In sparsam möblierten Klangwohnungen

Sandro Stoll | 
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Colin Vallon taufte seine Trio-CD «Danse» zum Auftakt des zweiten Jazzfestival-Abends. Ein faszinierender Auftritt, der Kraft und Ernst ausstrahlte.

War das Festivalpublikum am Eröffnungsabend des Jazzfestivals letzten Mittwoch im Stadttheater mit massierten Orchesterklangfluten aufgepeitscht worden, so stand der Beginn des zweiten Abends wieder eher im Banne der sparsam und nuancenreich gesetzten Töne. Ja, des kammermusikalischen Interagierens im besten Sinn, denn für die Taufe seines neuesten Tonträgers für ECM Records wählte der Westschweizer Jazzpianist Colin Vallon, 1980 in Lausanne geboren, das Schaffhauser Jazzfestival.

Mit Bassist Patrice Moret und Schlagzeuger Julian Sartorius – der sich bereits am Vorabend als nuancenreicher Schlagzeugkünstler empfohlen hatte – realisierte Vallon sein bereits drittes Album auf dem renommierten Label, insgesamt ist es sein fünftes. Seit gut fünf Jahren sind Vallon und Moret ausserdem unverzichtbare Mitglieder des Quartetts der albanisch-schweizerischen Sängerin Elina Duni, die vor drei Jahren das Jazzfestival Schaffhausen eröffnete. Aber auch schon im Jahre 2008 war der Jazzpianist am Jazzfestival zu Gast.

Feine Interaktion ist Trumpf

Auf höchsteigene Weise puristisch, karg und kontrolliert, schuldet diese Musik, von der das Trio vier rund fünfzehnminütige Nummern spielte, ihre Wirkung im Raum und in der Zeit. Blöcke schieben sich linear ineinander, die in sich durch je eigene, meist repetitive Muster strukturiert sind. Da fallen wie von Nirgendwo kleine, anmutige Motive in traumverhangene Klangräume hinein und auch auf groovig-brutistische Lärmkaskaden setzt das Trio, das über weite Strecken als homogen agierendes Soundkollektiv agiert, so schnörkellos wie kompromisslos seine Akzente. Pur und karg ist die Entwicklung des Materials aber vor allem, weil sich Vallon, Moret und Sartorius jegliche spontane Solistenallüren verbieten. Die feine Interaktion, das gemeinsame nuancierte Ausgestalten ist hier Trumpf.

Meist entstehen die Nummern des Trios aus einem einzigen Ton, einer offenen Quinte oder nur einem Geräusch. Die Motive bestehen oft nur aus längeren Tonfolgen, die Bass und Klavier unisono vorwärtstreiben, während Sartorius’ Feuerwerk ein vielschichtiges Knistern und Knastern erzeugt. Äusserste Zurückhaltung legt Vallon an den Tag: Hat er mal ein Motiv gefunden, so weigert er sich, es so weiterzuverwenden, wie es konventionellen Hörgewohnheiten entsprechen würde. Eher löst er es auf – oder durch etwas anderes ab.

Diese trotzdem oft auch klangschöne Musik erhebt sich gern aus der Stille und verströmt einen ruhigen Atem, kann dann aber auch stetig wachsenden Druck aufbauen, bis sie schliesslich eine eruptive Eindringlichkeit erreicht, ja kraftvoll und von pulsierendem Rhythmus durchblutet – nur um wieder in Stillstand, Geräusch zu versinken.

Und so modellieren Vallon, Moret und Sartorius in die Kammgarnhalle flüchtige Klangräume, die zwar sparsam möbliert sind, aber einen hypnotischen Sog entfalten können, dem man dann schwerlich widerstehen kann.

Von der Fachkritik gelobt

Die hier zelebrierte restriktive Ästhetik ist freilich auch eine eher ernste Angelegenheit. Die drei jungen Männer laufen möglicherweise hie und da Gefahr, sich durch solch selbst auferlegte Strenge in den erzeugten Klangräumen zu verirren. So elegant und beinahe auf aggressive Weise zurückhaltend hier musiziert wird, es entstehen auch Momente, wo der Spannungsbogen abflacht, wo etwas viel Klangfläche da ist, aber wenig Profil, viel konzipierte Struktur, aber wenig Aktion.

Umjubelt war der Liveauftritt des hochkarätigen Trios in der sehr gut gefüllten Kammgarn gestern Abend trotzdem. Zu empfehlen ist, diese recht einzigartige, unkonventionelle Musik auf den elf Titeln des Albums nachzuhören, das von der Fachkritik bereits in höchsten Tönen gelobt worden ist.


Einer, der sich selbst nicht genug ist

Fredy Studer spielte gestern eines seiner ganz seltenen Solokonzerte. Viel mutiger kann einer nicht sein.

Fredy Studer ist eine Schweizer Schlagzeugerlegende. Seine ganz grossen Zeiten hatte der bald 69-Jährige in den frühen 70er-Jahren mit der Gruppe OM, die er mitbegründet hat. Bei OM war Studer – und das ist jetzt nicht despektierlich gemeint – der Mann fürs Unmissverständliche, Eindeutige, Grobe. Geschult an Vorbildern wie Tony Williams und Hendrix-Drummer Mitch Mitchell brachte Studer den Rock zu OM – hart, kompromisslos und ohrenbetäubend laut. Ohne Studer wäre OM eine Band von intellektuellen Tüftlern gewesen, die Rock-Jazz mit dem improvisatorischen Anspruch von Free-Jazzern machten. Mit Studer waren die Konzerte von OM eine ziemlich einschüchternde Erfahrung.

Eine echte Rarität

Die 70er-Jahre sind lange vorbei, und Fredy Studer ist älter geworden. Aber als Solo-Drummer kann man ihn sich immer noch nur schwer vorstellen. Keine zehn Konzerte soll er in seiner 50-jährigen Karriere allein bestritten haben, aufs Publikum in der Kammgarn wartete gestern Abend um zwanzig vor zehn also eine echte Rarität. Zwei langjährige treue Begleiter hatte Fredy Studer immerhin bei sich: sein leuchtend gelbes Gretsch-Schlagzeug und ein ganzes Arsenal an Paiste-Cymbals. Auf den Becken startete er dann auch sein Konzert, mit einem einfachen Ostinato. Fast schon meditativ war dieses Auf- und Abschwellen, wer ein Donnergrollen erwartet hatte, musste sich noch eine ganze Weile gedulden. Überhaupt strukturierte Studer sein Set sehr dynamisch, er liess seinen Rhythmuspattern Zeit, Boden unter den Füssen zu finden und das ganze Lautstärkespektrum auszuloten.

Es wird eine Episode bleiben

Gescheit war das gemacht, aber gepackt hat Fredy Studer sein Publikum gestern Abend mit dem, was ihn schon immer auszeichnete: dem energisch treibenden Beat, der seine Kraft einem wie von selbst und schier unbewusst pumpenden Puls verdankt.

Jede Band schätzt sich glücklich, so einen Drummer zu haben. Aber über 35 Solominuten trägt diese seltene Fähigkeit erstaunlicherweise nicht. Fredy Studer, der begnadete Antreiber braucht den Dialog, die Mitmusiker, die Interaktion. Irgendwie ist sich der Schlagzeuger selbst nicht genug. Man muss kein Prophet sein, um zu sagen: Solokonzerte werden eine Episode in der Karriere Fredy Studers bleiben. Aber falsch war das nicht gestern Abend. Und unglaublich mutig sowieso.


Backstage

Jazz ist als Improvisationskunst zuerst einmal der Gegenwart verpflichtet. Trotzdem hat der Jazz natürlich eine Geschichte, die es zu bewahren gilt. Die Vergangenheit des Schaffhauser Jazzfestivals lagert künftig in Luzern, die dortige Hochschule hat sich bereit erklärt, das Archiv von Urs Röllin und Hausi Naef zu übernehmen. Die Archivare werden ziemlich viel Arbeit haben, allein die Bewerbungsunterlagen der rund 3000 Bands,die sich in den letzten 27 Jahren in Schaffhausen für einen Auftritt bewarben, füllen ein Dutzend Umzugskisten. Luzern ist ein guter Platz fürs Jazzarchiv, wie man am Beispiel des Jazz Festivals Willisau sehen kann, das seine Dokumente bereits 2011 der Hochschule Luzern übergab (www.willisaujazzarchive.ch).


Programm: Heute am Schaffhauser Jazzfestival

Kulturzentrum Kammgarn

20.15 Uhr: Christoph Irniger Pilgrim 21.15 Uhr: Florian Favre Trio

22.30 Uhr: Luca Sisera Roofer

Neustadt-Bar

20.30 Uhr: Franco Ambrosetti Quartet

TapTab Musikraum

23.00 Uhr: JPTR

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