«Ich bin keine Karaoke-Maschine»

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Nina Hagen bei ihrem Konzert am Donnerstag in der Kammgarn – einem von nur zweien in der Schweiz auf ihrer aktuellen Tour. Bild Selwyn Hoffmann

Nina Hagen spricht im Exklusivinterview mit den SN über ihre Pläne für neue Alben, die Erwartungen von Fans und darüber, warum sie die ­Linken wählt.

von Luc Müller und Saskia Baumgartner

Eigentlich war seitens der Veranstalter in der Kammgarn klar: Nach dem Konzert gibt Nina kein Interview. Auf ihrer aktuellen Konzerttour hat sie am Donnerstag in Schaffhausen doch eine Ausnahme gemacht. Die Schreibenden begrüsste sie kurz vor 24 Uhr mit einem lockeren «Ihr seid ja noch wach!».

Hallo Frau Hagen: Toll, dass wir Sie treffen dürfen. Sind Sie zufrieden mit Ihrem Konzert in Schaffhausen?

Nina Hagen: Ja. Ich habe auch schon vor langer Zeit zugesagt. Eigentlich wäre ich gerne nur in die Schweiz gekommen. Solche Touren sind ja sehr anstrengend. Wir waren gerade in Holland und dann in Ingolstadt, morgen sind wir in Cham. Die letzten vier, fünf Jahre war ich ja bei Claus Peymann im Berliner Ensemble (bekannte Bühne in Berlin, die einst von Bertolt Brecht gegründet wurde, Anm. der Redaktion). Das ist eigentlich ein Jugendtraum, der in Erfüllung gegangen ist: im Theater Brecht-Abende machen. Ich war als junger Mensch schon ganz oft im Theater für 55 Pfennig, Ostmark.

Das hat man im Konzert gemerkt: Brecht ist Ihre Leidenschaft.

Ja, da war viel Brecht dabei. Wir arbeiten ja auch an einem neuen Album. Wir haben zwei verschiedene Projekte. Ein Album produziere ich mit Michael Wolf und Christian Lohr. Wir haben schon viel Material, aber das ist keine gebündelte Produktion, die geht seit mehreren Jahren, und wir sammeln fleissig weiter. Und die andere Sache ist halt eine ganze Brecht-CD und -DVD mit Sachen, die nicht so bekannt sind. Nicht die «Dreigroschenoper» oder den «Alabama Song», sondern anderes, das mir auch am Herzen liegt.

Sie hatten neben Brecht auch viele andere Ihrer Idole im Programm. Spielen Sie live überhaupt noch Ihre eigenen Hits aus den 80ern?

Nein, ich bin ja keine Karaoke-Maschine, sondern freischaffende Künstlerin. Und ich bin ja nicht in den Beruf gegangen, um mich ständig wiederholen zu müssen. Damals in der DDR gab es das Zentralstudio für Unterhaltungskunst. Die meisten dort waren Schlagersänger. Wunderbare Kollegen, supertolle Leute. Bloss für mich war von Anfang an klar: Ich will keinen Schlager machen, sondern Rockmusik. Den «Farbfilm» haben wir ja gemacht als Schlagerveräppelung. Ich habe nichts gegen Schlagermusiker, ich respektiere die, ich liebe die. Aber meine Leidenschaft sind Leute wie Bob Dylan, Bertolt Brecht, Leonard Cohen, Jim Morrison, David Bowie, James Brown, alles mögliche. Solche Musik wollte ich immer machen, und das mache ich auch einfach. Manchmal kommt ja ein Ruf, und jemand wünscht sich ein Lied. Dann spielen wir das auch, wenn wir das draufhaben. Aber wir sind jetzt nicht die Wiener-Würstchen-Fabrikanten, die unbedingt das Würstchen von der Produktionslinie anno dazumal machen müssen.

Sie haben heute auch Songs zweier Ihrer Heldinnen, Janis Martin und ­Rosetta Tharpe, gespielt. Wie sind Sie auf die beiden gestossen?

Ich war damals in Los Angeles, mein Sohn ging dort in die Highschool, und habe an meinem ersten Gospel-­Album gearbeitet. In Bibliotheken habe ich nach all den alten Gospel-Ladys gesucht: Margaret Allison und Mahalia Jackson. Und dann entdecke ich Rosetta Tharpe. Ich dachte: Wieso kannte ich die nie? In einem Dokumentarfilm, den ich später sah, erzählt Elvis, dass er seine Art zu spielen von ihr gelernt habe. Auch Janis Martin, den «weiblichen Elvis», habe ich erst vor zehn Jahren entdeckt. Warum kam die nie im Radio? Warum haben die uns das in den 50er-, 60er-Jahren nicht vorgespielt? Diese Musik muss ich auf die Bühne bringen. Einer muss es ja tun.

Welche Künstler schauen Sie sich selbst live an?

Meret Becker ist eine ganz tolle Künstlerin. Die müsst ihr unbedingt in die Schweiz einladen! Sie ist auch eine unglaublich tolle Schauspielerin. Sie macht eine ganz tolle Bühnenshow und spielt übrigens auf einer singenden Säge. Sie ist ein richtiges Showpferd. Wir waren in den 90er-Jahren auch zusammen auf Brecht-Tournee. Meret und ich treffen uns immer wieder.

Sie haben vor Ihrem Auftritt in der Kammgarn ja bereits in Schaffhausen übernachtet. Hatten Sie Zeit, sich die Stadt anzuschauen?

Nein, aber die Aussicht aus meinem Hotelzimmer ist sehr interessant: Ich blicke direkt auf den Bahnsteig. Und ich seh die Züge rein- und rausfahren, und die Businesspeople mit ihren kleinen Trolleys. Und ich sehe ganz interessante Schweizer Typen und Typinnen. Das sieht irgendwie ganz romantisch aus ... Nein, ich muss ja irgendwann schlafen, um die alten Stimmbänder wieder frisch zu bekommen. Es ist wie bei einem alten Zirkuspferd: Es muss schlafen gelegt werden, sonst kann’s das alte Zeug nicht mehr bringen. Ich bin ja im selben Alter wie die Bundeskanzlerin, wir haben denselben Jahrgang. Ihr merkt man das ja nicht an, sie sieht immer aus, als ob sie gut geschlafen hat. Aber sie muss ja auch nicht singen.

Am 24. September ist Bundestagswahl. Haben Sie schon gewählt?

Ich habe schon Briefwahl gemacht. Ich würde mich freuen, wenn es eine Kraft in der deutschen Regierung gäbe, die sich für sozialen Wohnungsbau starkmacht, marode Schulen saniert und sich um die Bildung kümmert. Es muss doch möglich sein für Politiker, sich ein bisschen um den Lebensstandard der Bürger zu kümmern. Dazu sind die doch da. Es ist sehr frus­trierend, mit anzusehen, dass eine Stadt wie Berlin 20 000 Obdachlose hat. Es ist sehr traurig, dass man nichts für die Bedürftigen tut, eine Grundsicherung, ein Dach über dem Kopf ...

Sie setzen sich für die Partei Die Linke ein. Was überzeugt Sie ?

Die Idee der Linken ist doch einfach, dass für die Menschen gesorgt ist. Deswegen wähle ich links. Das sind für mich die Einzigen, die sich um diejenigen kümmern, deren Menschenwürde mit Füssen getreten wird. Die anderen tun nichts für die soziale Gerechtigkeit. Die Linken sind auch die einzigen, denen ich abnehme, dass wenn sie Regierungspolitik machen dürfen, sie sich um einige wichtige soziale Belange kümmern würden. Ich bin im Team Sahra Wagenknecht!

Blumenstrauss; Mit Charme zum Interview

Sie posierte mit wilden Haaren und knallrotem Lippenstift – auf dem Poster über meinem Bett. Für mich war es ein bisschen Revolution, Nina Hagen zu lieben. Ich war verschossen in die Punkgöre – wenn sie sich im TV im ­Video zu ihrem Hit «New York, New York» schulterfrei mit blonder Perücke lasziv bewegte, schlug mein Teenagerherz höher. Nun ist sie ganz nah. In Schaffhausen gibt sie ein Konzert. Für mich, inzwischen 45, ist klar: Nina – ich will ein Interview mit dir! Sofort ist die Interviewanfrage per Mail ans Management verschickt. Eine Telefonnummer gibt es nicht. Doch keine Antwort. Seit zwei Wochen. Jetzt hilft der Veranstalter weiter (Danke, Christoph!). Ninas PR-Fachfrau schreibt schliesslich: «Offiziell gibt Nina aktuell gar keine Interviews.» Doch es gibt Hoffnung. Im Mail steht weiter: «Allerdings haben wir es immer wieder erlebt, dass Nina, wenn Journalisten vor Ort waren und auf sie zukamen, doch ein Interview gibt.» Super! Wir versuchen es mit altmodischem Charme – auch eine Punklady liebt Blumen. So der Plan, um Nina vor dem Konzert auf unsere Seite zu ziehen. Meine Redaktionskollegin und ich klappern mit einem Blumenstrauss und einem Kärtchen für Nina die Hotels in Schaffhausen ab – denn sie übernachtet vor dem Konzert hier. Wo, erfahren wir nicht.

Der Veranstalter erlaubt uns, den Strauss in Ninas Garderobe zu legen. Er mahnt: «Zu 90 Prozent wird sie kein Interview geben.» Nach dem Konzert harren wir aus. Dann klappt’s doch. Sänger Michael von der Heide, der mit Nina einst ein Duett sang, hat den Besuch in der Garderobe beendet. Jetzt dürfen wir zu ihr. Über 20 Minuten dauert das Gespräch – ob sie den Strauss gesehen hat, bleibt ein Geheimnis.(uc)

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