Waldschule soll rasch wachsen

Saskia Baumgartner | 
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Bei Rechenübungen werden Blätter und Steine zu Hilfe genommen. Bild: Saskia Baumgartner

In der Natur Rechnen und Schreiben lernen, geht das? Seit August 2022 werden im Neuhauser Wald erstmals Primarschüler unterrichtet. Herausfordernd für das Pilotprojekt ist dabei weniger die Umsetzung des Lehrplans 21, als die noch geringe Bekanntheit der Schule.

«Das stinkt mir!», «Ich mag nicht mehr!» Das sind Sätze, die Sonja Aeschbacher als Kindergärtnerin früher öfter zu hören bekam. Im Neuhauser Waldkindergarten und in der Waldschule, wo sie seit letzter Woche als Krankheitsvertretung unterrichtet, seien solche Aussagen noch nie gefallen. Das Lernen im Wald, es scheine den Schülerinnen und Schülern zu gefallen.

Vor eineinhalb Jahren hat der Verein Waldläufer einen Waldkindergarten im Neuhauser Wald eröffnet, er ist per Fuss von Beringen und dem Langriet aus zu erreichen. Vor einem halben Jahr folgte der nächste Schritt. Seither wird dort auch Unterricht für Kinder der ersten beiden Primarschulklassen angeboten. Doch wie funktioniert Lesen, Rechnen und Schreiben lernen bei 6 Grad und Nieselregen?

Schutz im «Waldsofa».

Zunächst mal: Schutzlos der Witterung sind die Kinder nicht ausgesetzt. Das Zentrum des Waldkindergartens und der Waldschule ist das «Waldsofa». Eine Art grosses Nest, umrandet von einer «Mauer» aus Ästen und Zweigen, befindet sich in der Mitte eine Feuerstelle zum Aufwärmen und Kochen. Falls es regnet oder schneit, kann eine Plane über das Waldsofa gespannt werden. Zudem hat der Verein die vom Kanton gepachtete Bärenhütte ausgebaut und einen Ofen installiert. In der Schutzhütte, die inzwischen eher an ein Chalet erinnert, befinden sich die Lernmaterialien, stehen Tische und Stühle bereit.

Meist lernen die Kinder jedoch im Freien. So wie an diesem Morgen. Nach dem Znüni sitzen sie um das knisternde Feuer, jedes auf einem Holzrugel. Aeschbacher erzählt eine Geschichte über den Bau eines Schneemanns. Alle Kinder, mit dicken Mützen über den Ohren und mit erdverschmierten Outdoorhosen bekleidet, geben Tipps, welche Materialien für die Augen und Arme des Schneemanns geeignet sind.

Addieren mit Stöckchen und Steinen

Dann ist Rechnen angesagt. Addieren bis 10. Aeschbacher versammelt alle Kinder an einem langen Tisch vor einer nahen Forsthütte. Sie nimmt Karten, auf denen Zahlen abgebildet sind, zur Hilfe. Die Kinder wiederum haben Schüsseln, gefüllt mit Blättern, Hölzchen oder Steinen vor sich. «3 plus 5, wie viel gibt das?» Die Kinder legen nach jeder Rechnung die entsprechende Anzahl Steine oder Hölzchen auf den Tisch, und kommen so auf die Lösung. Die Primarschüler brauchen die Hilfsmittel meist nicht mehr und rufen die Lösung schnell heraus.

«Wenn wir bis im Sommer auf 15 Kinder anwachsen, bin ich glücklich.»

Laetizia Giannini-Studer, Geschäftsleiterin des Vereins Waldläufer

Nach einer Viertelstunde hat das erste Kindergartenkind keine Lust mehr, es spielt in der Nähe mit einem Stock. Die Rechenübung richtet sich eher an die Primarschüler, die Kindergärtler können jedoch mitmachen. «Sie müssen aber nicht», sagt Laetizia Giannini-Studer. Die Präsidentin und Geschäftsleiterin des Vereins Waldläufer sagt, dass es regelmässig gemeinsame Übungen für die gesamte Basisstufe gebe. Primarschüler erhielten aber auch gesondert Unterricht. An diesem Schultag findet nachmittags etwa eine dreiviertelstündige Lektion in der Bärenhütte statt. Je nach Wetter suche man sich aber auch gerne einen eigenen Platz im Wald, so Giannini-Studer. Die Lehrmaterialien seien dieselben wie jene in Regelschulen. Man halte sich an den Lehrplan 21.

Aktuell besuchen sechs Kinder aus der Region den Waldkindergarten, drei frühere Waldkindergärtler sind nun im Primarschulalter und besuchen die Waldschule des Vereins Waldläufer.

Bis zu 28 Kinder haben Platz

Waldkindergarten und -schule sind privat, der Elternbeitrag beträgt 940 Franken im Monat. So werden die Löhne der Lehrpersonen finanziert, sagt Giannini-Studer. «Menschen, die den Fixbetrag nicht zahlen können, sollen sich jedoch nicht abschrecken lassen.» Hier könne man Lösungen finden.

Damit die Schule gedeihe, brauche es aber noch mehr Familien. «Wenn wir bis im Sommer auf 15 Kinder anwachsen, bin ich glücklich», sagt Giannini-Studer. Unterrichtet werden könnten gar bis zu 28 Kinder. Das Ziel der nächsten Wochen und Monate sei daher, den Waldkindergarten und die Waldschule in der Region noch bekannter zu machen. Die Vorteile der Naturpädagogik lägen auf der Hand, so Giannini-Studer: Wer in der Natur lerne, betrachte sich auch eher als Teil davon und gehe achtsamer damit um. Zudem könne man in der Natur Dinge mit dem ganzen Körper erlernen und erfahren.

Giannini-Studer ist zuversichtlich, dass sich das aus dem Norden Europas stammende Konzept auch in der Schweiz weiter durchsetzen wird. Die Waldschulen in Zürich und St. Gallen, mit denen Giannini-Studer im Austausch steht, seien «pum- penvoll». Jene in St. Gallen werde bereits seit 25 Jahren erfolgreich betrieben.

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