Was vom Kampf gegen die Hochhäuser bleibt

Saskia Baumgartner | 
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Derzeit entstehen die umstrittenen Hochhäuser auf dem RhyTech-Area. Vor allem viele Anwohner des Neuberg-Quartiers – hier im Hintergrund der Baustelle am Waldrand – hatten diese in der IG R.O.T. bekämpft. Bild: Melanie Duchene

Jahrelang versuchte eine Gruppe Neuhauserinnen und Neuhausern den Bau zweier Hochhäuser zu verhindern. 2019 gab sie auf, weil das Geld knapp wurde. Nun befindet sich das umstrittene RhyTech-Projekt im Bau. Der Streit belastet die Gemeinde bis heute.

Rot, immer röter wurden die Wangen von Andreas C. Fischer, als er über die geplanten Hochhäuser sprach. Und lang, immer länger wurde seine Rede. Die Szene spielte sich während einer der Generalversammlungen der Neuhauser Interessengemeinschaft RhyTech ohne Türme (IG R.O.T.) ab. Und sie war typisch sowohl für Fischer, als auch für den Verein. Dessen Mitglieder kämpften jahrelang mit viel Leidenschaft und Ausdauer gegen den Bau der höchsten Wohnhäuser im Kanton Schaffhausen. Doch der Kampf ging verloren. In diesen Tagen wachsen die «Türme» alle paar Tage um ein Stockwerk in die Höhe. Wie geht es den ehemaligen IG R.O.T.-Mitgliedern damit? Und was hat der Verein rückblickend eigentlich erreicht?

Hauchknappes Ergebnis

Der Neuhauser Hochhausstreit begann Mitte 2012. Damals wurden erste Pläne für eine Grossüberbauung auf dem ehemaligen Industriegebiet der Alusuisse, heute RhyTech-Areal genannt, öffentlich. Schon bald schlossen sich im nahen Quartier Neuberg Anwohner zusammen, um dagegen anzugehen. Sie hatten Sorge um ihre Aussicht und den Schattenwurf. Mitte 2013 wurde über die RhyTech-Überbauung und die rund 75 und 60 Meter hohen Hochhäuser abgestimmt. Das Resultat fiel mit nur 16 Stimmen Unterschied zugunsten der Überbauung aus – bei fast 3000 Stimmen insgesamt. Die Neuhauser Stimmbevölkerung war gespalten.

Die Gründung der IG R.O.T erfolgte im September 2014. Zu seinen Hochzeiten wurde der Verein von rund 100 Mitgliedern unterstützt. Er wehrte sich zunächst juristisch gegen den Quartierplan und anschliessend gegen die erteilte Baubewilligung. Der Verein sammelte zudem Unterschriften für eine Petition, wandte sich an die Medien und die Bevölkerung. Als es 2019 darum ging, den Rechtsstreit bis vor Obergericht und allenfalls auch Bundesgericht weiterzuziehen, war eine Mehrheit der Mitglieder dagegen. Die IG R.O.T. löste sich in der Folge am 14. November 2019 auf. Ein Jahr später, im Oktober 2020, begannen die Rückbauarbeiten auf dem RhyTech-Areal. Seit wenigen Monaten befinden sich dort die umstrittenen Hochhäuser im Bau.

Müller: Rheinfallgebiet verschandelt

Insgesamt rund 75 000 Franken haben die Hochhausgegner gemäss Andreas C. Fischer im Kampf gegen die Hochhäuser ausgegeben. Zunächst gingen einzelne Anwohner juristisch gegen das Bauprojekt vor, nach dessen Gründung dann der gesamte Verein. Roland Müller, ehemaliges IG R.0.T.-Mitglied und Neuhauser Einwohnerrat (Grüne), sagt, dass der finanzielle und zeitliche Einsatz nicht vergebens war. «Wir haben eine Verantwortung gegenüber der Bevölkerung und der Umwelt, sowie dem Landschaftsbild.» Das Rheinfallgebiet werde durch die Hochhäuser verschandelt. Zwar habe die IG R.O.T. ihr grosses Ziel, die Hochhäuser zu verhindern, nicht erreicht, so Müller. Dennoch seien durch kritisches Hinterfragen und genaues Hinschauen, etwa bei der Altlastensanierung, die Vorgaben enger eingehalten worden.

Müller wohnt im Quartier Neuberg. Beim Zoom-Gespräch blickt er aus dem Fenster auf Kräne und die wachsenden Hochhäuser auf der nahen Baustelle. Ärgerlicher als die aktuelle Aussicht aus seinem Fenster sei im letzten Sommer der Baustellenlärm gewesen, sagt er.

Präsident zieht Schlussstrich

Der frühere IG R.O.T.-Präsident Fischer ist wie sein Nachbar Roland Müller der der Ansicht, dass die IG und deren Einsatz wichtig gewesen sei. Auch er erwähnt die Altlastensanierung. Im Untergrund von Neuhausen schlummerten noch vielerorts Deponien, so Fischer. «Ich denke, dass die IG R.O.T. einen Anfang gemacht hat, indem sie die fachgerechte Beseitigung der Schadstoffe forderte.» Nach wie vor scheint Fischer jedes kleine Detail, jedes Datum, jedes Anwaltsschreiben zum Thema RhyTech auswendig zu kennen. Dennoch hat er sich verändert, ist ruhiger geworden. Vor ein paar Jahren habe er beschlossen, nicht mehr zu viel Zeit und Energie in die Thematik RhyTech zu stecken. Es habe ihm nicht gut getan. Er, der so emotional gegen den Bau der Hochhäuser kämpfte, erklärt nun ganz nüchtern: «Man muss auch mal einen Schlussstrich ziehen können.»

«Dimensionen nicht einschätzbar»

Dasselbe sagt auch Maria Strasser, die zusammen mit ihrem Mann ebenfalls bei der IG R.O.T. aktiv war. Man müsse sich halt mit der Situation abfinden. Sowohl bei Strasser, als auch bei mehreren anderen Mitgliedern, mit denen die SN gesprochen haben, ist jedoch auch ein Bedauern herauszuhören. Alle sind überzeugt, dass inzwischen eine Mehrheit der Bevölkerung das Hochhausprojekt ablehnt. Viele Neuhauserinnen und Neuhauser hätten sich die gewaltigen Dimensionen der Hochhäuser schlicht nicht vorstellen können, als sie darüber abstimmten, sagt Strasser. Im Herbst 2014, also über ein Jahr nach dem Volksentscheid, liess die Arealbesitzerin und -entwicklerin Halter AG auf dem RhyTech-Areal rote Ballone an Schnüren in den Himmel steigen. So konnte sich die Bevölkerung ein besseres Bild von der späteren Höhe machen. Aus Sicht der IG R.O.T. kam die Aktion zu spät.

Maria Strasser hätte sich gewünscht, dass der Verein seinen juristischen Kampf fortgesetzt hätte. Man habe zu früh aufgegeben. «Einmal mehr hat auch in diesem Falle der schnöde Mammon gesiegt!», sagt sie. Fischer formuliert es so: «Es liegt in der Natur eines solchen Kampfes, dass die finanziell und politisch stärkere Seite ihre Trümpfe ausspielt.»

Auch IG R.O.T Kritik ausgesetzt

Die IG R.O.T. sah sich in ihrem Kampf gegen das Bauprojekt nicht nur der Arealbesitzerin und -entwicklerin, dem Konzern Halter AG, gegenüber. Als Feindbild wird bis heute bei mehreren ehemaligen Mitgliedern auch der Gemeinderat, insbesondere der frühere Gemeindepräsident Stephan Rawyler (FDP), wahrgenommen. Der Gemeinderat habe zu wenig, zu spät und zu einseitig über das Projekt informiert, heisst es. Doch auch die IG R.O.T. sieht sich Kritik ausgesetzt. Man habe das Projekt doch nur verzögern wollen, heisst es von verschiedenen Seiten. Rita Flück Hänzi, ehemalige Mitte-Einwohnerrätin und -Kantonsrätin wehrt sich gegen diese Vorwürfe. Eine Verzögerung sei nie das Ziel gewesen. «Es ist eine Bereicherung, dass auf dem ehemaligen Industrieareal Neues entsteht», sagt sie. Gestört hätten einzig die Dimensionen des RhyTech-Projekts. «Das passt nicht nach Neuhausen.»

Gemeindepräsident will Volk einen

Stephan Rawyler hatte direkt nach der RhyTech-Abstimmung 2013 von einem «Bruch» gesprochen, den diese in der Bevölkerung hinterlassen habe. Ist dieser nach wie vor vorhanden? Rawyler sagt, dass er dies nicht mehr beurteilen könne. Über ein Jahr nach dem Ende seiner Amtszeit sei er «zu weit weg». Jedoch fügt er an: «Es gibt Beispiele aus der ganzen Schweiz dafür, dass Hochhausprojekte nicht nur ungeteilte Freude auslösen.» Er sei nach wie vor von der Qualität des Projekts überzeugt. Das bestätige auch das Interesse an den Wohnungen auf dem RhyTech-Areal, von denen die meisten bereits vergeben seien.

Nachfolger Felix Tenger (FDP) sagt, dass sowohl die Rhytech-Abstimmung als auch der Urnengang zur Totalrevision der Bauordnung und des Zonenplans im November 2018 in Neuhausen zu einer Polarisierung geführt hätten. Im Wahlkampf um das Gemeindepräsidium vor zwei Jahren hatte er versprochen, die Bevölkerung wieder einen zu wollen. Man sei in dieser Hinsicht auf gutem Weg, sagt Tenger nun. Infolge der Ausarbeitung des neuen kommunalen Richtplans, dem die künftige Bau- und Zonenplanung zugrunde liegt, habe er viele positive Rückmeldungen aus der Bevölkerung erhalten. Der Gemeinderat hatte sich im Zusammenhang mit dem Richtplan gegen weitere Hochhauszonen und für mehr Grün- und Freiräume in Neuhausen ausgesprochen.

«Die Gräben in der Bevölkerung sind immer noch da.»

Roland Müller, ehemaliges Mitglied der IG R.O.T.

Patrick Senn, früherer Rhytech-Projektleiter der Halter AG, hatte sich mehrmals mit Mitgliedern der IG R.O.T. ausgetauscht und war auch bei Generalversammlungen des Vereins anwesend. Die Auseinandersetzung mit Projektgegnern gehöre zum Prozess dazu und sei üblich, sagt er. Speziell in Neuhausen sei die Grösse und das hohe Engagement der Gruppe gewesen – welche in der Folge medial stärker wahrgenommen worden sei.

Befürworter: Projekt kein Thema mehr

Einwohnerrat Jakob Walter (parteilos), hatte sich 2013 im Pro-Komitee vor der Abstimmung für die RhyTech-Überbauung stark gemacht. Er glaubt, dass diese vor allem aufgrund ihrer Höhe für so viel Unmut gesorgt habe. Dies sei aber nur möglich gewesen, weil zuvor schon ein allgemeines Unbehagen in der Gemeinde herrschte. In den Jahren und Jahrzehnten zuvor seien mehrere vertraute Neuhauser Ecken durch gesichtslose Bauten ersetzt worden. Den starken Widerstand der IG R.O.T. erklärt sich Walter einerseits durch das grosse Engagements des damaligen Präsidenten Fischer, andererseits durch den Zeitgeist: «Wir befinden uns gerade in einer Phase, in der man sehr intolerant ist und alles als Angriff auf die eigene Freiheit empfindet.» Eine Polarisierung oder gar einen Bruch in der Bevölkerung infolge der Abstimmung nehme er heute nicht mehr wahr, sagt Walter. Die Hochhäuser seien bei den meisten Neuhauserinnen und Neuhausern kein Thema mehr.

Das sehen mehrere frühere IG R.O.T.-Mitglieder anders. Roland Müller sagt: «Die Gräben sind immer noch da.» Die Folgen seien jedoch nicht nur negativ. «Die Bevölkerung hinterfragt die Prozesse in Neuhausen seither viel mehr.» Auch er selbst schaue als Einwohnerrat bei Baugeschäften genauer hin.

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