«Junge wollen schnell ans Ziel, Ältere konzentrieren sich auf den Weg»

Eva Kunz | 
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Wie ein Mensch ein Ziel definiert und es erreicht, verändert sich im Alter. Bild: Bruno Bührer

Welche Rolle Ziele im Alter spielen – darüber hat Alexandra M. Freund an der Senioren-Universität referiert.

Das Leben, ein Dasein geprägt von Gewinn und Verlust? Das Diagramm, welches Alexandra M. Freund, Professorin für Entwicklungspsychologie im Erwachsenenalter, am Anfang ihres Referats einblendet, macht eindeutig sichtbar, aus welchen zwei Gegensätzen das Leben – abstrakt ausgedrückt – besteht. Ebenfalls wird deutlich, dass das eine, nämlich der Gewinn, mit zunehmendem Alter seinem Gegenpart immer mehr Platz machen muss. «Als Kind machen wir viel Gewinn», erklärt Freund und zählt auf: «Wir machen Fortschritte in Sprache, in motorischen Fähigkeiten und eignen uns sehr schnell sehr viel Wissen an.» Mit zunehmendem Alter nähmen Gewinne aber ab und würden zunehmend Verlusten Platz machen. Hier meint Freund beim Begriff «Verlust» insbesondere Veränderungen am eigenen Körper wie nachlassendes Denkvermögen oder eine eingeschränkte Beweglichkeit. «Menschliche Verluste gehören aber nicht in meinen Forschungsbereich», sagt sie.

Mit ihrem Vortrag «Die Rolle von Zielen für erfolgreiches Altern», welcher gestern an der Seniorenuniversität Schaffhausen im Park Casino stattfand, will Freund anhand ihrer Forschungsergebnisse aufzeigen, was es braucht, um erfolgreich zu altern. Doch es ist still im Raum, die Stimmung angespannt. Die Gewinn-Verlust-Grafik zeigt, was man im Allgemeinen über das Altern denkt: Es geht bergab. Erst als das Wort «Stabilität» fällt und Freund von Zunahme spricht, lockert sich die Stimmung. Das Wissen über die Welt: Dieses nimmt – nach allem was mit zunehmendem Alter weniger wird – immer noch weiter zu. «Mit dem Weltwissen nimmt aber nicht zwangsläufig auch die Weisheit zu.» Die Hörerschaft lacht. Die Erfahrung im Alter nennt Freund «Kristalline Intelligenz», an ihr könne man arbeiten, sie bis ins hohe Alter erhalten. Diese Art von Intelligenz könne dazu beitragen, komplexe Lebensprobleme zu lösen. In jungen Jahren sei es die «Fluide Intelligenz», die schnelles Denken und Lernen sowie ein flexibles Anpassen an neue Situationen ermögliche.

Stabilität wird im Alter wichtiger

Innerhalb der Forschung untersuchte Freund, wie sich Verluste auf die Motivation Erwachsener auswirken. Dazu führte sie unterschiedliche empirische Studien mit Probanden dreier Altersgruppen durch: Junge Erwachsene von 18 bis 25 Jahre, mittlere Erwachsene von 39 bis 58 Jahre und alte Erwachsene von 65 bis 84 Jahre. Anhand von Befragungen wollte sie herausfinden, wie ihre Probanden Gewinne und Verluste beurteilen und inwiefern sich die jeweilige Einstellung auf ihre Motivation auswirkt. Herauskam, dass junge Erwachsene Gewinn als Indikator für gut investierten Aufwand ansehen und Verlust dementsprechend auf schlecht investierte Ressourcen zurückführen. Bei zunehmendem Alter kehrte sich in den Studien diese Sichtweise um. «Es gibt neben Gewinn und Verlust aber noch einen anderen Wert: Stabilität», so Freund. Stabilität werde von jungen Erwachsenen als Rückschritt und somit als Verlust gesehen. Im Vergleich seien alte Erwachsene zwar weniger motiviert, maximale Leistung anzustreben, jedoch hoch motiviert, Verluste zu kompensieren. «Stabilität wird von ihnen deshalb, als ausbleibender Verlust, positiv bewertet.» Mit dieser Verschiebung nimmt auch der Durchhaltewille im Alter zu. Ziele im Leben zu haben, sei für Jung und Alt wichtig, sagt Freund. Unterschiede stellt sie in den Zielsetzungen und in der Einstellung zu Zielen fest. «Junge wollen schnell ans Ziel, Ältere nehmen sich dafür mehr Zeit und konzentrieren sich auf den Weg dorthin», so Freund. Dies sei völlig normal. Genau weil sich Ältere zunehmend auf den Prozess statt auf das Ziel konzentrieren seien sie zufriedener. Als Freund zum Schluss des Referats von einer Diätstudie erzählt, sorgt sie für erstaunte Gesichter. «Raten Sie mal, wer sein Zielgewicht erreicht hat: die Älteren», sagt sie.

 

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