiner Schaffhauser Adresse telefonisch erreicht habe. Statements von Bekannten, die mit dem mutmasslichen Täter in Schaffhausen im umstrittenen Zeitraum Kontakt hatten, sogar Schilderungen des Pöstlers, der Sendungen zugestellt hat, werden beigezogen. Doch nicht nur das: Auch Aufenthaltsdaten K.s aus anderen Ländern werden vorgelegt – K. sei zwischen Mai und Dezember 2009 nur 17 Tage in Dubai gewesen. Ferner wird die Einvernahme aller Nachbarn der Schaffhauser Liegenschaft verlangt.

Dritte Runde vor Kantonsgericht

Das bleibt beim Obergericht offenbar nicht ohne Wirkung: Diese Ausführungen, mit denen die Klägerin den gewöhnlichen Aufenthalt K.s an seiner Schaffhauser Wohnadresse belegt, könnten – «entgegen der Auffassung des Kantonsgerichts», wie es im Urteil heisst – «nicht unberücksichtigt bleiben». Deshalb wird sich das Kantonsgericht nun zum dritten Mal mit der Sache befassen und das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen «von Amtes wegen» prüfen müssen. Und: Ebenso untersucht werden müsse, ob allenfalls eine geschäftliche Niederlassung K.s vorhanden ­gewesen sei.

«Es handelt sich um eine Angelegenheit, die sich in Schaffhausen abgespielt hat, und deshalb war es für uns entscheidend, dass sich auch die Schaffhauser Gerichte darum kümmern müssen», sagt der Rechtsanwalt der Klägerin. Und schiebt nach: «Bloss weil Herr K. wahrscheinlich unter anderem wegen dieser Vorfälle nach Dubai gezogen ist, ändert das nichts an der Zuständigkeit der Schweizer Gerichte.»

K.s Rechtsvertreter sagt am Telefon: «Wir bestreiten die Vorwürfe an meinen Mandanten nach wie vor, äussern uns aber nicht zum laufenden Verfahren.» Eine affaire à suivre demnächst vor Kantonsgericht, vielleicht auch vor anderen Gerichtsschranken: Falls den Anträgen von K.s Rechtsanwalt stattgegeben werde, «wäre das Verfahren erledigt – auf jeden Fall in Schaffhausen». Im Klartext: Sogar wenn die lokalen Gerichte den Fall nicht beurteilen müssten, ist ein Verfahren vor einem anderen Gericht – etwa in Dubai – denkbar. Bei der Streitsumme sogar wahrscheinlich.

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